Red Bullyversum: Komm, süßer Tod!

Kolumne | Phillip Weber: Der Futterblog

In 4000 Meter Höhe ohne Fallschirm aus einem Flugzeug zu springen: Dazu braucht man sehr viel Mut. Oder das richtige Getränk! Wir haben PHILIPP WEBER und sein Alter Ego auf der rasanten Reise nach unten begleitet!

deadbull––––> In 4000 Meter Höhe: Sobald mein Körper nach vorne kippt, schießt mir das Adrenalin in den Kopf. Adrenalin! Meine Droge, meine Sucht, mein Wahnsinn, mein Kick. Vergiss: Koks, Speed und Crystal Meth! Vergiss Sex. In 4000 Meter Höhe ohne Fallschirm aus einem Flugzeug zu springen, das knallt!

––––> 3500 m: Jaaaaa… Ich bin Peter Möller, der Extremste aller Extremen. Und es ist sooooo krass, ich zu sein. Alle haben mir gesagt, du bist irre, als ich ihnen erklärt habe, ich springe ohne Schirm. Ok, ich gebe zu, das haben andere auch schon gemacht. Aber noch nie mit einem Fahrrad! Ja, ich habe ein BMX-Bike zwischen den Beinen. Hahaha… Was sagt ihr jetzt? Ich sage: Wenn du wirklich an etwas glaubst, ist alles möglich. Grenzen erweitern. Wie weit kannst du gehen? Darum geht es! Das ist es!

––––> 3000 m: Ich drehe meinen Helm in Richtung Kameras. Dort prangt das Logo von RedBull. Überall steht RedBull: auf dem Anzug, auf den Handschuhen, auf dem Bike, überall. Ein roter RedBull-Button wurde sogar auf meine Unterhose genäht. Ich hätte mir ja einen roten Stier auf den Schniedel tätowiert, wenn meine Frau nicht rumgezickt hätte. Alle sollen es sehen: Live Schaltung in 12 Ländern. Ich bin so geil! Und Ihr von RedBull seid die Allergeilsten! Ich danke Dir, RedBull. Ich danke Dir. Ich bete Dich an. Dietrich Mateschitz, Chef aller Redbuller, ich möchte ein Kind von Dir!

––––> 1500 m: Mein Kumpel Conky Insane kommt mit dem Fallschirm auf mich zu. Es wird Zeit. Er klammert sich wie ein Koala-Baby auf meinen Rücken und beginnt mir den Fallschirm umzuschnallen. Wir sind ein eingespieltes Team. Das Ding sitzt. Ich schlage mit meinem BMX-Rad noch eine paar flippige Dreifach-Saltos. Für noch mehr Klicks auf dem RedBull-TV-Kanal. Geil!

––––> 1000 m: Ich ziehe die Leine. Der Fallschirm öffnet sich. Geil! Geil! Geil!

––––> 950 m: Oh, Ich habe mein Fahrrad verloren.

––––> 900 m: Ach, Menno! Irgendwie ist das Bike genau durch die Mitte meines Fallschirms gerauscht. Statt »»RedBull«, steht da jetzt nur noch »ull«. Na, super!

––––> 800 m: Das war eine blöde Idee, die Idee mit dem Fahrrad. Ich habe mir gedacht: Sky-Biking, damit kann ich Trendsetter werden, Grenzen erweitern… Wie weit kannst du gehen? Darum geht es. Nur mit Fahrrad aus einem Flugzeug, das hat noch nie jemand gemacht! Naja, jetzt weiß ich auch warum. Dabei haben mich alle gewarnt. Alle!? Okay, natürlich alle bis auf RedBull.

––––> 700 m: Wenn das hier so weitergeht, dann wird es eine harte Landung. RedBull verleiht Flügel. Wo ist so eine verdammt Dose, wenn ich sie mal brauche? Gleich bin ich DeadBull.

Foto: Richard Schneider(CC BY 2.0)
Foto: Richard Schneider
(CC BY 2.0)
––––> 600 m: Oh, je, die Liveschaltung – jetzt bloß nicht in die Kamera gucken. Meinen Nachbarn habe ich auch Bescheid gesagt, wie peinlich. Ich muss an meinen Kumpel Davis Pastrami denken. Der wollte Felix Baumgartner toppen. »Wenn der Felix in 39 Kilometer Höhe abspringen kann, dann schaffe ich 80 Kilometer!« Experten haben gesagt, das ist Quatsch. RedBull hat gesagt, wir erfüllen Träume und verwirklichen Visionen. Klar, der Sprung vom Felix hat RedBull eine mediale Berichterstattung im Wert von 6 Milliarden Euro eingebracht. Ein Marketing-Mega-Coup. Welche mediale Aufmerksamkeit bekäme dann ein Sprung aus 80 Kilometer Höhe? Das Ende vom Lied: Erst ist Davis Pastrami drei Tage um die Erde gekreist, hat dann einen nordkoreanischen Spionagesatelliten gerammt und ist schließlich in der Erdatmosphäre verglüht.

––––> 500 m: Im Angesicht des Todes mache ich ein offenes Bekenntnis: Ich mag gar kein RedBull. Das ist für mich kein Getränk, das ist ein Chemieunfall. RedBull schmeckt wie der Morgenurin eines zuckerkranken Gummibärchens. Wirklich, RedBull ist das größte Verbrechen der Lebensmitteindustrie, seit der Erfindung von Clausthaler Alkoholfrei. Pfui, Teufel, Ösi-Limo! Ja, das Zeug wird in Nüziders im Vorarlberg zusammengepantscht. Österreichs Exportartikel Nummer eins kurz nach Conchita Wurst.

––––> 400 m: Am Anfang war RedBull ja in Deutschland verboten. Das war der erste große Marketing-Volltreffer. Was ist für Jugendliche attraktiver als ein verbotenes Getränk? RedBull war so verrucht wie Haschisch, das gab es legal auch nur in Holland. Die erste Dose RedBull zu trinken war wie das erste Mal zu kiffen. Die Form hat auch ein bisschen was von einem Metall-Joint. Offensichtlich macht das Zeug genau so dumm in der Birne. Wer springt schon mit einem Fahrrad aus dem Flugzeug…?

––––> 300 m: RedBull ist ja ein Energy-Drink. Da ist der Powerstoff Taurin drinnen. Taurin kommt von Tauris. Das ist Latein und heißt Stier. Warum? Weil es Kraft gibt wie ein Stier? Nein, das Zeug heißt Taurin, weil es früher wohl aus der Galle von Stieren extrahiert wurde. Galle, nicht Hoden! Manche Rindviecher glauben ja immer noch, Taurin würde aus Stierhoden gewonnen. Dann wäre RedBull also kein Energy-Drink, sondern eine Ochsenschwanzsuppe. Alles totaler Quatsch. Für das Taurin ist keinerlei leistungssteigernde Wirkung bewiesen worden. Taurin ein ganz normales Stoffwechselprodukt. Stillende Frauen produzieren ca. 50mg Taurin pro Liter Muttermilch. Muttermilch ist also RedBull für Babys. Früher hat man Taurin als Putzmittel benutzt. Also, wer RedBull säuft, ist nicht ganz sauber!

––––> 200 m: Das Einzige, was bei diesem Gebräu Energy bringt, ist der Zucker. Warum bekommt man die Brühe überhaupt runter? Klar, weil es süß ist. Schmerzhaft süß, denn 100ml enthalten 11 Gramm Zucker. Kein Wunder, dass unsere Jugendlichen sich nicht mehr bewegen. Die sind durch die RedBull-Sauferei von innen kandiert. Mein einziger Trost: Als Werbeikone von RedBull wäre ich wohl eh bald an Überzucker krepiert.

––––> 100 m: Dabei ist es als Sportgetränk völlig ungeeignet, weil es hypertonisch ist, es entzieht dem Körper Wasser. Außerdem wirkt der hohe Koffeingehalt diuretisch. Das nervt beim Marathon, wenn man ständig zum Pinkeln rechts raus muss. Und RedBull macht da nicht mal einen Hehl draus. Dennoch wurden allein im letzten Jahr 5,3 Milliarden Dosen verkauft. 5,3 Milliarden! RedBull ist die coolste Marke, die es überhaupt gibt. Und warum? Wegen Trotteln wie mir. Ständig stürzen sich im Zeichen des roten Stieres irgendwelche Freaks von Bergklippen oder Heißluftballons. Auch Hochhäuser sind ganz groß im Kommen. Je niedriger, desto besser! Manche Gebäude sind so niedrig, da öffnet sich der Schirm erst, wenn der Sportler schon auf dem Weg ins Krankenhaus ist. RedBull verleiht Flügel? Von wegen: In den letzten Jahren sind sechs von RedBull gesponserte Extremsportler ums Leben gekommen. RedBull ist überall dabei, wo man sich potentiell den Hals brechen kann: Von der Wüstenrallye bis zum Skateboard-Contest. Die geben erst Ruhe, wenn sich ein Yeti auf Inlineskates mit Reinhold Messner auf dem Rücken in einer Schneelawine den Nanga Prabat runterstürzt. Alle sagen: RedBull ist Kult. Ich glaube mittlerweile fast, RedBull ist so was wie eine Sekte… Ich sehe es doch an mir: Wer springt schon freiwillig mit einem Fahrrad aus einem Flugzeug?

––––> 75 m: Was einem so durch den Kopf geht.

––––> 50 m: Ich halte Ausschau nach Dietrich Mateschitz. Wenn ich den gut am Kopf treffe, hätte mein Tod vielleicht doch noch einen Sinn.

––––> 10 m: Ach, Mann!
(Wer ein Happy End will, kann hier weiter lesen. Realistischer ist es natürlich hier aufzuhören. Doch ich bin Satiriker und kein Unmensch!)

––––> 123 m über dem Meeresspiegel, Kreiskrankenhaus Höchst: Natürlich kann man sagen: Ich hatte Glück. Erst bin ich in ein Promo-Zelt reingeknallt, das mich wie ein Trampolin in die Hüpfburg geschleudert hat. Von da aus bin ich weiter in eine angrenzende Recyclinganlage katapultiert worden, wo ein riesiger Berg von Getränkedosen meinen Sturz gebremst hat. Ich habe mir zwar alle Knochen im Leib gebrochen, aber ich lebe. Ein Wunder! Ich öffne vorsichtig die Augen und lächle in die Kamera. Meine Beine hängen im Galgen. Ich traue meinen Augen nicht. Auf dem Gips erkenne ich einen roten Stier. Schweine!

| PHILIPP WEBER

Reinschauen
| Philipp Weber – Der Futterblog
| ARD-Dokumentation – Die dunkle Seite von RedBull
| Michael Betz (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) über Taurin
»Taurin zeigt in keinem Fall eine leistungssteigernde Wirkung. (…) Ob auch ein über die wahren Hintergründe der Supplementierung informierter, ‚aufgeklärter‘ Verbraucher diese Produkte akzeptieren würde, ist fraglich.“
| Max Zimmermann: Wenn auf Red Bulls Spektakelsucht der Tod folgt (Welt)
| Thomas Gehringer: Der Tod fliegt mit (Der Tagesspiegel)
| Andreas Rüttenauer: Der Wahnsinn aus der Dose (taz)
| Stefan Müller: Red Bull agiert wirklich zynisch (Die ZEIT)
| Michaela Seiser: Red Bull nimmt auch den Tod in Kauf (FAZ)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Der Anwalt der Schwachen

Nächster Artikel

Von Menschen und Affen

Weitere Artikel der Kategorie »Kolumne«

Beerpeace! Über die bedrohte Bier-Diversität in Deutschland

Satire | Philipp Weber über die bedrohte Bier-Diversität in Deutschland Das Oktoberfest ist in vollem Gange – und man muss die bayerische Gastfreundschaft bewundern: Jedes Jahr aufs Neue laden die Münchner Millionen von Menschen aus allen Ländern der Erde in ihre schöne Stadt ein, damit sie dort lachen, tanzen, trinken, in die U-Bahn speien und an die Bavaria pinkeln! Eine Satire von PHILIPP WEBER

777 Siegel …

Kolumne | Philipp Weber (Text)/Inka Meyer (Illustration): Der Futterblog Die Redewendung »Das ist ein Buch mit sieben Siegeln« findet im Allgemeinen Anwendung, wenn Menschen ihr absolutes Unverständnis gegenüber einer sehr komplexen Thematik ausdrücken wollen. Im Grunde bezieht sie sich auf die Offenbarung des Johannes. Dort bricht Christus die sieben Siegel einer Buchrolle und lässt die apokalyptischen Reiter auf die Menschheit los. Ich denke mir oft: Welchen Spaß hätte Jesus in einem deutschen Supermarkt. Denn das ist ein Ort nicht mit sieben, sondern mit über 777 Siegeln: Biosiegel, Gütesiegel, Fairetradesiegel, Prüfsiegel, Umwelt- und Herkunftssiegel und viele mehr … Von PHILIPP WEBER

Der Rest vom Schützenfest

Kolumne | Das aktuelle Gefälle #4 ›Das aktuelle Gefälle‹ ist CHRISTIAN NEUBERTs satirisches Format, in dem er sich zeitgenössischer Schieflagen annimmt. Diesmal gibt es empörend Schräges zum »Rest vom Schützenfest«.

Politik macht’s genauso

Kommentar | Fußball und Politik Fußball war immer schon ein Paradigma für das Geschehen im politischen Raum. Berühmtestes Beispiel ist Günter Netzer, der Partys auf Sylt feierte und nie verstand, weshalb er eine Symbolfigur für politischen Aufbruch wurde, das Leben tritt kompliziert in Erscheinung. Von WOLF SENFF

Das Leben nach dem Tod zu Lebzeiten

Kolumne | Das aktuelle Gefälle #6 ›Das aktuelle Gefälle‹ ist CHRISTIAN NEUBERTs satirisches Format, in dem er sich zeitgenössischer Schieflagen annimmt. Diesmal gibt es empörend Schräges zum »Leben nach dem Tod zu Lebzeiten«.