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Raus aus dem Stedtl

Debüt | Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse

Mit seinem witzigen Debüt Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse leistet der Schweizer Thomas Meyer nicht nur einen Beitrag zur Verständigung zwischen den Religionen. Er gibt vor allem ein kurioses Beispiel für die Anziehungskraft zwischen Männern und Frauen. Meyer erzählt hier die Geschichte eines jungen orthodoxen Juden, der sich trotz mütterlicher Überwachung auf der Suche nach seiner eigenen Identität macht. Und wie immer bewahrheitet sich die Weisheit: Der Weg ist das Ziel. Von HUBERT HOLZMANN
Wolkenbruchs Schickse
Thomas Meyer, geboren 1974 in Zürich, studierte kurze Zeit Jura, um sich dann in die durchaus harte, aber kreative Schule der Werbetexter zu begeben. Mit seinem aktuellen Debüt Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse landete er in der Schweiz einen literarischen Volltreffer. Der Diogenes Verlag macht diesen Text nun über die Grenzen des kleinen Nachbarlandes hinaus bekannt.

Der Autor Meyer erzählt in seinem Erstling von der eigenen, beinahe schon etwas abgekapselten Welt der orthodoxen Schweizer Juden, die nicht nur kalendarisch, rituell und sprachlich – das Jiddische nimmt nicht nur im »Glossar« einen breiten Raum ein – eine Welt im Kleinen sind, sondern, wie wir feststellen, auch mit eigenen Geschäften – Mottis Vater hat ein eigenes jüdisches Versicherungsbüro mit einem Angestellten namens Hagelschlag (!) – aufwarten und deren Mütter vor allem aber eine ganz spezielle Heiratspolitik betreiben.

Und hier sind wir beim Kernproblem des Mordechai Wolkenbruch, kurz genannt Motti, angelangt. Motti ist der letzte noch unverheiratete Sohn der Familie Wolkenbruch und er soll endlich mit mehr oder weniger leichter Nachhilfe der Mutter seine bessere Hälfte finden. Selbstverständlich eine Frau, die wie er einer orthodoxen jüdischen Familie angehört.

»Mein Bruder Schloime hatte schon eine eigene mischpuche. Mein Bruder David ebenso. Ich nicht. Das machte meine mame, deren Brautvermittlungsbemühungen für ihre bejden anderen Söhne schon mit dem jeweils ersten Versuch voll ins Üppige getroffen hatten, hochgradig nervös. Denn bei mir taten sie dies nicht. Der Grund lag darin, dass meine mame auch mich ausschließlich mit Duplikaten ihrer selbst bekannt machte«.

Die Karten verheißen nichts Gutes

Das Mutter-Sohn-Verhältnis ist also wegen dieser tatkräftigen Interventionen der Mutter gespannt, denn die Anzahl der vermittelten Begegnungen mit diesen »jungen frojen« ist mittlerweile zweistellig, und der Unterhaltungswert für Motti und auch für die jeweils Angedachte meist zweifelhaft. Sind diese Treffen mit dem anderen Geschlecht meist als Hinterhalt angelegt. Wie zufällig werden die Treffen arrangiert. Was bleibt daher anderes übrig, als höflich zu bleiben. So entsteht gelegentlich wie mit Michèle sogar etwas wie Freundschaft, so dass man bei der eigenen Familie die Hoffnung nährt, die Erfolgsaussichten stünden gut. Man trifft sich im Kaffeehaus, in einem Park, aber nur um die Gesamtsituation leichter zu ertragen und zu hintertreiben.

Über weite Strecken ist die Handlung dann auch sehr komisch. Meyers Erzähltempo ist hoch, ein Einfall reiht sich an den nächsten, Klischees werden bestätigt, einzelne Szenen beinahe slapstickartig aneinander gesetzt. Dass hierbei – und vor allem bei der Enttarnung der Zufälle – manches Missgeschick passiert, klingt einleuchtend: Eine der ausgewählten Töchter, Michèle, die wie Motti durchaus modern denkt, schlägt vor, »deine Mutter sollte für den Mossad arbeiten«. Ein andermal nach geplatzem Termin »setzte« die Mutter das Auto »präzis ins Heck eines an der Ampel stehenden Audi«. Das Ergebnis: Mottis Brille bricht »in zwaj Teile«.

In Handschellen vorgeführt

Zwiegespalten wie seine Brille ist natürlich längst auch Motti: Einerseits will er seine Familie nicht unnötig enttäuschen, andererseits versucht er aus dieser eingefahrenen Lebenswelt ausbrechen. Vor allem als er sich in Laura, eine nicht-jüdische Studentin verguckt. Was er da nämlich sieht, »war so ganz anders als alles mir Bekannte; es war so … – ich muss die Worte suchen – so kompakt. Und so gewinnend!« Laura hat all das, was seine Mutter nicht hat: vor allem aber Sexappeal.

Auf der Stelle beschließt er, dass er sie kennen lernen muss. Allerdings merkt er, dass er nicht in Übung ist, andere Mädchen von sich aus anzusprechen. Außerdem steht eine schickse, so die Bezeichnung für eine nicht-jüdische Frau, »nicht auf der Koscher-Liste unserer Gemeinde«: »einer schickse auf den tuches (d.i. Hintern) zu starren und in ihrer Erscheinung die Erfüllung aller Sehnsüchte zu wähnen: So was kommt nicht vor.«

Und nun, als Motti innerlich zerrissen nach Antworten fragt, wird die Geschichte vollends zur Komödie. Ganz nach Art eines bayerischen Volksstücks, und natürlich auch in der Tradition der humoristischen jüdischen Erzählungen, hebt nun »G’t« (d.i. Gott) an, zu ihm zu sprechen, der versucht, ihn in der jüdischen Lehre bestärken. Auf humorvolle Weise sucht Motti jedoch nach einem Ausweg, einer Zwischenlösung, einer Gesetzeslücke und er entscheidet sich dafür, dass es »gar nicht so wichtig ist, ob eine froj jüdisch ist«. Bestärkt wird er in dieser Haltung noch durch die kettenrauchende, alte jüdische Frau Silberzweig, die er besucht und die ihm eine »schicksalhafte Begegnung« aus den Karten vorhersagt.

Veränderung ist also angesagt. Seine kaputte Brille ist ein guter Anlass, um sein Outfit etwas zu modernisieren: Er kauft die neue Brille nicht beim »Optikergeschäft Grünstern« – nomen est omen, denn »die Schaufenster waren stellenweise trüb und die briln in der Auslage sahen alle gleich aus«, sondern sucht sich beim goj, einem Nichtjuden ein »urbanes, städtisches« Modell aus. Nur für kurze Zeit wird er daraufhin »in eine gütige, warme untergehende sun« schauen. Spätestens als er von einer Polizeistreife zu Hause abgeliefert wird, zieht ein Unwetter heran. Die Frage nach einer möglichen »Woody-Allan-Karriere« ob seiner neuen Optik ist nur der harmlose Beginn desselben.

Schicksen, Sprichwörter und Sinnsuche

Laura, obgleich sie selbst das Haus Wolkenbruch nie betreten und ihr Name nicht ausgesprochen wird, löst eine Katastrophe aus: Nachdem eine reinigende Reise nach Israel zur Verwandtschaft keinen Erfolg in Sachen Heilung vom Unglauben bringt, sondern Motti noch mehr an Laura bindet, wird er von seiner Mutter aus dem Haus geworfen und von der Familie verstoßen. Der Sohn ist ihnen »verloren gegangen«.

Für Motti beginnt das Leben in einer WG, er lernt moderne Typen kennen, geht auf Partys, raucht, genießt alkoholische Drinks und lebt – vollkommen unkoscher – seine Beziehung mit Laura aus – jedenfalls kurz. Denn spätestens als er Laura im Bett hat – oder sie ihn –, muss er sein Wissen um entscheidende Dinge erweitern: »Erstens: Es ist sinnlos, sich Gedanken zu machen über die Logik der Frauen. Zweitens: Du bist jetzt Mitglied des exklusiven Laura-Liebhaber-Vereins.«

Motti muss sich über sich selbst wundern. Und der Leser sich mit ihm. Denn Motti wird die Angewohnheit, sich selbst zu reflektieren nicht loswerden: Geht er zu einem Date in »Volkshaus«, so hört er sogleich die Stimme seiner Mutter, die »dahinter sofort einen Versammlungsort der SS« vermutet. Am Imbissstand wundert er sich, dass er mit »schicksen schläft und beim Araber isst«. Und auch beim Sex fällt ihm eine jiddische Geschichte ein.  Motti kann eben doch seine Welt der Matzenknödel, der nostichl (d.i. Taschentücher) und nasse ojgn nicht einfach verlassen.

Muss er auch nicht. Es genügt, dass er sich einfach mal davonmacht. Der Blick von oben auf Zürich – und nicht mehr nur auf den tuches der schicksen und anderen frojen – ganz am Schluss des Romans verrät, wohin die »Reise« geht: raus aus der Familienenge und hinein in die eigene Welt. Eine Verfilmung von Meyers Roman Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse ist bereits angekündigt. Nach fettem Festtagsmenü und Schokohasendessert genau die richtige heitere und leichte literarische Kost zum Entspannen.

| Hubert Holzmann

Titelangaben:
Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse
Zürich: Diogenes 2014
288 Seiten. 10,90 Euro

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