Verliebt in einen Vampir

Comic | Joann Sfar (Text und Zeichnungen): Vampir (Grand Vampire Tome 1 – 4)

Der kleine Vampir Desmodus ist erwachsen geworden: In seiner Serie ›Grand Vampire‹ erzählt der französische Comicstar Joann Sfar von amourösen Komplikationen in einer Welt voller Hexen und Vampire, Golems und Geister, Werwölfe und Gespensterjäger. BORIS KUNZ über den ersten Band der zweiteiligen Gesamtausgabe, mit der der Avant-Verlag das kultige Universum von Sfar weiter ausbaut.

vampir (1)Man sollte meinen, dass sich das Liebesleben eines Vampirs von dem eines Normalsterblichen doch erheblich unterscheidet. Selbst wenn sich der Liebesakt nicht bereits auf den legendären Biss in den Hals reduziert, der anderswo höchstens Teil des Vorspiels ist, möchte man doch glauben, dass nur wenige Frauen auf einen bleichen Typ mit riesigem Kopf, spitzen Ohren und großen Augen stehen, der nur Nachts aus dem Haus geht, in einem Sarg schläft, alte Platten sammelt und eine hässliche Perserkatze namens Imhotep in seiner Tasche mit sich herumträgt. Doch dem Vampir Ferdinand mangelt es weder an Gelegenheiten der verschiedensten Art, noch am breit gefächerten Interesse am anderen Geschlecht, und er hat auch immer Kondome zu Hause. Dass es doch nicht klappen will mit der großen Liebe, hat dann immer wieder erstaunlich menschliche Gründe …

Ferdinand und die Frauen

Liou ist ein attraktives Mischwesen aus Mensch und Pflanze und eigentlich Ferdinands große Liebe. Doch weil er ihr den Seitensprung mit einem seiner besten Freunde, dem Okkultisten Michael Douffon, nicht verzeihen kann, ist sie nun mit dem Baummann zusammen, einem weiteren Freund von Ferdinand. Die Vampirfrau Aspirine dagegen ist so verliebt in Ferdinand, dass sie ihm ständig nachstellt, obwohl sich dieser eher für die Kurven ihrer Schwester Ritalina interessieren würde. Mme Hélas, der mondäne Klagegeist, den Ferdinand auf einer Kreuzfahrt kennenlernt, gibt sich unnahbar, und das Gespenst Trine hat zwar dank ihres halbdurchlässigen Körpers aufregende Kusstechniken auf Lager, erkennt aber schnell, dass sie doch nur ein Lückenbüßer für Liou wäre. Die schöne Griechin Aphroditikki hat leider schon einen Freund. Die Japanerin mit der Ferdinand ein paar romantische Nächte in Pariser Museen verbringt, muss zurück in ihre Heimat, und beim Aufreißen in der Disko gerät der Vampir eigentlich regelmäßig an die Durchgeknallten …

›Armor pfeift drauf‹, das erste Kapitel des vier Alben enthaltenden Sammelbands, beginnt eigentlich genau dort, wo ›Die kleine Welt des Golem‹ aufgehört hat. In diesem kleinen schwarz-weiß-Band, der als Einstiegslektüre lohnenswert aber nicht zwingend notwendig ist, hatte nicht nur Ferdinand (unter dem Namen seines kindlichen Alter Egos Desmodus) seinen ersten Auftritt, sondern auch all die Nebenfiguren – wie Liou und den Baummann, deren Beziehungsgeschichte einen eigenständigen Nebenstrang durch sämtliche Kapitel bildet. Auch Lious Seitensprung ist darin beschrieben, um dessen Auswirkungen in Ferdinands höchst eigentümlichem Freundeskreis es im zweiten Kapitel, ›(Un)sterblich verliebt‹, im Wesentlichen geht.

avant-vampir-news-bild-1-xlAuch wenn Joann Sfar in diesen Geschichten ein unerhörtes Arsenal an Fabelwesen, Ungeheuern und anderen Nachtgestalten auffährt, erzählt er mit diesen Figuren zutiefst menschliche Geschichten von den Irrungen und Wirrungen der Liebe, von Eifersucht und emotionaler Unentschlossenheit. Die skurrilen Eigenschaften der verschiedenen Daseinsformen stehen dem Liebesglück dabei weit weniger im Weg, als ihre Spleens und ihr verkorkster Charakter. Dass Sfar diese Geschichten trotzdem im kafkaesken Setting von Gruselklassikern wie ›Nosferatu‹ ansiedelt, ist eher eine stilistische Entscheidung. Damit erzielt er einen Verfremdungseffekt, der den humoristischen Grundton der Geschichten weit mehr verstärkt, als jeder gezielte Gag es könnte.

Kaum hat man sich dann im dritten Teil mit dem passenden Titel ›Kreuzfahrt der einsamen Herzen‹ darauf eingestellt, dass Sfar sich auf versponnene Lovestories eingeschossen hat, hat der Geisterjäger Professor Bell mitsamt seiner Entourage einen Gastauftritt. Uund plötzlich verwandelt sich der Comic für einige Seiten in eine turbulente Hommage an das Horrorgenre und beginnt sogar Züge einer Parodie zu tragen. Doch dann verlegt Sfar den unermüdlichen Kampf des Professors gegen dämonische Erzschurken ganz in den Hintergrund, während der Vampir Ferdinand und der Geist Trine sich die Zeit damit vertreiben, aus des Professors »Monsterpaste« neue Wesen zu kreieren. Eine derartig schräge Patchworkfamilie kann es wohl wirklich nur im Universum von Joann Sfar geben.

Sfar spielt gerne mit den Erwartungen, die das Genre im Leser weckt, so auch im vierten Teil ›Der Vampir sucht einen Mörder‹, in dem Ferdinand von Inspektor Mazock darum geben wird, ihm bei der Jagd auf einen Frauenmörder zu helfen. Ferdinands Ermittlungen in der Nachwelt verwandeln sich recht schnell in eine Reihe peinlicher Annäherungsversuche auf der Tanzfläche. Und bald pfeift Ferdinand wieder auf die Mörderjagd, und der Leser kann froh sein, wenn der Mörder auch ohne Ermittlungen schließlich doch noch enttarnt wird.

Sfars kafkaeskes Disneyworld

Der Versuch, das höchst eigenwillige Werk des stilprägenden Franzosen auf ein Genre festklopfen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt, und immer dann, wenn man glaubt, man wüsste wohin der Hase läuft, macht Sfar einen unerwarteten erzählerischen Schlenker und wechselt das Genre. Auf dieses Spiel, das sicher nicht jedermanns Sache ist, muss man sich als Leser auch einlassen wollen.

avant-vampir-bild-2-xlInhaltlich und stilistisch liegt ›Vampir‹ innerhalb von Sfars wandelbaren Universum ziemlich genau zwischen den groben schwarz-weißen-Bildern im ›Golem‹ (wo Sfar noch auf der Suche nach dem passenden Strich zu sein schien) und der sorgfältig gestalteten Genrehommage ›Professor Bell‹ (in der Sfar beweist, wie technisch versiert er als Zeichner eigentlich ist). In Vampir kultiviert Sfar weiterhin seinen nervösen, oft etwas krakeligen Stil zwischen liebevollem Detailreichtum und kindlicher Unvollkommenheit, doch dieser ist filigraner geworden, und eine sehr flächige, reduzierte Farbgebung bringt Übersicht in die Bilder, die sonst vielleicht etwas zu unruhig wären. Zu ordentlich soll es aber auch nicht werden: Der gleichmäßigen Aufteilung der Seiten in je 6 oder 8 gleichgroße Panels wirkt die krakelige und etwas schepse Ausführung der Panelrahmen entgegen.

Der Kenner wird sich bei all ihrer Eigenwilligkeit schnell in dieser Welt zurechtgefunden haben – gleichzeitig ist dieser Band aber auch so exemplarisch für Sfars Schaffen, dass er von Neueinsteigern gut als Eintrittskarte in dessen schräges Universum verwendet werden kann. Das Hardcoveralbum im schicken, fast quadratischen Format enthält vier Abenteuer des »großen Vampirs« und stellt den ersten Teil einer zweibändigen Gesamtausgabe der Reihe dar. Zahlreiche Skizzen sowie ein ausführliches Interview mit der Hauptfigur runden den Band ab.

| BORIS KUNZ

Titelangaben
Joann Sfar (Text und Zeichnungen): Vampir (Grand Vampire Tome 1 – 4)
Aus dem Französischen von Paula Bulling und Barbara Hartmann
Berlin: Avant Verlag 2013
216 Seiten, 29,95 Euro

Reinschauen
| Leseprobe
| Homepage von Sfar

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