Die erträgliche Leichtigkeit des Romanciers

Menschen | Milan Kundera wird 85

Zum 85. Geburtstag des Schriftstellers Milan Kundera am 1. April. Von PETER MOHR

TITELMilan Kundera hat sich schon früh aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, seit fast dreißig Jahren gibt er nur noch schriftliche Interviews, weil er sich oft falsch zitiert fühlte. Der große Künstler, der sich so oft missverstanden fühlte, hat den Weg in eine Art »innere Emigration« gewählt.

»Der Romancier ist weder Historiker noch Prophet, sondern Erforscher der Existenz«, hat Kundera in seinem Essay Die Kunst des Romans sein dichterisches Credo zutreffend beschrieben. Seit knapp vierzig Jahren lebt der gebürtige Tscheche Milan Kundera in Paris. Er schreibt seine Romane seit geraumer Zeit auf Französisch und gilt als Kosmopolit westeuropäischer Prägung. 1975 war er einem Ruf der Universität Rennes gefolgt und hatte seine Heimat verlassen.

Milan Kundera, der am 1. April 1929 in Brünn als Sohn eines Musikwissenschaftlers und Janacek-Schülers geboren wurde, war einst einer der intellektuellen Wegbereiter des Prager Frühlings. Seine Kritik am Stalinismus, die er unverhohlen in seinem ersten Roman Der Scherz (1967/wie fast alle Werke im Carl Hanser Verlag erschienen) zum Ausdruck brachte, führte zum Ausschluss aus der kommunistischen Partei, in die er bereits als 18-jähriger eingetreten war.

Diese biographischen Eckpfeiler bilden auch das Handlungsgerüst für Kunderas weltbekannt gewordenen Roman Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (1984). Vor dem Hintergrund der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings inszeniert er die erotischen Irrungen und Wirrungen des jungen Chirurgen Tomas, der durch sein ausschweifendes Sexualleben eine Art Selbstfindung betreibt. In diesem später auch erfolgreich (wenn auch umstritten) verfilmten Roman geht es darüber hinaus auch um die schwierige Situation der Intellektuellen im politisch geteilten Europa.

Kundera avancierte nach der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings in der Tschechoslowakei zur persona non grata, seine Werke konnten bis zur Wende nicht erscheinen, und ihm war sogar die tschechische Staatsbürgerschaft entzogen worden. Dabei war er nie ein vordergründig politischer Autor, sondern ein philosophischer Grübler, dem die individuelle Freiheit, auch die Selbstverwirklichung des Einzelnen als heiligstes Gut galt: »Wenn ich mich selbst definieren müsste, würde ich sagen, ich sei ein in der Falle einer extrem politisierten Welt gefangener Hedonist.«

Milan Kundera - Foto: Elisa Cabot (CC BY-SA 2.0)
Milan Kundera – Foto: Elisa Cabot (CC BY-SA 2.0)
Seine Affinität zum philosophischen Erzählen hat Kundera am stärksten im Roman Die Unsterblichkeit (1990) ausgereizt, der bei der Kritik auf ein geteiltes Echo stieß. Er ließ Goethe und Hemingway über die traurigen, irdischen Existenzen reflektieren.

Seine letzten Romane zeigten Milan Kundera allerdings wieder in absoluter literarischer Höchstform. In Die Langsamkeit (1995) hat er ein erzählerisch subtil konstruiertes Plädoyer für eine Umkehr zur medialen Langsamkeit, zur Rückbesinnung auf das geschriebene Wort gehalten.

Eine der literarisch anspruchsvollsten Liebesgeschichten der 1990er Jahre legte Kundera 1998 mit Die Identität vor. Nachdem die weibliche Hauptfigur Chantal ihrem Lebenspartner Jean-Marc das vermeintliche Versiegen ihrer Attraktivität gebeichtet hat, setzt eine Flut anonymer Briefe ein, deren Inhalte (»Sie sind sehr schön.«) Balsam für Chantals angekratzte Seele sind. Die zunächst versteckten Briefe lösen zwischen Chantal und Jean-Marc turmhohes Misstrauen aus. Eifersuchtsszenen, Missverständnisse und herrlich absurdes Handeln resultieren aus den »Liebesbriefen«.

Eine schmerzliche Erforschung betrieb Kundera, der 2007 mit dem Staatspreis für Literatur der Tschechischen Republik ausgezeichnet wurde, auch in seinem letzten Roman Die Unwissenheit (2001), der sich (mit deutlichen autobiografischen Bezügen) um den großen Topos Heimat rankt – und dies auf ideologiefreie, völlig unpathetische Weise. Irina und Josef, zwei Emigranten mit unterschiedlichen Lebensläufen, kehren ins Nachwende-Prag zurück. Eine Mischung aus Heimweh und Neugierde trieb sie an. Umso schockierender sind ihre Erfahrungen, die sich mit denen nach der Emigration decken. Ein Gefühl der Fremdheit, des Nichtdazugehörens, des Eintretens in einen völlig fremden Kulturkreis. Mit einem flüchtigen Liebesglück entschädigen sich die beiden Enttäuschten.

Ein wiederkehrendes Motiv bei Milan Kundera, dem Meister der künstlerischen Verquickung von Liebe und Weltpolitik, dessen faszinierendes Gesamtwerk eigentlich längst den Nobelpreis verdient hätte.

| PETER MOHR

Titelangaben
Milan Kundera: Die Unwissenheit
Aus dem Französischen von Uli Aumüller
München: Carl Hanser Verlag 2001
184 Seiten. 17,90 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Gefährliche Liebschaft

Nächster Artikel

Späte Spurensuche

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Kampf über 26 Jahre und 26 Tage

Menschen | Zum Tod des Dramatikers und Staatsmannes Vaclav Havel „Das einzige feste Fundament eines wirklichen und dauerhaften Friedens zwischen den Staaten und Völkern ist der Frieden innerhalb der Staaten und Völker. Dieser Frieden ist aber undenkbar ohne Respekt vor den menschlichen Freiheiten und den menschlichen Rechten“, bekannte Vaclav Havel im Oktober 1989. Havel wusste genau, wovon er sprach. Die tschechischen Behörden hatten ihm wenige Tage vorher die Ausreise nach Frankfurt zur Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels verwehrt. Von PETER MOHR

Ausgewechselt in der zweiten Halbzeit

Menschen | Monica Lierhaus: Immer noch ich Monica Lierhaus war die erfolgreichste deutsche Sportjournalistin, behauptete sich selbstbewusst in einer Männerdomäne und wurde verlässlich getragen von einer intakten Familie und einer langjährigen Partnerschaft. Doch eine unglückliche Verstrickung von Komplikationen während einer Gehirnoperation beförderte die junge Frau 2009 ins Abseits. Sieben Jahre später blickt sie zurück und zieht gleichermaßen verwundert wie stolz das Resümee: Immer noch ich. Von INGEBORG JAISER

Wider die Ahnungslosigkeit

Menschen | Ulrike Scheffer / Sabine Würich: Operation Heimkehr 120.000 »Entsendungen« von deutschen Soldaten – Frauen und Männern – allein nach Afghanistan gab es von 2002 bis heute. Die Zahl der realen Personen ist kleiner: Viele waren mehrmals dort im Einsatz. Afghanistan war der erste der vielen Auslandseinsätze seit 1990, der auch offiziell Kriegseinsatz genannt wird. Er hat der Republik auch offiziell wieder Veteranen und Gefallene beschert – und Soldaten, die getötet haben. Und dann ist da noch die ›Operation Heimkehr‹, die Rückkehr in ein Land, das stolz auf den Bruch mit seinen eigenen militaristischen Traditionen ist. Von PIEKE BIERMANN

Der verstummte Dichter

Menschen | Zum 25. Todestag von Wolfgang Koeppen

Er ist heute noch ein großer Unbekannter, obwohl er zu den herausragenden deutschsprachigen Romanciers nach dem Zweiten Weltkrieg gehört. Die Rede ist von Wolfgang Koeppen, der früh das Schreiben eingestellt, kaum Interviews gegeben hatte und so schon zu Lebzeiten zum Mythos avanciert war. Von PETER MOHR

Verführen, amüsieren, provozieren

Zwei neue Bücher zum 70. Geburtstag von Georg-Büchner-Preisträger Botho Strauß am 2. Dezember* Der exzentrische Nonkonformist Botho Strauß, der zur Melancholie neigende erzählerische Philosoph und vehemente Zeitgeistkritiker, ist deutlich ruhiger geworden und schlägt neuerdings bisher bei ihm noch nicht erlebte versöhnliche Töne an. Von PETER MOHR