Der Einsiedler aus Providence und der Zeichner aus Amsterdam

Comic | Erik Kriek/H.P.Lovecraft: Von Jenseits und andere Erzählungen

Comiczeichner Erik Kriek hat sich fünf Erzählungen von H.P. Lovecraft vorgenommen – und die klassischen Horrorerzählungen in ein klassisches Comic-Gewand gepackt. Das lässt Liebhaber-Herzen höher schlagen. Auch das von CHRISTIAN NEUBERT.

Vom Jenseits
Howard Phillips Lovecraft zählt unbestritten zu den einflussreichsten Autoren der Phantastik- und Horrorliteratur. Seine zahlreichen Kurzgeschichten und Erzählungen, die der 1890 geborene und bereits im Alter von 46 Jahren verstorbene Amerikaner schuf, werden von einer gewaltigen Fangemeinde leidenschaftlich verehrt – vor allem jene Werke, die zusammengenommen, benannt nach der populärsten Schöpfung Lovecrafts, den Cthulhu-Zyklus bilden.

Der in Amsterdam lebende Comic-Zeichner Erik Kriek ist einer dieser Verehrer. Mit der Adaption von fünf Erzählungen Lovecrafts hat er sich einen persönlichen Wunsch erfüllt. Dabei hat er allerdings »etwas sehr Heikles gewagt: In Zeichnungen einzufangen, was man am besten und effektivsten der Phantasie des Lesers überlässt.« Gerard Soeteman, der dem frisch bei Avant verlegten Band ein Vorwort beisteuerte, macht hier auf die Hürde aufmerksam, die es bei einer Comic-Adaption eines klassischen Horror-Stoffes zu meistern gilt: Das durch Worte heraufbeschworene Grauen in Zeichnungen umzusetzen, für das sich der Leser ansonsten jeweils eigene Bilder ausmalt.

Düstere Bilder fürs Unaussprechliche

Da Lovecrafts dämonisch-okkulter Kosmos jedoch längst im popkulturellen Kanon und somit in der Referenzkultur angekommen ist, gibt es von diesem mittlerweile zahllose Abbildungen und Umsetzungen. Andere Autoren – auch Comic-Autoren, z.B. Reinhard Kleist und Alan Moore – sponnen seine Stoffe weiter. Sie wurden filmisch umgesetzt, inspirierten Musiker zu Songs und lieferten die Basis für Computer-, Brett- und Rollenspiele. Sogar Cthulhu-Kuscheltiere finden den Weg über die Ladenkasse, kurz: Lovecraft ist Kult. In diese Presche schlägt nun Erik Kriek mit seinen Illustrationen. Mit Sachverstand und Handwerkskunst kann man schließlich kaum etwas ruinieren, woran sich schon zig andere abgerackert haben.

Kriek packt das Grauen und Entsetzen der Lovecraft-Stories Der Außenseiter, Die Farbe aus dem All, Dagon, Vom Jenseits und Schatten über Innsmouth in stimmungsvolle Bilder, die wenig Graustufen zwischen Schwarz und Weiß zulassen. Mit realistischen Dekors und Figuren fängt er sowohl die Stimmung als auch die Settings der neuenglischen Küstenstädtchen um 1930 gekonnt ein. Dass die Gesichtszüge seiner Protagonisten immer wieder wahnhaft übersteigert werden, ist dabei der zeichnerischen Umsetzung des aufkeimenden Horrors geschuldet: Wenn eine gut erzählte Horrorgeschichte Impressionen weckt, ist es für eine Comic-Adaption naheliegend, auf expressive Bilder zu setzen. Kriek reiht sich mit seiner Comic-Anthologie dabei nicht nur in die Reihe der sich auf Lovecraft berufenden Referenzkultur ein. Er bewegt sich stilistisch innerhalb der Schule, die in den USA der 50er Jahren in Form von Comic-Heften das Fürchten lehrte, sofern sie nicht aufgrund unfreiwilliger oder auch gezielter Komik zum Schmunzeln anregte.

Ein Fest für Fans des Obskuren und Okkulten

Bei Lovecraft speist sich der Horror aus Phänomenen und Kreaturen, die aus unbekannten, mit den menschlichen Sinnen nicht greifbaren Räumen und Zeiten in die Lebenswirklichkeit seiner Protagonisten eindringen – Phänomene und Geschöpfe, die erahnen lassen, dass hinter der rational erklärbaren Welt Mächte wallten, die unbegreiflich und furchtbar sind. Die besondere Wirkung, die von seinem Werk ausgeht, liegt dabei nicht in allein in seiner düsteren Fantasie begründet. Lovecraft hat das Prinzip des Horrors verstanden und entsprechend penibel darauf geachtet, dass er aus einer präzise und glaubhaft geschilderten Erzählwirklichkeit erwächst, um seine Wirkung erzielen zu können.

Auch Erik Kriek verfügt über dieses Verständnis – seine fünf in Vom Jenseits zusammengefassten Comics funktionieren. Man braucht kein Wissen um die zugrunde liegenden Werke, um Gefallen an den fünf Adaptionen zu finden – und Lovecraft-Fans werden Kriek aufgrund der Nähe seiner Umsetzungen zu den Vorlagen als Ihresgleichen erkennen. Die Lektüre der Originale ersetzen die Kriek-Comics jedoch keinesfalls – in Sachen Intensität stehen sie deutlich hinten an. Ein Grund zur Klage ist dies aber nicht: Jeder Lovecraft-Leser dürfte sich dessen zweifellos bereits im Vorfeld bewusst gewesen sein.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Erik Kriek/H.P.Lovecraft: Vom Jenseits und andere Erzählungen
Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens
Berlin: Avant Verlag 2013
112 Seiten. 19,95 Euro

Reinschauen
Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Literatur bietet Orientierung und Perspektiven«

Nächster Artikel

Die Dunkelheit unterm Zucker-Candy – Teil III

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Folter in Blau

Comic | Guy Delisle: Geisel 111 Tage war Christophe André eine Geisel. Als Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation ›Ärzte ohne Grenzen‹ wurde er 1997 im Nordkaukasus von tschetschenischen Separatisten entführt und für eine Erpressung gefangen gehalten, bis ihm aus purem Glück die Flucht gelang. Der Comicdokumentarist Guy Delisle hat den Mann ein paar Jahre später kennengelernt und eine ausführliche Biographie über Andrés Zeit in Gefangenschaft kreiert – in Comicform. Sie heißt ›Geisel‹. PHILIP J. DINGELDEY hat sich das ergreifende und bedrückende Buch angesehen.

»Wir wollten uns einfach mal austoben«

Comic | ICSE 2016 Spezial: Interview mit Sascha Wüstefeld und Ulf Graupner Es war wohl voreilig, sich für ein Interview mit den Machern der Fortsetzungsstory ›Das UPgrade‹, Ulf Graupner und Sascha Wüstefeld, am Rande des Erlanger Comic Salons zu melden. Als er die beiden ersten Bände gelesen hatte, hatte ANDREAS ALT das Gefühl, er müsste sich mit der DDR-Gesellschaft und mit dem ostdeutschen Comicheft ›Mosaik‹ viel besser auskennen, um das zu verstehen. Ganz abgesehen davon, dass die Story munter durch die Zeiten springt und auch sonst ziemlich verrätselt ist. Besser, den beiden Künstlern gleich zu Beginn des Gesprächs zu gestehen,

Anleitung zur Erschließung eines bizarren Universums

Comic | Max Andersson: Container Gesamtausgabe Für das Comic-Gesamtwerk des Schweden Max Andersson braucht man zwar keinen Waffenschein, aber eine Bedienungsanleitung könnte nicht schaden. BORIS KUNZ hat sich an dem schon vor einer ganzen Weile erschienenem Werk versucht.

Die Magie des »Schema F«

Comic | Fletcher Hanks‘ Bizarre Comic Kunst Fletcher Hanks war von 1939 bis 1941 Tagelöhner der US Comic-Industrie. Mit limitierten Mitteln schuf er bizarre Preziosen, die auf wenigen Seiten viel surreales Potenzial ausschöpfen. Dank eines Sammelbands des BSV-Verlags kann man Hanks nun neu entdecken. Was eine Zeitreise darstellt, die CHRISTIAN NEUBERT gerne unternommen hat.

Gratis Comic Tag 2018

Comic | Gratis Comic Tag Einen Feiertag für Comic? Den gibt es! Mit dem »Gratis Comic Tag«! Er findet diesen Samstag statt, also am 12. Mai – bei allen teilnehmenden Händlern. Sein Name ist dabei Programm: Einschlägige Verlage drucken spezielle Verschenk-Exemplare ihrer Erzeugnisse. 18 Verlage sind in diesem Jahr beteiligt, insgesamt winken 35 Gratis-Comic-Hefte.