Kasse machen

Textwerkstatt | Niklas Linnenbach: Kasse machen

Es riecht verbrannt. Es knistert, zischt, lodert, glüht. Überall. Neonleuchten strahlen zerstörerisch stark. Zurückhaltung ist jetzt wichtig. Ein paar Jugendliche haben gegokelt, gezündelt, den Braten gerochen. Haben sie nicht. Wäre zu schön. Nur schön. Auf den ersten Blick.

TITEL KurzgeschichteRegal für Regal für Regal ist egal. Viel zu viel zu viel. Aber wir wollen noch mehr zu viel. Ein anders gleicher Weg durch Rot, Blau, Grün und Gelb. Grau.

In diesen Hallen ist alles gleich, ist jeder gleich. Bleich. Die Strahler dort oben strahlen alles weiß, alles gleich, alles bleich. Jeder sammelt verschieden gleich. Durcheinander. Diese Nudel oder diese Nudel oder diese Nudel oder vielleicht diese Nudel oder doch diese Nudel? Nein, ich nehme diese Nudel. Und dazu dieses Nudelholz und schlage diesem Penner, der die letzte Paprika! Den Kopf ein. Ziehen. Da kommt Nachschub. Zurückgelegt. Das Holz und viel Weg. Weiter, weiter. Sieben Prozent Rabatt auf den Papaya-Maracuya-Ananas-Melone-Banane-Kirsch-Joghurt, den Papaya-Maracuya-Ananas-Melone-Banane-Joghurt und den Papaya-Maracuya-Ananas-Melone-Joghurt von ‚Landluft Irgendwo‘. Durch die eisigen Hallen mit ihrer farbenfrohen Farblosigkeit, tote Gesichter, die totes Fleisch, millionenfach verpackt. Anglotzen. Das Gemüse steht vor dem Gemüse, anderes Licht, sieht so gesünder aus, doch alle Anderen, nicht. Gesprächsfetzen hört man nicht. Es gibt keine. Keine Chips mehr. Wo zum Henker ist der Henker für den Filialleiter? Nachschub kommt. Nachschub wird es immer geben. Zu viele Menschen warten draußen vor den Toren, alles muss ernährt werden. Wie sonst soll das gehen, außer in solchen Hallen! Weiter, weiter rammeln. Machst du Sport? Ja. Rammeln. Meine Frau und euch. Neun Prozent Rabatt auf die Besen für Garage, Hauseingang, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Terrasse vom ‚Feuchten Kehricht‘. Leider kein Rabatt auf die Besen für Treppe, Flur, Küche, Chill-Lounge und Garageneinfahrt von ‚Kehr vor deiner eigenen Haustüre!‘. Raus hier. Jeder will raus hier. Manche nicht. Viele nicht. Wohlfühlen im Trott. Und es riecht so nach. Bei der Milch nach. Beim Waschmittel nach. Beim Obst nach. Nur beim Fisch riecht es nach Fisch.

Aus den Lautsprechern tönt nett und schäbig: „Hier fühl‘ ich mich wohl.“ Und Radiomusik. Das Radio des Kauflandes. Das Land des Kaufens hat jetzt ein eigenes Radio. Aber das hört keiner. Das stört keinen. Haben alle Kopfhörer auf. Warum noch in den Himmel kommen, das Paradies ist doch jetzt auf Erden! Nur irgendwie anstrengend das patschige Rumgesuhle im schönen Dreck der ausgekotzten Designprodukte seelenloser Hoffnungsträger der Millionen, die wissen, dass sie das sind, nur die Millionen wissen es nicht. Hoffnung? Pah. Wer will so was? Wir wollen Sofas! Schön. Und neu. Und schön. Und alt. Und schön. Und anders. Und schön. Panik kommt auf. Dort. Den Ort geortet. Stieren. Da, an der Zahnbürste-Theke. Die 31. Sorte ist ausgefallen. Ausfallend werden jetzt die Toten. Ich seh‘ nix. Man sieht es nicht. Man fühlt es nur. Wenn man noch fühlen kann. Ratatata. Durch die Reihen, immer weiter, weiter jetzt. Elf Prozent Rabatt auf die Currywurst-Döner-Pommes-Pizza Salami-Asianudeln-Cheeseburger-Chips, die Currywurst-Döner-Pommes-Pizza Schinken-Asianudeln-Chips und die Currywurst-Döner-Pommes-Pizza Vier Käse-Chips von ‚Imbiss für alle‘. Blicke zur Seite, auf den Boden, nach vorne. Gestoßen. Nach hinten. Kopfschütteln. Zur Seite, schräg unten, halb links. Da sind sie. Und angepackt. Anpacken. Unser gutes Recht. Wir haben ein Recht auf gefrorene Hamburger zu jeder Zeit.

Sie suchen nach Regenwald, Bäumen, Steinen, Wasserfällen, Feldern, gefährlichen Tieren, Natur und Afrika? Die Bio-Abteilung ist dahinten links, gleich neben den Putzmitteln zur Aufrechterhaltung ihres Anwesens. Ein Hinweis: Verhalten Sie sich fair. Natur muss fair sein. Na klar. Weiter, weiter!

Die Luft ist zum Schneiden gespannt, leider haben alle ihre Messer vergessen. Das Massaker bleibt aus. Wieder einmal.

Lass es in dir drin. Die Wut, den Frust und wundere dich über jeden der es ausspricht. Bleib fair, sag nichts, sondern stöhne und drängle nur. Schlag keinem auf die Fresse, denk es nur und tu entspannt, lass dich nicht provozieren, bleib kalt. Hoffe nicht, freue dich oder tu zumindest so. Bald darfst du doch nach Hause. Schöner konsumieren, schöner wohnen, perfekt konsumieren, perfekt wohnen. Was will man mehr? Alles, wirklich alles ist da. Das bisschen Stress nimmt man doch gerne in Kauf. Kauf lieber noch dieses oder jenes oder dieses oder jenes oder dieses oder jenes oder dieses oder jenes oder dieses oder jenes oder dieses oder jenes. Wiederholen wirst du dich nicht bei der Wahl. Neu entdecken wirst du, jeden Tag wenn du willst. Die Halle ist die Unendlichkeit die du dir immer gewünscht hast und aus ihr wird es kein Entrinnen mehr geben. Von nun an ist die Natur hier, von nun an ist alles hier. Kauf dich frei!

Die MAOAM’s sind leer! Kinder kreischen. Sie wissen schon jetzt was ihnen fehlt und was sie brauchen. Eine Mutter oder vielleicht die zweite oder dritte schreit zurück, aber es fehlt ihr nicht an Liebe. Sie sucht und sucht. Doch findet nichts. Werden sich die Kinder auch mit anderen Süßigkeiten zufrieden geben? Ihr Herz rast, hastig durchwühlt sie Regale. Regal nach Regal nach Regal. Sie findet keinen Ersatz. Die Kinder kreischen noch immer. Doch es gibt Licht am Ende des Ganges. Ein Einräumer aka Aufräumer. Haben Sie denn wirklich keine mehr? Nichts zu machen. Nachschub kommt erst morgen. Was tun? Wie den Kindern erklären? Problembezirk im Land des Kaufens. Für die Galerie knipst einer Fotos. Es ist alles so schön verrückt hier.

Um die Wette ächzen an der Kasse. Es riecht nicht nach einer Mischung aus Alkohol, Schweiß, Parfüm und und und. Es riecht nach dem bekannten Nichts. Na dann, können die Spiele ja beginnen. Um die Wette stöhnen. Entrüstung macht sich breit. Rüstet euch. Zieht die fette Rüstung an, kurz aus und wieder an. Machen sich die Leute bereit, ihr Hass breit. Für ein bisschen Krieg. Nur ein bisschen. Nur einmal einen Schuldigen in diesem Grau, nur einmal eine Antwort, nur ein bisschen Wahrheit.

Drängeln, schubsen, erstaunt sein, überrumpelt sein, wie kann das denn! Grau ist eine Farbe, die keine Farbe hat. Depressiv und windig. Eilen die Menschen von Artikel zu Artikel. Wichtiger als jeder Artikel in den Zeitungen. Außer im Freitag. Am Freitag. Vergessen. Wollen die Menschen alles vergessen. Also schnell jetzt hier durch, dann ist es geschafft. Geschafft wie meine Beine, noch mehr: Meine Augen. Blind sind sie geworden in der Zentriertheit auf die Hoffnungsträger. Die Hoffnungsträger die das Glück jede Woche Freitag versprechen und Montags immer wieder brechen. Wenn nicht schon früher. Wenn nicht schon früher wir erkannt hätten. Moral bringt nichts wenn es keine offensichtliche Unmoral gibt? Wir schieben und schieben. Vor uns her. Tag ein, Tag aus, Licht an, Licht aus, im Himmel ohne Sonne, wolkenbehangen den Einkaufswagen, den Vordermann. Dem wir klar machen, dass wenn er nicht schneller. In die Hacken! Oder mit Haken durch das langsame Gewühl. In der Ruhe liegt die. Angriffslust. Der Sturm. Zieht heran. Zieht an. Schneller. Wir haben doch keine Zeit obwohl wir so viel Zeit haben. Noch ein Eis.

Haben Sie alles gefunden, waren Sie zufrieden mit? Ja! Nein. Weiß ich nicht.

| Niklas Linnenbach

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