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Der neofeudale Zugriff

Gesellschaft | Hannes Hofbauer: Die Diktatur des Kapitals

Der Begriff Postdemokratie, 2003 von Colin Crouch geprägt, ist fester Bestandteil der kapitalismuskritischen Debatte. Hofbauer greift in seinem Beitrag diesen Begriff auf, und nicht nur die Gegenwart, sondern auch der Rückblick auf die Jahrzehnte seit Kriegsende sieht auf einmal gänzlich anders aus, als uns der mediale Mainstream glauben machen möchte. In den westlichen Gesellschaften werde die Macht durch Oligarchen und Spitzenpolitiker ausgeübt und medial abgesichert. Von WOLF SENFF

KapitalDie Fakten sind etwas anders gewichtet in dieser Darstellung, und sie ist erfrischend, ja befreiend zu lesen. Bereits der Marshall-Plan 1948 habe »die Amerikanisierung Europas sowohl in finanz- als auch in investitionspolitischer Hinsicht« eingeleitet. Glaubt wirklich jemand, die USA hätten uneigennützig gehandelt? Nächstenliebe? Hofbauer argumentiert entlang der von Naomi Klein geprägten ›Schockstrategie‹ eines ›Katastrophen-Kapitalismus‹; der aus der Zerstörung resultierende ökonomische Aufschwung, die Wiederaufbau-Euphorie und Wohlstandsgesellschaft, sei mit der Ölpreiskrise 1973/75 beendet gewesen.

Neuordnung internationaler Arbeitsteilung

Die seit Mitte der siebziger Jahre krisenhafte Entwicklung habe das Ende des Fordismus ausgelöst, d.h. eines auf industrieller Produktion in den Zentren selbst beruhenden Systems. In den siebziger Jahren seien mit der ›Erschließung neuer Märkte‹ komplette Industriezweige nach Südostasien, Lateinamerika oder in die Karibik abgewandert.

Generell habe es sich um die Neuordnung internationaler Arbeitsteilung gehandelt, sichtbar etwa an der ›Drittweltisierung‹ der Textilherstellung. Unerfreuliche Resultate sind heutzutage bekanntlich sogar in einer Stadt wie der einstigen PKW-Zentrale Detroit zu beobachten, die unlängst Insolvenz anmelden musste und bereits auf die ›Drittweltisierung‹ auch der Metropolen, vulgo: ihre Verelendung, verweist. Man erinnert sich an Zeichnungen von George Grosz, in denen er die bestialische Aggressivität des Kapitalismus darstellt.

Austeritätspolitik in Europa

Seit 1989 habe die Anzahl der zumeist bilateral abgeschlossenen Investitionsschutzabkommen weltweit erheblich zugenommen. Ihr Ziel sei, private Investitionen gegen staatliche Eingriffe jeglicher Art abzusichern, seien es infrastrukturelle Maßnahmen oder Einsprüche der Bevölkerung gegen ökologisch zweifelhafte Investitionen. Hofbauer verweist auf die Klage Vattenfalls gegen strengere Umweltschutzauflagen für das Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg und die milliardenschwere Entschädigungsforderung. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Abkommen bilde das TTIP, das für den Wirtschaftsraum EU und USA verhandelt werde.

In Europa selbst seien mit den Verträgen von Maastricht 1992, einem »wirtschaftsliberalen Korsett«, die Grundzüge der bis heute die EU prägenden Austeritätspolitik festgeschrieben worden; sie legten für die ehemaligen Staaten des Ostblocks nach den Jahren der Wende 1989-91 auch den Rahmen für deren Transformation fest.

Die EU – ein brüchiges Konzept

Die im März 2003 in Deutschland beschlossene Agenda 2010 – Senkung des Lohnniveaus, Reduzierung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Lockerung des Kündigungsschutzes, Abwälzen der Lohnnebenkosten auf die Arbeiter – schuf einen Niedriglohnsektor und diente dem Abbau sozialstaatlicher Leistungen. Hofbauer zeigt die Kontinuität der politischen Veränderungen nach diesem Vorbild in Europa in den Bestimmungen des ›Europäischen Stabilitätsmechanismus‹ (ESM) 2012 als Abbau von demokratischer Transparenz und in der sogenannten Nichtbeistandsklausel als Abbau europäischer Solidarität. Am Beispiel Zyperns sei 2013 vorgeführt worden, wie brachial EU und IWF mit Verstößen umzugehen bereit sind.

Hofmeister zeigt auch, wie brüchig das Konstrukt EU ist. Er erinnert daran, dass der Verfassungsentwurf in Referenden am 29. Mai 2005 von 55 Prozent der Franzosen und am 1. Juni von 62 Prozent der Niederländer abgelehnt wurde; radikale Rechte wie Linke hätten »gegen den Verlust der in der [jeweiligen nationalen] Verfassung verankerten sozialen bzw. nationalen Souveränität« mobilisiert, vom medialen Mainstream seien sie als ›Populisten‹ verhöhnt, beschimpft und ausgegrenzt worden.

Kapital und Staat

In Österreich verbündeten sich linksliberale Grüne, rechtsliberaler BZÖ, rechte FPÖ zu einer Klage gegen die Verfassungsmäßigkeit des ESM, die Klage wurde im November 2013 jedoch abgewiesen. Im Übrigen liest man dieser Tage, dass Frankreich und Italien sich de facto aus dem Fiskalpakt, der die Unabhängigkeit nationaler Budgetpolitik einschränkt, bereits verabschiedet haben. Die Auseinandersetzung um Souveränität wird nicht nur europäisch zwischen staatlichen und ökonomischen Strukturen ausgefochten, sondern auch nationale Souveränität besteht auf Machterhalt.

Allerdings führe längst das Profitinteresse weltweit agierender Konzerne Regie in der Politik. Hofbauer verweist auf Nicos Poulantzas und die US-Amerikaner Wendy Brown und Sheldon Wolin, die sich einig seien in der Wahrnehmung, dass Kapital und Staat miteinander verschmelzen in einer »präzedenzlosen Kombination der Macht« incl. »Totalisierungstendenzen«. Detailliert beschreibt Hofbauer die Netzwerke, in denen die politische Richtung abgestimmt wird.

Erdrückende Macht der Lobbyisten

Der ›Council of Foreign Relations‹ in den USA bestehe seit 1921 und sei mit ca. 4.500 Mitgliedern »das entscheidende Verbindungsglied zwischen den großen Konzernen und der Regierung«. Die weltumspannend angelegte ›Trilaterale Kommission‹ mit ca. 400 Mitgliedern aus der EU, aus Nordamerika, Japan und dem pazifischen Raum, bot lange Zeit eine wichtige Plattform für die aggressiven Strategien eines Zbigniew Brzezinski: »Man fördert die Scharfmacher unter den Führern von Minderheiten, desavouiert die Friedfertigen, schürt die Leidenschaften, vermittelt Waffen, finanziert über Drogen«, und bei Widerstand der jeweils betroffenen Zentralregierung »folgt die öffentliche Anklage wegen Verletzung der Menschenrechte«.

Seit 1983 gibt es einen ›Europäischen Runden Tisch‹, einen fast exklusiv von Vorstandsvorsitzenden großer Konzerne betriebenen Klub; und seit 1952 die ›Atlantik-Brücke‹, die großen Wert auf transatlantische Wirtschafts- und Militärpartnerschaft legt. All dies seien Strukturen, die letztlich auf eine Refeudalisierung der Macht hinausliefen, längst habe sich fernab der demokratischen Öffentlichkeit eine Elite aus Wirtschaft und Politik organisiert. Auch die Bilderberg-Konferenzen im Rahmen der NATO und die jährlichen Treffen in Davos gehören in diese Kategorie demokratisch nicht legitimierter Macht.

Privatisierung ist Raub an gesellschaftlichem Besitz

Die Gefahren der Monopolisierung seien vielfältig und würden an der Konzernpolitik der Bank Goldman Sachs deutlich. In einer Dokumentation auf Arte (›Goldman Sachs. Eine Bank lenkt die Welt‹, Oktober 2013) wurde gezeigt, wie eine Tochtergesellschaft der Goldman Sachs Gruppe Tausende Tonnen Aluminium zwecks künstlicher Verknappung zwischen den eigenen Lagerhäusern hin- und hergeschoben habe, um die Lieferzeiten hinauszuzögern und das Produkt künstlich zu verknappen; der Aluminiumpreis in den USA habe sich zwischen 2010 und 2013 verdoppelt.

In Europa geben Margaret Thatchers ›There is no alternative‹ von 1980 und Angela Merkels ›marktkonforme Demokratie‹ von 2008 unmissverständlich die Richtung vor, es geht um die Dominanz der Finanzmärkte und neoliberale Ausrichtung von Politik. Hofbauer sieht sich in seiner Ablehnung dieser Politik in guter Gesellschaft von Colin Crouch und Thomas Piketty, die neoliberale Deregulierung/Privatisierung ist für ihn der »Raub am gesellschaftlichen Eigentum und Übergabe an profithungriges Kapital«.

Der gläserne Bürger total kontrolliert

Diese Dominanz neoliberaler Haltung breite sich auch in unserem Alltag aus, Erleben werde als Konsumangebot definiert, »immer weniger Bereiche menschlichen Daseins und zwischenmenschlicher Beziehung finden außerhalb der Warenwelt statt«. Es sei üblich geworden, dass man sogar sein Ego als besondere Marke, als Ware darstelle, sich präsentiere.

Darüber hinaus und strukturell gebe es Bestrebungen einer kompletten Digitalisierung des Geldumlaufs, deren Anfänge in den Kundenkarten von Lebensmittelketten liegen. Diese Tendenzen sind am Vorbild Schwedens orientiert, wo bereits rund drei Viertel der täglichen Zahlungen bargeldlos abgewickelt werden. Auf diese Weise entstehe der gläserne Bürger, eine völlige Transparenz, und in der Bewertung dieser Transparenzgesellschaft schließt sich Hofbauer dem Karlsruher Philosophen Byung-Chul Han an: »Die Transparenzgesellschaft ist eine Gesellschaft des Misstrauens und des Verdachts, die aufgrund des schwindenden Vertrauens auf Kontrolle setzt.«

Es ist überaus spannend, diese Darstellung Hannes Hofbauers zu lesen, weil auch aufseiten des ›normalen‹ Bürgers das Vertrauen in die Weisheit des allgegenwärtig erdrückenden medialen Mainstream längst gen null tendiert. Hofbauer zeigt aufschlussreiche Perspektiven und liefert sowohl eine kenntnisreiche Geschichtsschreibung als auch eine präzise Beschreibung gegenwärtiger Machtstrukturen.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Hannes Hofbauer: Die Diktatur des Kapitals
Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter
Wien: Promedia 2014
240 Seiten, 17,90 Euro

Termine
| Buchpräsentation Pfaffenhofen, 13. Oktober 2014
| Buchpräsentation und Diskussion, Wien, 20. Oktober 2014
| Buchpräsentation, Berlin, 22. Oktober 2014
| Buchpräsentation, Linz, 29. Oktober 2014
| Buchpräsentation, Graz, 4. November 2014
| Buchpräsentation, Wien, 28. Vovember 2014

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