/

Die ganze Welt ist voller Barrieren

Gesellschaft | Andreas Pröve: Abenteuer Mekong. Mit Audio-Interview

In seinem Buch Abenteuer Mekong. 5700 Kilometer von Vietnam bis ins Hochland von Tibetberichtet Andreas Pröve von seiner Reise entlang der Lebensader Südostasiens. Fünf buddhistische Länder durchquert er mit seinem indischen Reisegefährten Nagender, um dem Mekong vom Mündungsdelta in Vietnam stromaufwärts bis zu seiner Quelle im tibetischen Hochland nachzuspüren. Dabei tauchen die beiden Weltenbummler tief ein in fremde Kulturen mit all ihren Besonderheiten. Der Klappentext verspricht ein eindringlich und leidenschaftlich erzähltes Abenteuer. Von STEFAN SCHALLES
Abenteuer Mekong
5700 Kilometer quer durch Südostasien zu reisen, ist weit mehr als nur ein Abenteuer, es erscheint geradezu utopisch. Die Tatsache, dass Andreas Pröve seit einem Motorradunfall querschnittsgelähmt ist und diese Strecke im Rollstuhl zurücklegt, lässt den Leser zunächst staunend zurück. Noch weitaus beeindruckender ist jedoch die Art und Weise, wie Pröve mit seiner Behinderung umgeht. Den betroffenen Blicken der neugierigen Vietnamesen, denen er gerade erklärt hat, warum er im Rollstuhl sitzt, entgegnet er mit einem simplen »no problem«. Man glaubt ihm das sofort. Dieser Mann hat kein Problem mit seiner Behinderung. Wenn er von Erfolg und Scheitern, von Zweifeln und Grenzerfahrungen erzählt, aber letztendlich dennoch zu dem Ergebnis gelangt, dass nichts unmöglich ist, dann wirkt das vor allem authentisch.

Kultur in feinfühlig gezeichneten Bildern

Erfreulich ist auch, dass Pröve den Kontakt zu den Einheimischen in den Mittelpunkt seiner Reise stellt und gleichzeitig konsequent die Touristenwege meidet. Er beschreibt diesen Umstand bereits im dritten Kapitel mit den Worten »dort, wo das Leben brodelt, ist mein Zuhause«. Daraus entsteht letztendlich eine unverfälschte Beschreibung der verschiedenen Kulturen und Mentalitäten mitsamt ihren auf Europäer teils kurios wirkenden Besonderheiten. Das Spektrum reicht hier von der Harmoniesucht in Vietnam und Kambodscha über bizarre Quarantäneuntersuchungen an der laotischen Grenze bis hin zum staatlich verordneten »Platz-geb-Tag« in China, der einer durch Rücksichtslosigkeit geprägten Kollektivvergessenheit entgegenwirken soll. Die Schilderung dieser alltäglichen Erlebnisse ist jedoch zu keinem Zeitpunkt anekdotisch. Vielmehr entstehen immer wieder feinfühlig gezeichnete Bilder der Menschen ohne jegliche Klischeebildung. Darüber hinaus erleichtern die wiederholt in die eigentliche Erzählung eingewobenen historischen Reflexionen dem Leser ein umfassenderes Verständnis kultureller Zusammenhänge. Neben dem Vietnamkrieg wird hier vor allem die Gewaltherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha thematisiert.

Ein wirksames Gegengewicht zu diesen ernsten und nachdenklichen Passagen ist Pröves subtiler Humor, der sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch zieht. Es ist teilweise geradezu genial, wie der Autor auf diese Weise auch immer wieder seine Kritik an (gesellschaftlichen) Missständen akzentuiert. So zeigt er für die fehlende Hilfsbereitschaft eines chinesischen Busfahrers durchaus Verständnis, da allein der schmerzliche Gedanke an das Abbrechen der demonstrativ zur Schau gestellten überlangen Fingernägel, seine Bereitschaft weckt, alles zu unternehmen, um dieses »Unglück« zu vermeiden.

Träume verwirklichen

Das Buch ist aber noch aus einem ganz anderen, eher unterschwellig wirkenden Grund lesenswert. Im Verlauf der Reise geht es immer wieder um Grenzerfahrungen. Um das Erkennen und Akzeptieren der eigenen Grenzen, aber auch die Möglichkeit, diese zu überschreiten. Pröve spricht hier eines der ureigensten und natürlichsten Bedürfnisse des Menschen an: Das Verwirklichen von Träumen. Er begreift seine Behinderung in diesem Kontext nicht vordergründig als Hindernis, sondern vielmehr als eine neue Chance auf ein intensives Leben. Aus der Möglichkeit des Scheiterns zieht er erst den Reiz des Erfolgs. Sein Buch ist daher nicht zuletzt auch ein Appell, seine Träume konsequent zu verfolgen, auch – und besonders – gegen Widerstände. Dass diese Lebenseinstellung in vielerlei Hinsicht gewinnbringend sein kann, wird auf den letzten Seiten des Buches deutlich. Pröve spricht hier von einer »großen Zufriedenheit« und einem »inneren Glücksgefühl«. Ihm wird bewusst, dass er genau hiernach gesucht hat.

Wer auf der Suche nach schriftstellerischen Finessen und einem ausgefeilten Vokabular ist, der wird bei Pröves neuem Werk zwar nicht fündig. Besonders die immer wieder auftretenden Dialoge zwischen ihm und seinem Freund Nagender, die sich teilweise über mehrere Seiten ziehen, wirken oft hölzern und monoton. Ein Ausschlusskriterium sollte dies für den Leser jedoch keineswegs sein. Zum einen, da es die einzige Schwäche bleibt. Zum anderen, da das Buch eine Vielzahl von Stärken aufweist, die die sprachlichen Defizite zu einer weitestgehend belanglosen Randerscheinung verkommen lassen.
Fotos: © A. Pröve

| STEFAN SCHALLES

Titelangaben:
Andreas Pröve: Abenteuer Mekong. 5700 Kilometer von Vietnam bis ins Hochland von Tibet
München: Piper 2013
304 Seiten. 22,99 Euro

Reinschauen
Andreas Pröve – Webseite

Reinhören
Audio-Interview von Anette Christine Hoch

Begleittext
Per Handbetrieb bewegte sich Andreas Pröve über iranische Autobahnen, den Hindu-Pilgerweg entlang des Ganges legte er auf zwei Rädern zurück, und die Wüsten des Vorderen Orients hat er ebenfalls per Rollstuhl erkundet: Andreas Pröve, seit einem Motorradunfall vor über 30 Jahren querschnittgelähmt, ist Berufsreisender. Mehrere Monate pro Jahr ist er unterwegs, unter Bedingungen, die für Normaltouristen unvorstellbar sind, die für ihn jedoch gelebter – und zu managender – Alltag sind.

Andreas Pröve bereist die Welt – seine Lieblingsregion ist Asien – und berichtet in Büchern (bisher vier) und Multivisions-Vorträgen von ihren Schönheiten, von den Herausforderungen, die sich einem wie ihm stellen, von der Neugier, die einem vermeintlich Außerirdischen wie ihm am anderen Ende der Welt entgegenschlägt, und von der Hoffnung, die er anderen Behinderten vermitteln kann. Im Gespräch mit Annette Christine Hoch erzählt er von der Motorradfahrt zum Nürburgring, bei dem ein paar Stundenkilometer zuviel seinem Leben eine gänzlich andere Richtung verpasst haben, er erzählt von der Neukonzeption seines Lebens mit 23 Jahren – und er gibt einen Einblick in sein Reiseleben.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Cold Specks Live at Queen Elizabeth Hall 7th March 2013

Nächster Artikel

Imitiertes Leben

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Istanbuls Schicksal ist mein Schicksal

Menschen | Zum 70. Geburtstag des Nobelpreisträgers Orhan Pamuk

»Es geht in diesem Prozess gar nicht um meinen Roman, sondern um Ideologie«, hatte Nobelpreisträger Orhan Pamuk Ende des letzten Jahres in einem Interview erklärt. Mehrmals hatte ihn die Staatsanwaltschaft zum Verhör einbestellt, nachdem die große türkische Tageszeitung ›Hürriyet‹ eine regelrechte Hetzjagd gegen den Schriftsteller inszeniert hatte. »Was bezweckt Orhan Pamuk damit, dass er Atatürk verhöhnt? Will er einen Aufruhr anzetteln? Will er dem Ausland eine Botschaft senden?«, lauteten die rein rhetorischen Fragen des Chefredakteurs Ahmet Hakan nach Erscheinen von Pamuks letztem Roman »Die Nächte der Pest«, der sich mehr schlecht als recht zwischen dichterischer Fiktion und politischer Allegorie hin- und herquälte. Von PETER MOHR

Reaching Out: An Interview With Midfield General

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world UK artist Damian Harris has had the type of career most could only dream of. Under the alias Midfield General he has released two superb albums (Generalisation and General Disarray) and had a string of hit singles (Devil In Sports Casual, General Of The Midfield, Reach Out, etc.) By JOHN BITTLES

Aus Widersprüchen Energie geschöpft

Menschen | Zum 75. Todestag des Schriftstellers Franz Werfel (am 26. August)

Franz Werfel war Österreicher und Prager, Jude und Christ, Konservativer und Avantgardist, traditioneller Erzähler, pathetischer Lyriker und utopischer Romancier. Aus diesen teilweise selbst auferlegten Widersprüchen schöpfte Werfel seine literarische Energie, die ihm in 35 Jahren dichterischer Tätigkeit ein ebenso erfolgreiches wie umfängliches Oeuvre ermöglichte. »Erfolg ist für mich mit Glück identisch«, erklärte Werfel, der vor allem während des Exils in den USA von vielen Kollegen ob seiner Verkaufserfolge beneidet, aber auch polemisch geschmäht wurde. So sprach Brecht etwa vom »heiligen Frunz von Hollywood, dem Geschwerfel«. Von PETER MOHR

Die Worte verführten mich

Menschen | Zum Tod des Schriftstellers Günter Kunert »Eines Tages, nach dem Krieg, lieh ich mir eine Schreibmaschine, um einen Brief zu schreiben. Da fiel mein Blick auf die große Kastanie im Hof, und ich stellte mir vor, dass die Äste bedrohlich wachsen und in die Zimmer ringsum eindringen. Plötzlich fing ich an, Zeile für Zeile untereinander zu schreiben, wie in Trance. Die Worte verführten mich! Von da an schrieb ich fast täglich«, erinnerte sich Günter Kunert an seine schriftstellerischen Anfänge zurück. Von PETER MOHR

Ein ganz persönliches Bernhard-Requiem

Menschen | Thomas Bernhard

An dem Tag, als Thomas Bernhard in seiner Gmundener Wohnung starb, am 12. Februar 1989 also, begann Österreich offensichtlich, ihn zu lieben. Von MIKE MARKART