Nazis auf’m Mond

Digitale Spiele | ›Wolfenstein‹: The New Order

Im neusten Ableger der ›Wolfenstein‹-Serie übernehmen Nazis die Welt. Ihr schlüpft in die Rolle des Helden, welcher im Alleingang gegen die Übermacht ankämpft und Massenweise rote Bandagenträger ins Jenseits befördert. Ihr denkt, die Story ist alt und verbraucht? Macht nichts, denn ›Wolfenstein‹ überzeugt PHILIPP LINKE und ALEXANDER SCHMELEV durch brutal-spaßiges Gameplay und den Einsatz bekannter Nazi-Klischees, wie sie abgedrehter nicht sein könnten.

Wolfenstein-TitelMit stolzen 33 Jahren gehört ›Wolfenstein‹ zwar zu den ältesten Spieleserien, aber noch längst nicht zum alten Eisen. Bereits 1981 ging es in ›Castle Wolfenstein‹ auf wilde Nazi-Jagd, seit 1992 hat der Nazischlächter auch einen Namen – William B.J. Blazkowicz. In ›New Order‹ sorgt der amerikanische Soldat erneut für Recht und Ordnung. Anders als in den Vorgängerversionen findet die neuste Variante allerdings nicht mehr im Massensterben des Zweiten Weltkriegs statt, sondern knapp 14 Jahre später – im Jahr 1960. Obwohl weder das Konzept des First-Person-Shooters noch die Thematik des Nazi-Schnetzelns nach all den Jahren besonders kreativ ist, gelingt Bethesda eine überraschend überzeugende Umsetzung des Klassikers.

Von strahlenden Helden und übermächtigen Gegnern

Der Held der Geschichte, William B.J. Blazkowicz, erleidet in einer fiktiven Welt im Krieg gegen die Nazis gleich mehrere Schicksalsschläge. Nicht nur verliert er den Großteil seiner Crew, er wird auch noch nahezu tödlich am Kopf verletzt. Da sein Gehirn schwer beschädigt wurde, verbringt er 15 Jahre in einer Nervenklinik, unfähig sich zu bewegen oder zu sprechen. Erst als das Regime eines Tages alle Ärzte und Patienten tötet, da sich der Chefarzt den Befehlen widersetzt, kommt Blazkowicz wieder zu Kräften und startet seinen blutigen Rachefeldzug. Zusammen mit der einzigen Überlebenden, einer jungen Krankenpflegerin, schafft er es zu entkommen und erfährt wenig später, dass das Regime bereits die gesamte Welt beherrscht und die USA nicht mehr existieren. Die Technologie der Nazis ist dabei weit vorangeschritten, so stehen Teslaspulen, mechanische Panzerhunde oder riesige Roboter an der Tagesordnung.

All diese Szenen werden sehr dramatisch dargestellt, sind gleichzeitig aber auch unterhaltsam durch ihre eigene überspitzte und direkte Art. Mit euren Gegenspielern geht Blazkowicz stets gnadenlos um. Mitglieder des Regimes werden mit Messern aufgespießt, machen Bekanntschaft mit einer Kettensäge oder werden auf dem stillen Örtchen in ihrem eigenen Urin ertränkt. Hinterher wird natürlich gespült. Wem diese Art Humor zusagt, der ist mit ›Wolfenstein‹ bestens bedient.

Medi-Packs und Schleichpassagen

›Wolfenstein‹ ist im weitesten Sinne ein klassischer Ego-Shooter. Eure Gesundheit und Rüstung wird mit einer Prozentangabe am unteren Bildschirmrand angezeigt und lässt sich durch umherliegende Medi-Packs und Rüstungsteile aufstocken. Abgesehen von Schießen und Laufen könnt ihr nach einem Sprint über den Boden rutschen oder euch in fester Position zur Seite, nach oben und nach unten lehnen. Letztere Funktion ist äußerst wichtig, wenn ihr aus der Deckung heraus schießen wollt. Häufig ist es von Vorteil, lautlos umherzuschleichen und feindliche Soldaten mit einem Schalldämpfer unschädlich zu machen. Sollte euch das nicht liegen, nehmt ihr einfach zwei Waffen des gleichen Typs in jeweils eine Hand und lasst einen Bleihagel los, der alles im Umkreis zerlegt. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn dünne Betonwände oder Holzkisten geben eurem Kugelregen schnell nach und zerbersten in viele Einzelteile.

WolfensteinDie größtenteils linear ablaufenden Missionen lassen sich so entweder mit Gewalt oder mit List bewältigen. Das Erforschen der Levels wird häufig mit Geheimgängen oder versteckten Munitions- und Waffenlagern belohnt. Eine weitere Hürde, die verhindern soll, dass ihr einfach unüberlegt durch die Landschaft rennt, sind die Kommandanten. Sobald ein Soldat euch bemerkt, schlägt dieser Alarm und der Kommandant wird euch unablässig Verstärkung auf den Hals jagen, bis ihr ihn zur Strecke bringt. Die Entfernung zum Übeltäter erfahrt ihr über das Funknetz. Sie wird euch angezeigt, sobald ihr euch auf etwa 30 Meter genähert habt. Insgesamt bleiben die Kämpfe dadurch spannend und motivierend, da cleveres Vorgehen mit ausbleibendem Alarm belohnt wird.

Apropos clever: Auch die KI der virtuellen Nazis ist gut gelungen. Sie rollen sich hinter Schutzwälle, werfen Granaten aus der Deckung oder versuchen euch von hinten zu überraschen, anstatt einfach direkt drauf los zu stürmen. Eine Sache interessiert die Soldaten jedoch ganz und gar nicht, nämlich wenn ihre Kollegen tot am Boden liegen. »Die machen sicher nur ein Mittagsschläfchen…«

Mit Lasergewehren gegen Roboter

Neben den üblichen Soldaten-Typen kämpft ihr gegen fliegende Drohnen, gepanzerte Hunde, haushohe Roboter und alles, was die verrückten Wissenschaftler der Nazis sonst so fabrizieren. Je nach Gegnertyp eigenen sich unterschiedliche Waffen. Natürlich darf auch Blazkowicz im Laufe des Spiels auf die geheime Nazitechnologie zugreifen und Laser oder Teslastrahlen abfeuern.

Jede Waffe besitzt einen sekundären Feuermodus, den ihr im Spielverlauf finden müsst, die meisten sind jedoch kaum zu übersehen. Zusätzlich könnt ihr weitere Vorteile freispielen, die euch zum Beispiel mehr Munition tragen lassen oder eure Ausdauer erhöhen. Um diese Vorteile zu erhalten müsst ihr spezielle Aufgaben erledigen, die der Reihe nach freigeschaltet werden. Die Aufgaben reichen vom heimlichen überwältigen durch Messerwurf über das Töten von Gegnern beim Rutschen bis zu komplexen Aufgaben wie »Töte 5 Gegner in 10 Sekunden mit einem stationären Geschoss!«

Wolfenstein_HungryNazis auf dem Mond? Aber sicher!

Auf eurem Streifzug durch die terrorisierte Welt findet ihr geheime Akten und Zeitungsartikel, welche euch die Details der Story erzählen oder unterhaltsame Schlagzeilen bieten wie »Erster Mann auf dem Mond – Sein Name ist Hans Armstark«. Apropos Mond – Auch dort haben die Nazis eine Basis, in welcher ihr ordentlich Chaos verbreiten dürft. Im Laufe des Spiels reist ihr unter anderem nach London, Berlin und zu einer Unterwasserbasis, wo ihr ein U-Boot stehlen sollt. Für Abwechslung der Schauplätze ist also reichlich gesorgt.

Leider gibt es keinen Mehrspieler-Modus, die Einzelspieler-Story lässt sich in unter 20 Stunden durchspielen. Die Motivation zu einem erneuten Durchgang ist jedoch hoch, da ihr während des Abenteuers über Leben und Tod verschiedener Menschen entscheidet und so mehrere, leicht unterschiedliche Handlungsstränge entstehen. Auch die fünf Schwierigkeitsgrade, die von Anfang an zur Verfügung stehen, laden zu einer erneuten Herausforderung ein. Allerdings sollten einigermaßen erfahrene Spieler bereits auf der vorletzten Stufe die Geschichte ohne größere Schwierigkeiten abschließen können.

Eine Grafikpracht mit Schwächen im Detail

Die Grafik von ›Wolfenstein‹ ist sehr schön, bei genauer Betrachtung fallen allerdings die unscharfen Texturen auf. Trotzdem bietet das Spiel eine dichte Atmosphäre durch stimmige Lichteffekte und eine bis zu einem gewissen Grad zerstörbare Umgebung mit realistischer Physik. Auch die Zwischensequenzen sind glaubhaft animiert und die deutschen Synchronsprecher lassen sich durchaus anhören. Während der Kämpfe sind die Stimmen jedoch häufig zu leise und kaum zu verstehen. Abhilfe schaffen hier nur Untertitel.

Solltet ihr auf dem PC spielen, so benötigt ihr eine starke Grafikkarte. Außerdem belegt das Spiel ganze 44 GB Festplattenspeicher. Kleinere Grafikfehler wie verzögert auftauchende Texturen oder ruckelnde Animationen treten leider viel zu häufig auf und mindern den Spielspaß spürbar, auch nach dem mehrere GB großen ersten Patch, welcher direkt zum Release zur Verfügung stand. Wer die Wahl hat, sollte also eher zur Konsolenversion greifen.

Abschließend muss ich sagen, dass mir ›Wolfenstein‹ – entgegen meiner Erwartung – sehr gut gefallen hat, trotz oder gerade wegen seiner makabren Art. Es macht einfach Spaß mit zwei automatischen Schrotflinten durch die Gegend zu laufen und auf alles zu schießen, was sich bewegt. Gleichzeitig bringen die Schleichpassagen die nötige Abwechslung. Natürlich nur, wenn man will, denn das Spiel sagt dir an keiner Stelle: »Du darfst jetzt auf keinen Fall Aufsehen erregen oder Dinge in die Luft sprengen!« Denn genau diese Art von Entscheidungen sind es, welche am meisten Spaß machen und das Spiel auch beim zweiten Durchlauf noch spielenswert machen.

| PHILIPP LINKE/ALEXANDER SCHMELEV

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