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Es muss nicht immer Trollinger sein

Kulturbuch | Kathrin Haasis: Württemberger Weinlese

Stuttgarts Weinszene boomt und seine stolzen Winzer räumen bei Wettbewerben zahlreiche Preise ab. Mit der Journalistin und Kolumnistin Kathrin Haasis hat sich eine profunde Kennerin auf eine vergnügliche Württemberger Weinlese begeben – kenntnisreich und vielseitig. Von INGEBORG JAISER

Kathrin Haasis: Württemberger Weinlese
Kathrin Haasis: Württemberger Weinlese
»Der Name Wirtemberg schreibt sich vom Wirt am Berg. Ein Wirtemberger ohne Wein, kann der ein Wirtemberger sein?« behauptete bereits Friedrich Schiller 1792. Und Stuttgarts ehemaliger Slogan »Großstadt zwischen Wein und Reben« wird immer noch gerne als treffender Werbespruch zitiert. Die gesamte Region lebt nicht nur von der Automobilindustrie sondern auch von einem ambitionierten Weinbau. Denn die Winzer in und um der Schwabenmetropole herum haben längst nicht mehr nur Trollinger zu bieten.

Autodidakten und Allrounder

Kathrin Haasis, die als Redakteurin der Stuttgarter Zeitung seit Jahren die vielbeachtete Weinkolumne »Lesestoff« betreut und dort mit zwei ebenfalls vinologisch infizierten Kollegen sehr kenntnisreich über Restzucker, Säure und Terroir disputiert, hat längst ihre berufliche Mission zur Passion erklärt. Neugierig und wissensdurstig hat sie sich durch zahlreiche schwäbische Weingüter getrunken und ihre Erkenntnisse, Erfahrungen und Begegnungen in der Württemberger Weinlese zusammengetragen. Martin Stollberg – sonst eher auf Whisky spezialisiert – hat diesen Band mit rund 100 höchst lebendigen, stimmungsvollen Fotografien aus außergewöhnlichen Perspektiven illustriert. Unterhaltsamer und informativer kann man sich eine kurzweilige Weinreise durch das Ländle kaum vorstellen!

Etwas Historie zur Einstimmung, gefolgt von einem augenzwinkernden Abstecher zu schwäbischen Eigenarten, läutet die anregende Exkursion durch gut 40 württembergische Weingüter ein. Hier werden sowohl Neulinge als auch Altmeister, sowohl aufstrebende Shootingstars als auch alteingesessene Urgesteine porträtiert: innovative Kollektive, Nebenerwerbs-Revoluzzer, Autodidakten und Allrounder. Überaus vielseitig und kreativ ist die Szene.

Wein 0711

Wer mit Stuttgart erst mal Trollinger assoziiert, wird hier eines Besseren belehrt. Lediglich 18 Prozent der württembergischen Rebfläche beansprucht er für sich. Im schelmisch »Wein 0711« übertitelten Kapitel lernen wir etliche wegweisende Winzer der Landeshauptstadt mit ihren herausragenden Produkten kennen: sei es die preisgekrönte Genossenschaft Untertürkheim, die sich publikumswirksam in »Weinmanufaktur« umbenennt oder Stuttgarts erste Weinmacherin Christel Currle oder den Newcomer Frank J. Haller, der für die Fantastischen Vier eine szeneträchtige Weißwein-Cuvée maßschneidert. Natürlich darf ein amüsanter Abriss über die Stuttgarter Besenwirtschaften (»Im Wohnzimmer der Wengerter«) nicht fehlen, wurde doch in einer der erwähnten Locations der letzte Tatort mit Kommissar Bienzle gedreht.

Geografische Exkurse nach Frankreich, Spanien, Neuseeland und Kanada stellen Württemberger Winzer vor, die ihr Glück auf fremdem Terroir gefunden haben. Doch auch viele Heimatverbundene lassen das Ausland erzittern: geradezu zum Zankapfel wurde Jörg Geigers legendärer Schaumwein aus der Champagnerbratbirne. Diese und zahlreiche weitere Geschichten blättert die Autorin Kathrin Haasis genüsslich und sachkundig auf, komplettiert mit Hinweisen zu den besten (W)Einkaufsquellen, einer schematischen Übersichtskarte und einer thematisch weiterführenden Bibliografie. So vermengt diese Württemberger Weinlese geschickt Traditionelles und Neues, Edles und Kurioses, Hiesiges und Internationales in Wort und Bild.

| INGEBORG JAISER

 

Titelangaben:
Kathrin Haasis: Württemberger Weinlese. Winzer in und um Stuttgart
Stuttgart: Theiss 2012
163 Seiten. 34,95 Euro

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