Jugendbuch | Sarah N. Harvey: Arthur oder Wie ich lernte den T-Bird zu fahren
Der siebzehnjährige Royce hat eine besondere Aufgabe übernommen: Gegen Bezahlung soll er sich um seinen Großvater kümmern. Aber Arthur ist ebenso exzentrisch wie unausstehlich. ANDREA WANNER beobachtete eine zaghafte Annäherung zwischen den beiden.
Als »Knechtschaft« empfindet Royce die Arbeit im Haus seines Großvaters, den die ausgebildeten Pflegerinnen vor ihm nie lang aushielten. Arthur Jenkins, »gefeierter Cellist, legendärer Frauenheld, katastrophaler Vater, beschissener Großvater«, macht im fortgeschrittenen Alter seiner Umwelt das Leben so schwer wie irgend möglich. Misstrauisch, übellaunig und kauzig begegnet er seinen Mitmenschen, unfreundlich und beleidigend. Royce muss sich immer wieder seinen Stundenlohn von 15 Dollar vor Augen halten, hochgerechnet auf vier Monate 7200 Dollar, eine stolze Summe, ausreichend für den Kauf eines eigenen Autos. Royce’ Plan ist, dann vom Westen Kanadas, wohin er mit seiner Mutter umzog, zurück in den Osten, nach Neuschottland zu fahren. Auch an diesem Umzug ist Arthur schuld: der 95jährige braucht nach einem Schlaganfall Pflege und Nina, Royce’ Mutter und eine von Arthurs beiden Töchtern, fühlt sich verpflichtet sich um den Vater zu kümmern, der sich nie um sie kümmerte.
Royce, der erst im Herbst wieder zur Schule gehen wird, ist also eine Notlösung für das Problem Arthur. Er hat Zeit, er will Geld verdienen. Und er steckt voller Wut auf diesen Großvater, der sich nie für seine beiden Töchter – Ninas ältere Schwester Marta lebt mit ihrer Familie in Australien – und nie für seinen Enkel interessierte. Der 17jährige, dessen Vater tödlich verunglückte, als er zwei Jahre alt war, tritt seinen Job mit mehr als gemischten Gefühlen an und sieht sich schnell bestärkt: Die Betreuung von Arthur ist eine katastrophale Zumutung, die er sich nie im Leben vier Monate antun kann. Vor allem eines ist schnell klar: Arthur will seine Hilfe auch gar nicht.
Der T-Bird
Es kommt zu unschönen Begegnungen und Konfrontationen. Aber irgendwie müssen sich die beiden zusammenraufen. Das Eis zwischen Großvater und Enkel schmilzt sehr langsam, fast unmerklich. Aber als Royce entdeckt, was Arthur in der Garage stehen hat, hält sich seine Begeisterung kaum in Grenzen: ein Ford Thunderbird, Baujahr 1956, in tadellosem Zustand – einer der Klassiker des amerikanischen Automobilbaus schlechthin. Für Royce wird das Chauffieren dieses Wagens zu einer echten Herausforderung und Arthur blüht bei den Ausflügen mit offenem Verdeck – wo er doch ansonsten Zugluft meidet wie die Pest – regelrecht auf. Ein Puzzleteilchen bei einer schwierigen Annäherung, die zur Gratwanderung zwischen Distanz und Nähe für beide wird.
Der kanadischen Autorin Sarah N. Harvey gelingt die Balance zwischen Ernst und Humor, wenn sie in ihrem Jugendbuch von Alter, Demenz und Tod erzählt. Royce ist ein junger Mann, der seinen Weg sucht und voller Selbstmitleid steckt. Der Umgang mit seinem Großvater verändert seinen Blick auf die Welt. Arthurs Angst vor Abhängigkeit von anderen, der verzweifelte Kampf eines 95jährigen, nicht den letzten Rest seiner Würde zu verlieren, beschäftigen und berühren Royce. Respekt, Verantwortung, Mitgefühl und dann wieder blanke Wut auf den Alten: Royce Gefühle fahren Achterbahn. Wer ist der wahre Arthur? Wie war er als junger Mann? Was davon ist noch übrig? Auch der Abschied von Arthur spart nichts aus, zeigt Sterben nicht als sanftes Einschlafen, sondern als trotzigen Kampf. Das Ende ist dennoch versöhnlich für alle Beteiligten. Und das Buch eine besondere Erfahrung für junge Leser.
| ANDREA WANNER
Titelangaben
Sarah N. Harvey: Arthur oder Wie ich lernte den T-Bird zu fahren (Death Benefits, 2010).
Aus dem Englischen von Ulli und Herbert Günther
München: dtv Reihe Hanser 2013
240 Seiten. 13,95 Euro
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