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Liebesgeschichte der besonderen Art

Gesellschaft | Karin Kneissl: Mein Naher Osten

Wenn deutsche Auslandskorrespondenten, besonders solche mit Standort Nahost, anfangen, ihre privaten Befindlichkeiten auszupacken, ist meist Vorsicht geboten. Allzu oft dienen Reisestrapazen oder Hotelprobleme dazu, komplexere Sachverhalte zu überdecken. Ganz anders in Karin Kneissls ›Mein Naher Osten‹, obwohl es sich auch hier um eine sehr persönliche Beziehung zu einer ganzen Region handelt. Von PETER BLASTENBREI

Karin Kneissl: Mein Naher OstenJournalistin im engeren Sinn ist die Autorin tatsächlich nicht. Frau Kneissl war und ist vieles, polyglotte Reisende, Orientexpertin, Juristin mit Schwerpunkt Völkerrecht, Diplomatin, Journalistin, Beraterin, alles in einem. Schon daran zeigt sich ein Horizont, der den des üblichen Auslandskorrespondenten weit übersteigt. Freilich, Kneissl ist sozusagen erblich vorbelastet: ihr Vater arbeitete seit 1969 bei der erst wenige Jahre alten Jordanischen Fluggesellschaft als Pilot, und die Familie zog mit der damals vierjährigen Karin ins noch halb dörfliche Amman. Der Bürgerkrieg von 1970 vertrieb die Kneissls bald wieder, aber in den folgenden Jahren riss der Kontakt zur arabischen Welt nie mehr ganz ab.

1982 als Au-Pair bei einer französischen Familie saß sie wie gebannt vor dem Fernsehgerät, um ja keine Wendung im libanesischen Bürgerkrieg zu verpassen. Auch ihr selbstgewähltes Abiturthema befasste sich mit dem Nahostkonflikt. Nach ihrem Arabistik- und Jurastudium in Wien arbeitete sie für ihr Dissertationsprojekt an der Universität Jerusalem – nachdem sie eben mal kurz Hebräisch gelernt hatte – an der Universität Amman und der Georgetown University in Washington. 1990 trat sie ins österreichische Außenministerium als angehende Diplomatin ein und war zwei volle Jahre in der Nahostabteilung beschäftigt. Dem Irakkrieg sei Dank, wie sie schreibt, denn auch österreichische Diplomaten werden ohne Rücksicht auf Spezialkenntnisse in schneller Folge rund um den Globus versetzt.

Autobiografie und viel mehr

Nachdem sie schließlich 1998 an der Botschaft in Madrid gelandet war – wegen ihrer Italienisch-Kenntnisse! – reichte es ihr und sie vertauschte den diplomatischen Dienst mit dem Journalismus. Als freie Mitarbeiterin der ›Welt‹ kam sie allerdings vom Regen in die buchstäblich Traufe – nach eigenem Bekunden hatte sie vorher keine Ahnung gehabt, für was Springer steht. Inhaltliche Differenzen – was ist schon ein brisantes politisches Interview gegen Impressionen aus dem Beiruter Nachtleben – schlechte Bezahlung und Probleme der Kollegen mit der umfassend gebildeten »Freien« begleiteten ihren Ausflug in den Journalismus. Seit 2000 lebt Kneissl bei Wien als freie Korrespondentin, Nahost-Expertin beim ORF und Dozentin an der libanesischen Universität Saint-Joseph.

›Mein Naher Osten‹ ist also durchaus eine klassische Autobiografie, die Geschichte eines noch nicht allzu langen, aber ereignisreichen Lebens mit etlichen witzigen oder auch haarsträubenden Anekdoten, wie Kneissls Genfer Partygeplauder mit dem gefürchteten Halbbruder Saddam Husseins. Darüber hinaus enthält das Buch aber zahlreiche wohlinformierte und daher bedenkenswerte Ansichten und Einsichten zum (vor allem arabischen) Nahen Osten und zu unserem Umgang mit ihm.

Kneissl ist dabei ebenso scharfsichtig wie ehrlich und unerschrocken, Probleme und Missstände nennt sie beim Namen, auch wenn die eine oder andere Heilige Kuh auf der Strecke bleibt. So erwähnt sie etwa, dass der jordanische Langzeitherrscher Hussein II., Freund und Dauerverbündeter des Westens, seinen Thron mit äußerst fragwürdigen, vielfach menschenrechtswidrigen Methoden sicherte. Aber ihre Durchblicke gehen tiefer als solche noch so aufregende Skandale.

Einsichten und Durchblicke

Was Kneissl über die mangelnden Sprach- und Landeskenntnisse und die allgemeine Uninformiertheit führender Vertreter von US-Think-Tanks zu berichten weiß, ist einfach nur erschreckend. Überhaupt die USA – bei Kneissl ein Land mit riesigem Potential, das sich aber nicht nur im Orient selbst im Weg steht. Die außenpolitischen Berichte seiner Diplomaten, Experten und Geheimdienstmitarbeiter gelten wohl zu Recht als die besten der Welt – Politiker benutzen bei ihrer Entscheidungsfindung Auszüge von einer Seite! Denkwürdig, wie die US-Regierung gleich 2001 nach der Eroberung international Arabisten für Afghanistan suchte – ein Land, in dem niemand Arabisch spricht.

Nicht weniger beachtenswert sind ihre Gedanken zur zunehmenden Ablösung von Berufsdiplomaten durch Politiker und Ideologen (»Missionare«) mit den entsprechend kontraproduktiven Folgen fürs internationalen Zusammenleben. Mit der durchaus verbreiteten Ansicht, die da unten hätten eigentlich kein Recht über »unser Öl« zu disponieren, geht sie hart ins Gericht. Aber auch die nahöstlichen Völker schont sie bei aller Liebe und Verbundenheit nicht. So beklagt sie die fortschreitende Islamisierung, die sie seit 1988 (!) beobachtet und die die einzigartige kulturelle Vielfalt der Levante endgültig zu zerstören droht.

Sicher wird man nicht allem und jedem zustimmen können, was sie schreibt. So hatte der israelische Sieg 1948/49 noch eine ganze Reihe anderer handfester Gründe, als die, die sie nennt (S. 84). Ihr Plädoyer für eine Geheimdiplomatie mit gleichrangigen Partnern klingt nur beim ersten Lesen absurd (ist es aber keineswegs).

Eines ist aber gewiss, gäbe es mehr Nahostberichterstatter, die ähnlich kritisch und einfühlsam, engagiert und gut ausgebildet an ihre Aufgabe gehen wie Karin Kneissl (die sämtliche Interviews ohne Dolmetscher führt) – das deutsche Bild von der arabischen Welt wäre nicht so hoffnungslos ideologisch belastet, dafür mehr von solider Information geprägt.

| PETER BLASTENBREI

Titelangaben
Karin Kneissl: Mein Naher Osten
Wien: Braumüller Verlag 2014
232 Seiten. 21,90 Euro

Reinschauen
Homepage von Karin Kneissl

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