Roman | Stephan Kaluza: 30 Keller
Stephan Kaluza legte im letzten Jahr mit Geh auf Magenta einen »turbulent erotischen Reigen« (FAZ) auf. In seinem aktuellen Roman, dem Finanzthriller 30 Keller, geraten nicht nur einige Beziehungskisten ins Trudeln. Das gesamte globale Finanzsystem soll ins Wanken gebracht werden. Und ein besonderer Paukenschlag eröffnet das Szenario: Einer der reichsten Männer der Erde wird entführt. Es beginnt ein ganz heißes Tänzchen – findet HUBERT HOLZMANN.
Stephan Kaluza feiert in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag und stellt mit dem neuen Roman 30 Keller sein Talent für dramatische Geschichten unter Beweis. Der Plot ist dabei eigentlich recht simpel: Der Schweizer Multimilliardär Meisner wird von einem Kidnapper entführt, der es – so könnte man meinen – natürlich nur auf seine Moneten abgesehen haben muss. Fast wären wir also bei der endlosen Geschichte von Dagobert und den Daltons. Doch so einfach ist es nun doch wieder nicht.
Die Entführer spielen nämlich (mindestens) ein doppeltes Spiel. Sie schleichen sich als Handwerker getarnt in Meisners absolut gesicherte Luxusvilla am Genfer See ein, umgehen so das Alarm- und Überwachungssystem. Sie schalten das Sicherheitspersonal aus. Folglich ist der alte Milliardär leichte Beute.
Unvorhergesehenes tritt ein
Meisner rechnet natürlich überhaupt nicht mit diesem Verbrechen. Das Unvorhergesehene, Ungeplante, Überraschende gibt es in seinem Leben eigentlich überhaupt nicht mehr. Er hat die totale Kontrolle über seinen Konzern und die absolute Macht, alles zu bestimmen. Als er sich zu Beginn der Geschichte etwa über seinen Chauffeur Jeannot ärgert, hält er in seinem Notizbuch nur kurz fest: »Jeannot fristlos kündigen. Morgen. Soll das Büro machen.« Er ist ein Mann der Tat. – Eigentlich. Wie gesagt.
Denn gleich zu Beginn des Buches ist die Situation merkwürdigerweise leicht angespannt. Der Rückweg im Maybach von der Firma zur Villa am Genfer See entlang ist erstaunlicherweise eine ungemütliche Fahrt. Denn die Abkürzung, die der Chauffeur nimmt, stellt sich als Hindernisfahrt heraus. Es geht über Schneewehen, eisglatte Straßen. Und der Chef ist verspannt, ungeduldig, nervös. Wohl auch, weil Meisner an seinen nahen OP-Termin denkt, einem Routineeingriff zur Entfernung einer vielleicht doch bösartigen Geschwulst. Gleichzeitig gehen ihm alte Geschichten durch den Kopf. Er wiederholt die Telefonnummer seiner alten Liebe, die er vor Jahren sitzen ließ und die er jetzt nach Jahren des Schweigens wieder recherchieren ließ.
An dieser Stelle nun wirbelt auch noch ein Entführer das geordnete Leben von Meisner komplett durcheinander. Die Sicherheitsmaßnahmen greifen nicht, die Bodyguards scheinen wie vom Erdboden verschluckt und seiner Ehefrau Karin hat man sich anscheinend bereits entledigt. Von zwei Händen gepackt und betäubt, findet er sich in einem perfekt getarnten Keller eingesperrt.
Showdown im Zigarrendunst
Dieser Kellerraum ist jedoch kein dreckiges Loch. Und Meisner nicht gefesselt und geknebelt. Sein Verlies ähnelt einer Luxuskabine. Denn sein Entführer, der sich als Ronaldo vorstellt, hat für alles ist gesorgt. Es gibt Meisners Lieblingstee, seine Lieblingsspeisen, den Lieblingswein. Alles ist da. Auch seine bevorzugte Kleidung. Ronaldo kennt alle Vorlieben seines Opfers. Alle Geheimnisse. Er weiß sogar von der gewaltigen milliardenschweren Schwarzgeldkasse des Konzerns, über den Meisner herrscht. Auf diese 10 Milliarden beläuft sich daher die Lösegeldforderung Ronaldos.
Diese abstruse Summe fordert der Entführer, um das weltweite Finanzsystem zu destabilisieren. Der genaue Plan des Kidnappers ist dabei derart perfide gestrickt, dass jede mögliche Abwehr unmöglich erscheint. Meisners Lebenszeit scheint abgelaufen. Die alte Ordnung ist verdreht. Das Leben saust in den Keller. Seine jetzige Position: ganz unten. Nicht wie früher, als er aus seiner Machtzentrale auf die Menschen herabsieht: »Ameisen krochen dort, emsig und dumm, von A nach B, sie krochen nur von A nach B, weil es ihnen jemand gesagt hatte, jemand wie – er. Für ihn taten sie das, für sein Geld, für seine Gnade.«
Meisner wird in seiner Zelle Zeuge eines groß angelegten Showdowns: Denn Ronaldo verheimlicht seinem Opfer die genauen Pläne nicht. Beim gepflegten Teegespräch klärt er ihn darüber auf. Dass Ronaldo es ernst meint, sogar sehr, das beweist die Tatsache, dass dem Firmenvorstand zur Untermauerung der Geldforderung ein Stück von Meisners Fleisch mitgeschickt wurde, mit der Ankündigung, bei Verzögerungen diese Lieferungen zu wiederholen. Eine DNS-Analyse bestätigt dem Vorstand den Ernst der Lage.
Dieses Spiel um Leben und Tod ist für Meisner jedoch trotz allem nichts Neues. Auf dem Weg zu Reichtum und Macht ging er schon immer über Leichen: Die schwangere Freundin verlässt er, um eine Firmenerbin zu heiraten. Später erlebt Meisner hautnah, was sein korruptes Geschäftsgebaren bewirkt, ein Geschäftspartner nimmt sich nämlich im Pariser Hotel Bristol in der Nachbarsuite das Leben. »Niemand hatte damit gerechnet, dass Reyle seine Drohung wahr machen würde, sich umbringen, direkt vor seiner Tür; doch nicht wegen des Geldes, des Geschäfts, das war absurd, der Mann war labil… Wegen eines Ruins brachte man sich niemals um, das gehörte zu den Spielregeln. Aber er hatte es getan.« Und auch später im Keller ergreift Meisner kaltblütig die erste Gelegenheit , um sich zu retten. Ein Bratenmesser nutzt er als Waffe, um sie Ronaldo in den Rücken zu rammen.
Ödipaler Poker und didaktisch kluge Ratschläge zum Steuersparen
Auch Stephan Kaluza pokert hoch. Er erzählt immer am Limit des Möglichen. An einigen Stellen entbehrt der Text daher nicht einer unfreiwilligen Komik, wird es doch gar zu detailverliebt, als Ronaldo sogar noch einen »61er St. Pétrus« zum Rinderbraten, der nach mütterlichem (!) Rezept vorbereitet wird, serviert. Meisners unermessliche Gier nach Besitz scheint also doch vielleicht einer Störung in der oralen Phase seiner Kindheit zuzuschreiben zu sein.
Ob sein Verhalten vielleicht mit einer allzu großen ödipalen Verstrickung erklärt werden kann, sei dahingestellt. Seinen Schwiegervater, den eigentlichen Konzernchef und Stifter des Vermögens, stößt er jedenfalls stellvertretend vom hohen »Ross« und lässt ihn kurzerhand, natürlich erst nachdem er dessen Tochter geehelicht hat, entmündigen und ins Altenheim stopfen.
Getoppt wird Meisners irrwitzige Denke und auch Kaluzas irrwitzige Story noch, als ein untergeordneter Firmenchef Meisners über kapitalistische Strukturen zu referieren beginnt. Er erklärt hierbei die legalen Methoden der Steuerhinterziehung und wird dabei durchaus recht didaktisch – nach dem Motto: So handeln die bösen Firmenimperien! Was Kaluza hier in fast epischer Breite über steuerliches Gesamtvolumen, Vorauskosten, Amortisierung und Abschreibungen schreibt, erweckt durchaus beim Leser grauenvolle Gedanken an die eigene Steuererklärung, die noch der Abgabe harrt. Aber was solls!
Am Schluss fährt Kaluza noch einmal ein gewaltiges Zahlenspiel auf: Er inszeniert ein großes Casino. Ein letztes Mal zocken. Ein Würfelspiel mit seinem Entführer, um alles oder nichts, Leben und Tod. »Spielschulden sind Ehrenschulden. … Sie wissen doch, dass Sie nicht gewinnen werden, bei einer Chance von eins zu fünf gegen Sie… Akzeptieren Sie den Wurf. Natürlich akzeptiere ich, sagte Meisner. Es wurde vollkommen still. Ronaldo griff zum Würfel, er schüttelte ihn lange zwischen zwei Findern. Die Umherstehenden verfolgten gebannt die Bewegungen der Hand; nun mach schon dachte Meisner, dann fiel der Würfel.«
Stephan Kaluza tischt mit seinem Roman 30 Keller ganz schön auf. Die Story ist stellenweise großes Kino. Trotz allem kann er die Erwartungen an einen packenden Thriller nicht immer ganz erfüllen. Bleibt es in manchen Passagen doch eher bei langatmigen Wortwechseln. Dennoch nimmt Kaluza immer wieder die Zügel auf und reitet mit seinen extremen Einfällen einen scharfen Parforceritt durch das Finanzsystem. 30 Keller ist eine packende, meist flott erzählte Revue über das Leben eines Multimilliardärs. 30 Keller ist aber zugleich auch ein moderner Totentanz. Lesenswert!
| Hubert Holzmann
Titelangaben:
Stephan Kaluza: 30 Keller
Frankfurt/Main: Frankfurter Verlagsanstalt 2014
127 Seiten. 17,90 Euro