Roman | Ian Rankin: Mädchengrab
John Rebus ist wieder da. Zwar schafft es Ian Rankins in die Jahre gekommener Serienheld nicht wieder an seinen alten Arbeitsplatz – doch mitverantwortlich für die Aufklärung so genannter »cold cases« kann der unkonventionelle Rentner aus Edinburgh schnell beweisen, dass die neue Generation zwar fixer mit der Maus ist, Intuition und Einfühlungsgabe aber noch lange nicht ausgedient haben. Mädchengrab – gelesen von DIETMAR JACOBSEN
Vier junge Mädchen werden vermisst. Und jede von ihnen wurde zuletzt an der Autobahn 9 gesehen. Weil John Rebus, Ex-DI der Edinburgher Polizei, nicht mehr im aktiven Dienst ist, sondern sich in einer kleinen, von staatlichen Sparzwängen ständig in ihrer Existenz bedrohten Abteilung zur Aufklärung bereits zu den Akten gelegter Fälle ein Zubrot zur Rente verdient, sollte er sich eigentlich nur mit dem Schicksal von drei seit Jahren Verschwundenen beschäftigen. Doch plötzlich kommt ein brandaktueller Fall dazu. Und Rebus ist wieder im Geschäft, das er auf seine gewohnte Weise und Seite an Seite mit seiner einstigen Musterschülerin Siobhan Clarke erledigt, der nun die neue Aufgabe zukommt, ihren widerspenstigen Ex-Chef etwas einzubremsen.
Den Leser freut’s. Denn Rankins Held war immer einer, dessen Eigenwilligkeit man zu schätzen wusste über zwei Jahrzehnte hinweg. Kein Wunder also, dass er so, wie er 2007 gegangen ist, nun auch wiederkehrt: autoritätsresistent, dickköpfig, intelligent und unberechenbar. Dass ihn jede einzelne dieser Eigenschaften – und schon gar alle vier zusammen – nicht zu einem jener Teamplayer machen, wie die moderne Polizeiarbeit sie zu erfordern scheint, stört ihn wenig. Und mit galligem Humor reagiert der Dino auch auf die Tatsache, dass seine Kontakte zur Edinburgher Unterwelt ihn ins Visier der Internen Ermittlung bringen. Rebus ist eben Rebus.
Verbrechen an der A 9
Übrigens werden aus den vier Vermissten im Laufe der Ermittlungen erst drei, weil Rebus`feines Gespür ihn zu einer Frau führt, die sich seit Jahren unter falschen Identitäten versteckt hält, und dann fünf, da die Umstände der Tat, nachdem sie öffentlich wurden, zwei weitere Verbrechen offenbaren. Und weil er hartnäckig die in den entlegenen und menschenleeren Norden Schottlands führenden Straßen rund um die A 9 auf und ab fährt, steht Rebus eines Tages auch als einer der Ersten vor den verscharrten Leichen der vermissten Mädchen.
Wie es weitergeht, wollen wir hier nicht verraten. Wer auch nur einen der 17 zwischen 1987 und 2007 erschienenen Rebus-Romane gelesen hat, ahnt sowieso, welche Rolle dem knorrigen Urgestein auch diesmal wieder zufällt. Dass der Rock-Fan – viele seiner literarischen Kollegen legen Jazz-Platten auf, während sich John Rebus am liebsten mit Led Zeppelin und den Stones die musikalische Kante gibt –, Whisky-Liebhaber und passionierte Raucher Rebus die Nase zum Ärger etlicher Kollegen und Vorgesetzter am Ende wieder vorn haben würde, war praktisch klar von Anfang an. Wie er den Täter allerdings am Ende zum Eingeständnis seiner Schuld bringt, ist so ein Schachzug, den man auf Polizeihochschulen nicht lernen kann.
Ein solide gestrickter Polizeiroman
Mädchengrab ist ein solide gestrickter Polizeiroman. Ähnlich souverän erzählt auf der Insel momentan wohl nur noch John Harvey. Ian Rankin kennt seine Schotten und beeindruckend sind seine Beschreibungen der rauen Landschaft nördlich von Edinburgh. Nicht übertrieben werden die privaten Probleme der Hauptfigur – Rebus lebt allein, hat aber eine Tochter, zu der sich das Verhältnis offenbar ein wenig schwierig gestaltet – und immer wieder freuen kann sich der Leser über die feine Ironie Rankins.
Die kommt zum Beispiel darin zum Ausdruck, dass sein neuer Serienheld Malcolm Fox (bisher in zwei Romanen aktiv) in Mädchengrab alles unternimmt, um eine erneute Einstellung des politisch völlig unkorrekten Rebus in den Polizeidienst zu verhindern. Doch Rankin liebt diese Figur, die ihn weit über seine Heimat hinaus berühmt gemacht hat, offenbar so, dass man sich nicht vorstellen kann, ihr im vorliegenden Roman zum wirklich allerletzten Mal begegnet zu sein.
Titelangaben
Ian Rankin: Mädchengrab
Aus dem Englischen von Conny Lösch
München: Manhattan 2013
507 Seiten. 19,99 Euro