Kopflos

Musik | Toms Plattencheck


Twelve reasons to die ist das aktuelle Soloalbum des langjährigen Wu Tang Clan Members Gostface Killah.

Das starke, von Adrian Younge produzierte Rap-Album kam dann zum Record Store Day limitiert als alternative Version in der Bearbeitung von Apollo Brown – als The Brown tape heraus ( ja, tatsächlich auf dem Medium Kassette). So viel also zu unseren allzu schnell drehenden Zeiten, das »limitiert« hat sich jetzt auch erledigt, da Twelve reasons to die: the Brown tape nun auch für jedermann erhältlich ist. Und bei aller Skepsis bezüglich solcher Mehrfachverwertungen: Was Mr. Brown hier abliefert, ist mehr als ein schnöder Remix und in der Tat hörenswert. In dieser Version nähert sich Twelve reasons to die weiter dem Ideal eines mitte-90er-Hip Hop-Albums. Zu den starken Beats und Killahs Lyrics, in denen er sich wiederholt in die Warzone begibt, bastelt Brown mittels Filmdialog-Schnipseln, Gänsehaut-Vocalsamples (Beware of the stare) oder Samples klassischer Blues Gitarre (Rise of the black suits) ein kleines, aber entscheidendes Extra an Emotion in den Flow der zwölf Gründe zu sterben. Younge versus Brown ist letztlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das der persönliche Geschmack entscheidet.

Wer sich nach Aufarbeiten, Nachkaufen und Abgreifen von Wiederveröffentlichungen immer noch nicht sattgehört hat an Post Punk, New Wave und 80´s Elektronik, der sollte hier die Ohren spitzen. Die anglo-amerikanischen Klassiker und die deutschen Highlights mag man ja in der Sammlung haben, Mutazione aber liefert auf zwei CDs einen Überblick was den italienischen Underground der 80er anbelangt – ja, darauf hat uns nicht einmal Rip it up … von Simon Reynolds vorbereitet. Neben dem Italo-Schmalzpop, den man vom Lieblingsitaliener am Eck kennt, fällt einem zu italienischer Musik am ehesten noch Italo Disco und die immer wieder aufblühende Progrock-Szene ein. Was Alessio Natalizia (WALLS) hier zusammengestellt hat, unterscheidet sich davon schon deutlich. Mutazione vereint interessante Ausritte in Genres wie Industrial, New Wave und Elektronik, die ihre Gemeinsamkeit in der Weiterentwicklung von Punk-Einflüssen finden. Viele der hier versammelten Stücke erschienen ursprünglich in Kleinstauflagen, oft nur auf limitierten Kassetten als Beilage zu Fanzines. Dabei zeigt sich auch der Nachhall der »Anni di Plombo«, der Jahre beispiellosen politischen Aufruhrs im Italien zwischen den späten 60er und frühen 80er Jahren. Fabrizio Lucarini von Plath, einer jener Bands, die in besetzten Häusern irgendwo in der Toskana oder Emilia Romagna entstanden waren, erklärt: »Wir waren gegen das politische System, rechts und links war das Gleiche für uns.« Weitere Vertreter. Die Form, Neon, Carmody oder Pale TV. Zusammen mit ausführlichen Sleeve Notes und zahlreichen Fotos eine äußerst gelungene Zusammenstellung.

| TOM ASAM

Titelangaben
Ghostface Killah: Twelve reasons to die: The Brown tape (Soul Temple/ Rough Trade)
Mutazione: Italian Elecctronic & New Wave Underground 1980-1988 (Strut/ Alive) – V.Ö.:2.08.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Freizeitbeschäftigung für einen schönen Sonnentag

Nächster Artikel

Die Macht des Gewohnten

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Begräbnis-Pop und die heilige Stromgitarre

Musik | Toms Plattencheck »Es war entsetzlich kalt; es schneite, und der Abend dunkelte bereits; es war der letzte Abend im Jahre, Silvesterabend. In dieser Kälte und in dieser Finsternis ging auf der Straße ein kleines, armes Mädchen mit bloßem Kopfe und nackten Füßen.« So beginnt die märchenhafte Kurzerzählung ›Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern‹ von Hans-Christian Andersen. Und wo bleibt jetzt die Musik? Von TOM ASAM

Are you brave enough?

Musik | marc moraire: The Story of Robert Volant

Ein Newcomer der psychedelischen Musikszene: Im Januar 2020 erschien mit The Story of Robert Volant das Debütalbum des Musikers marc moraire. Nicht nur das Albumdesign ist ein wahrer Eyecatcher, auch der strukturelle Aufbau des Albums sticht direkt ins Auge: Fünf Akte, zehn Szenen. Ein musikalisches Drama in englischer Sprache. Dichtkunst trifft Tonkunst. Eine gelungene Synthese. Mit Ben Westerath und Kim Helbing hat er sich zwei weitere Künstler*innen an seine Seite geholt, die die Seelenreise des fliegenden Roberts durch ihre Stimmen untermalen. SAHRA SCHMITTINGER sprach mit dem Künstler über die Intention seines ersten Albums.

Die letzte Rockband – Welcome to the Jungle

Musik | Ottar Gadeholt über die mythologische Seite von Guns N’Roses (Teil II) Der Beginn von ›Welcome to the Jungle‹ ist zu recht berühmt: der zerhackte Einzelton, der mehrmals wiederholt und dabei stets schwächer wird, wie ein Schritt, der zwischen den Hausmauern hallt; ein neuer Versuch, etwas stärker und sicherer, und daraufhin eine Kaskade fallender Töne, jedoch mit dem ersten Einzelton als Beginn jeder Folge (Laut eines Gitarrenbuchs, das ich mal gekauft habe, werden die Folgen mit einer Echopedale gespielt, wenn man aber ein wenig geübt hat, ist es vollkommen möglich, wenn auch nicht ganz einfach, sie auch ohne zu

In der Ruhe liegt die Kraft

Musik | Toms Plattencheck Der in München geborene Kanadier mit ukrainischen Wurzeln, Lubomyr Melnyk, ist ein interessanter Komponist und Pianist, dem der gegenwärtige Trend zur Zusammenführung von Klassik und Pop im weitesten Sinne entgegenkommt. Während der Großteil seiner Veröffentlichungen auf Kleinstlabels, von einer breiteren Öffentlichkeit unbemerkt, erfolgte, führen Auftritte auf (Indie-)Popveranstaltungen und die Veröffentlichung auf Erased Tapes und nun mit Windmills auf Hinterzimmer zu einem ganz anderen Publikum. Von TOM ASAM

Our Love Is Dust: New Album Reviews

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Now that festival season is firmly upon us it can be hard to find music prepared to take chances, experiment, or which has a sense of emotional depth. Short DJ sets, unimaginative selectors, and impatient crowds mean that subtlety and nuance can be overlooked in the search for the next chant-a-long, or hands in the air anthem. This week I will be highlighting some music you are unlikely to hear at Space or Glastonbury, but which will challenge you and light up your day. By JOHN BITTLES