Kafka im Iran

Mana Neyestani: Ein iranischer Albtraum

Berühmt ist der iranische Cartoonist Mana Neyestani eigentlich für scharfe, politische Karikaturen über Wahlfälschung und Terrorregimes. Die sind aber nicht der Grund, warum er jetzt in Frankreich im Asyl lebt. Schuld daran ist die Aufregung um eine kleine Gedankenlosigkeit in einer Kinderzeitschrift, die zu Aufständen und Toten führte. In seiner ersten Graphic Novel beschreibt Neyestani diese politische Farce, seinen Gefängnisaufenthalt und seine nervenaufreibende Suche nach Asyl – unter dem Titel Ein iranischer Albtraum. BORIS KUNZ hat sich auf diesen Trip begeben.

Soheil ist ein zehnjähriger Junge, dem die unfrisierte Matte über die Augen hängt, und der eine gewisse Ähnlichkeit zur Dennis, die Nervensäge aufweist. Eine harmlose und unpolitische Comicfigur für Kinder, mit der der Cartoonist Mana Neyestani sein Geld verdient, nachdem man sich 2005 im Iran keinen Gefallen mehr tut, wenn man politische Karikaturen zeichnet. In einer Episode in der Kinderbeilage einer bekannten iranischen Zeitung begegnet Soheil einer Kakerlake, und diese äußert an einer Stelle das Wort »Namana«, was im Alltags-Farsi in Teheran etwa die Funktion von »Wie bitte« erfüllt. Allerdings stammt das Wort aus der Sprache einer türkischstämmigen Minderheit, den Aseri. Und die fühlen sich nun durch diesen Cartoon gemeint und als Ungeziefer bezeichnet. Ausgerechnet der regimekritische, verstummte und zur Harmlosigkeit verdammte Cartoonist Neyestani provoziert also eine politisch verfolgte Minderheit im eigenen Land und lässt aus Gedankenlosigkeit einen Tropfen in ein zum Überlaufen gefülltes Fass fallen.

Warten auf den Prozess

Es kommt aber – zumindest aus der Perspektive von Neyestani betrachtet – noch viel dicker: Obwohl ihm die Richter bestätigen, kein Gesetz gebrochen zu haben, wird er inhaftiert; angeblich zu seiner eigenen Sicherheit. Im Gefängnis dann gerät er in die Fänge des Geheimdienstes. Ihm wird vorgeworfen, vom CIA gekauft worden zu sein und die Unruhen absichtlich provoziert zu haben, um die Regierung in schlechtem Licht erscheinen zu lassen. Nachdem diese Behauptungen ins Leere laufen, muss Neyestani, wenn er schon mal da ist, Informationen über seine Kollegen preisgeben. Er ahnt, dass ihm in dem völlig undurchsichtigen Rechtssystem des Iran entweder eine Haftstrafe ohne absehbares Ende, oder ein Doppelleben als unfreiwilliger Informant und Geheimdienstspitzel bevorsteht. Gleichzeitig muss er damit leben, dass auch sein Redakteur, der an dieser Geschichte völlig unschuldig ist, mit ihm im Gefängnis sitzt und mit Berufsverbot bedroht wird, und dass außerhalb der Gefängnismauern Menschen sterben, die wegen seines Cartoons auf die Straße gegangen sind.

Nicht zu unrecht eröffnet Neyestani die spannende und bittere Graphic Novel, in der er all diese Erlebnisse verarbeitet, mit einem Zitat aus Kafkas Verwandlung, der Geschichte von Gregor Samsa, der sich eines Morgens in ein Ungeziefer verwandelt wiederfindet. Zum einen ergeht es Neyestani genau wie den Figuren aus einem Kafka-Roman, die unverschuldet zum Spielball von bizarrer, nicht nachvollziehbarer Macht- und Behördenwillkür werden. Zum anderen ist die Kakerlaken-Parallele einfach zu gut, um sie nicht zu nutzen. Und natürlich streicht Neyestani damit auch noch einmal die eigene Erzählhaltung dieses Comics heraus: Dies ist keine didaktische, gesellschaftspolitische Analyse des Iran, es ist nicht einmal eine politische Anklageschrift – und eine umfassende Autobiographie ist es auch nicht. Es sind die subjektiven Schilderungen eines Menschen, der für einige Monate einen privaten Albtraum durchmachen musste, und der sich diese Erlebnisse von der Seele schreibt und zeichnet. Als Neyestani schließlich einen Hafturlaub zur Ausreise nutzt und versucht, in Kanada oder Europa Asyl zu bekommen, führt das zu einer Odyssee über Dubai, die Türkei, Kuala Lumpur und China, auf die die Bezeichnung kafkaesk sogar noch mehr zutrifft als auf seine Erlebnisse im Gefängnis.

Der Verschollene im 21. Jahrhundert

Graphisch hat Neyestani seine erste lange Erzählung genauso gestaltet, wie auch seine politischen Cartoons aussehen: in einem Stil, der wohl international gleich ist. Die schwarz-weiß belassenen Zeichnungen sehen genau so aus wie Karikaturen in der SZ oder der New York Times. In seiner Erzählung konzentriert sich Neyestani dabei hauptsächlich auf die Personen, die er teils in grober, teils in feingliedriger Schraffurtechnik sehr plastisch gestaltet (ist es Zufall, dass die Visagen der gemeinsten Schreibtischtäter hin und wieder an die Cartoons von Terry Gilliam erinnern?), während die Hintergründe meist recht einfach gehalten sind und keinen Anspruch an Naturalismus oder detaillierten Informationsgehalt stellen – wie etwa bei Joe Saccos Comic-Reportagen. Immer wieder arbeitet Neyestani mit symbolischen Überhöhungen, etwa der immer wieder auftauchenden Kakerlake, die ihn überallhin verfolgt, und er verbindet gelungen die sequenzielle Erzählsprache des Comics mit der metaphorischen Erzählsprache des Zeitungscartoons.

Mit politischen Kommentaren hält er sich aber weitgehend zurück. Sein Werk ist nicht, wie etwa Persepolis, eine Zustandsbeschreibung des Iran für Außenstehende. Er liefert gerade so viel Informationen über Hintergründe und Zusammenhänge, dass man der Erzählung folgen kann und seine Anspielungen versteht. Mit Lokalkolorit, mit schwarzen Schnurrbärten bei den Männern, Kopftüchern bei den Frauen oder anderen visuellen Elementen, die einen europäischen Leser auch optisch daran erinnern, dass diese Geschichte im Iran spielt, hat Neyestani nicht viel am Hut. Ob das seinem generellen Zeichenstil geschuldet oder eine bewusste Entscheidung ist, sei dahingestellt: Für den Leser ergibt sich daraus der spannende Effekt, dass man nicht mit einer fremden Kultur konfrontiert wird, sondern nur mit einer unangenehmen Situation. Auf seinen Comicseiten sieht Neyestani so aus, als ob er auch ein junger Franzose, Amerikaner oder Deutscher sein könnte – und wenn er sich in seiner Zelle langweilt, dann diskutiert er nicht über Revolution oder den Islam, sondern über die letzte Oscar-Verleihung. Anknüpfungspunkte gibt es also genug.

kommt, dass Neyestani von den meisten Brutalitäten verschont bleibt, von denen man sich hierzulande vorstellt, dass sie einen politisch verfolgten Iraner leicht ereilen können. Weder wird er gefoltert noch nach Guantanamo verschleppt, seine Familie stirbt nicht bei Aufständen auf der Straße, und auch der Kauf von Flugtickets nach Dubai oder die finale Konfrontation mit den chinesischen Zollbehörden geschehen relativ unspektakulär. Denkt man sich als Leser diese Geschichte nach Deutschland, wäre es ein Justizskandal ohne Gleichen. Stellt man sie sich in den USA vor (wo es nur ein Jahr zuvor in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina zu ganz ähnlichen Fällen kafkaesker Justiz gekommen ist), hält man sie mit einem Schaudern für nicht völlig unwahrscheinlich. Denkt man sie sich aber in den Iran, so glaubt man, sagen zu können: Letztlich ist der Cartoonist doch noch ganz gut weggekommen. Die Tatsache, dass man beim Lesen immer wieder das Gefühl hat, diese Story könnte überall spielen und man sie dennoch vor ihrem tatsächlichen Background anders bewertet, als vor ihrem möglichen, ist einer der beunruhigendsten Effekte bei der Lektüre. Trotz des Titels betont Neyestani in seinem Werk immer wieder, dass er weniger das Opfer spezifisch iranischer Politik, als vielmehr universeller menschlicher Dummheit und Ignoranz gewesen ist. Und davor ist man nirgendwo gefeit …

| BORIS KUNZ

Titelangaben
Mana Neyestani: Ein iranischer Albtraum (Une métamorphose iranienne)
Aus dem Französischen von Marin Aeschbach und Wolfgang Bortlik
Zürich: Edition Moderne 2013
200 Seiten, 24 €

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