Fragen an Herrn Kaiser

Kulturbuch | Joachim Kaiser: Sprechen wir über Musik. Eine kleine Klassik-Kunde

Joachim Kaiser hat sich hinreißen lassen, jene Fragen, die Leser der Süddeutschen Zeitung ihm gestellt hatten, nach der Beantwortung in einem Video-Blog nun der Fangemeinde auch in gedruckter Form zugänglich zu machen. VIOLA STOCKER hat sich seine kleine Klassik-Kunde angesehen und würde nun gerne über Musik sprechen.
  Joachim Kaiser: Sprechen wir über Musik. Eine kleine Klassik-Kunde
Musikwissenschaftler und Kritikerpapst Joachim Kaiser betont bereits in seinem Vorwort, in Sprechen wir über Musik. Eine kleine Klassik-Kunde absichtlich den legeren mündlichen Tonfall seines Video-Blogs beibehalten zu haben. So charmant dieser Plauderton für die geschmeichelten Fragesteller der Süddeutschen Zeitung im Video-Blog gewesen sein mag – für dieses Buch bedeutet er einen ständigen Stolperstein.

Die vermaledeite Oberfläche

Alles, was Kaiser zu sagen hat, ist wie immer geistreich und logisch. Aber leider viel zu wenig. Das mag wohl an der großen Bandbreite der Themen liegen, die er sich zu bearbeiten vorgenommen hat. Von Beethoven zu herzbewegender Musik, von Wagners Texten, Heldentenören, Pianisten, die Noten benötigen bis hin zu Netrebko, Glenn Gould, vergessenen Werken, Benimmregeln in der Oper und Selbstkritik eines Kritikers.

Die kaum mehr als hundertsiebzig Seiten reichen nicht aus, all diese Belange in angemessener Form zu behandeln, Kaisers Anmerkungen haftet der Makel von Gedankensprüngen an, denen man nur folgen kann, wenn man auch seine früheren Spuren gut kennt. Denn bevor man mit Taktzahlen um sich wirft ist es für manche doch hilfreich, ein Werk wenigstens kurz anzusprechen, sonst vermitteln die vielen Anmerkungen eher den Eindruck von Selbstgesprächen eines Eingeweihten.

Der Charme des Alters

Kaisers Klassik-Kunde liest sich vor allem dann angenehm, wenn er aus seinem reich bestückten Nähkästchen plaudert. Gespräche und Interviews mit Größen wie Marlene Dietrich, Vladimir Horowitz, Dietrich Fischer-Dieskau, Rubinstein und Karajan fließen unprätentiös in seine Erläuterungen mit ein und verleihen dem Buch Charme und Wärme. Hier beschreibt ein sehr kluger alter Herr die prägenden Erfahrungen, die ihn zu dem Musikkritiker gemacht haben, als der er bekannt ist.

Es ist genau dieser Charme, der das Buch trotzdem sehr kurzweilig geraten ließ, entgegen aller oben erwähnten Enttäuschungen. Herrn Kaiser zuzuhören, ist ein großes Geschenk. Dass man dabei weniger über Musik lernt als über das Leben, ist ein zu verschmerzender positiver Nebeneffekt.

| VIOLA STOCKER

Titelangaben:
Joachim Kaiser (in Zusammenarbeit mit Henriette Kaiser): Sprechen wir über Musik. Eine kleine Klassik-Kunde
München: Siedler 2012
176 Seiten, 16,99 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Besuch aus Chile, Vögel aus Neuseeland und der voglwuide ChickenWingBudeKing

Nächster Artikel

Wie die Welt sich dreht

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

Spacegirl Matha auf dem Mars

Kulturbuch | Cristina De Middel: The Afronauts Als der Wettlauf zum Mond in den 1960er Jahren auf dem Höhepunkt war, triumphierte eine Zeitung mit der Überschrift: »We’re going to Mars! With a Spacegirl, two Cats and a Missionary.« Verfasser des Artikels war ein ambitionierter Exzentriker namens Edward Makuka Nkoloso, ehemaliger Aktivist für die Unabhängigkeit von Sambia, Lehrer und Direktor seiner eigenen Akademie der Wissenschaft, Weltraumforschung und Philosophie – Sambias inoffiziellem Raumfahrtprogramm. Von SABINE MATTHES

Wie das Bild zum Bild wird

Kulturbuch | Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen

Die neue ›Berlin University Press‹, die sich als populäres und gleichzeitig wissenschaftliches Leitmedium in der deutschen Verlagswelt etablieren will, startet ihr Programm klugerweise unter anderem mit einer Sammlung von Aufsätzen des Kunsthistorikers Gottfried Boehm, der wie kein anderer die interdisziplinär bedeutende Strömung der Bildwissenschaften prägte. »Wie Bilder Sinn erzeugen« führt Fachleute und interessierte Laien gleichermaßen in das weite Feld der Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen der Bilder ein. Von SEBASTIAN KARNATZ

Ästhetik der Gehörlosigkeit

Kulturbuch | Rafael Ugarte Chacón: Theater und Taubheit Das Theater ist nicht nur ein Ort der Kritik, sondern auch ein Ort der Herrschaftsproduktion! Das Theater ist nicht nur ein Ort der Reflexion, sondern auch ein Ort der Hierarchierepräsentation! Ergo werden kontinuierlich diverse soziokulturelle Gruppen durch die Darstellungsformen exkludiert. Der Theaterwissenschaftler Rafael Ugarte Chacón versucht deswegen in seiner Dissertation für die Gruppe der Gehörlosen auszuloten, inwiefern sie vom Theaterbetrieb ausgeschlossen werden und mit welchen theatralen Formen und Methoden man ihnen Zugang gewähren kann. Sein normatives Konzept heißt ›Aesthetics of Access‹. PHILIP J. DINGELDEY hat Ugarte Chacóns Monographie ›Theater und Taubheit. Ästhetiken

Licht, Lektüre und Latrinen

Kulturbuch | Irene Vallejo: Papyrus

Irene Vallejos beeindruckendes Mammutwerk Papyrus ist eine leidenschaftliche Hommage an die Welt der Bücher – und an die Menschen, deren Wirken untrennbar mit ihnen verbunden ist: Autoren, Dichter und Kopisten, Buchhändler und Bibliothekare, Philosophen und Wissenschaftler, Kaiser und Feldherren – und nicht zuletzt Leser. Eine spannende Kulturgeschichte über das Schreiben, Lesen und Bewahren in vergangenen Epochen. Von INGEBORG JAISER

Totaler Grenzüberschreitungskickwahnsinn

Kulturbuch | Jürgen Teipel: Mehr als laut DJs erzählen. Von Partys und ständigem Unterwegssein. Von Beziehungen und Lampenfieber. Ekstase und Drogen. Euphorie und Depression. In seinem Doku-Roman Mehr als laut lässt Jürgen Teipel seine Protagonisten selbst zu Wort kommen und entlockt ihnen ganz persönliche Geschichten über die wilde Clubkultur der 90er Jahre. Ein Buch, zwanzig Interviews. Von EVA HENTER-BESTING