In Frankfurt wird nicht mehr für Comics getrommelt

Comic | Das Comic-Zentrum auf der Frankfurter Buchmesse 2014

Unser Rundgang über die Frankfurter Buchmesse mit speziellem Blick auf Comics ist schon Tradition. Aber die Messe 2014 hat mit einigen Traditionen gebrochen. Comics haben einen drastischen Bedeutungsverlust hinnehmen müssen. So stellte sich jedenfalls die Lage für Messebesucher ANDREAS ALT dar.

Frankfurter Buchmesse 2014Wo sind die Comics?
Frankfurter Buchmesse 2014
Wo sind die Comics?
An manche Dinge gewöhnt man sich, wenn man schon seit einigen Jahren regelmäßig die Frankfurter Buchmesse besucht. Zum Beispiel wurde einem, nachdem man die Eintrittskarte vorgezeigt hatte, lange Zeit gleich an der nächsten Ecke die neueste Ausgabe der ›FAZ‹-Messezeitung entgegen gestreckt. Aber nicht in diesem Jahr: Man konnte laufen, wohin man wollte, nirgendwo wurde diese Sonderausgabe verteilt. Das war symptomatisch, wie sich herausstellte.

Gleich mehrfach wurde in diesem Jahr mit alten Traditionen auf der Buchmesse gebrochen. Unsereins führte die Schritte direkt ins Comic-Zentrum, das es bereits seit dem Jahr 2000 gibt. Und da stellte sich heraus: Unter der Decke hängt wie gewohnt der lila Würfel mit der Aufschrift »Comics«, der diesen Bereich der Halle 3.0 kennzeichnet. Vom Comic-Zentrum ist dagegen nicht viel übrig geblieben: Es gibt eine Ausstellung, einen Signierbereich und ein paar Verlagsstände, aber kein Forum mehr für Veranstaltungen zum Thema Comics, mithin außer Signierterminen auch keine Diskussions-, Präsentations- oder Preisverleihungstermine mehr, keine Leseecke, wo man sich hinsetzen und in Comicbänden schmökern kann, kein Comic-Café wie bisher. Und im gesamten Comicbereich gibt es nur noch etwas mehr als eine Handvoll Stände von Comicverlagen. Hinzu kommt ein Gemeinschaftsstand für 18 weitere große und kleinere Verlage, wo aber keine Verlagsmitarbeiter präsent sind.

Samsung ist an die Stelle der Comics getreten

buchmesse2014 002_700Auf einer großen Fläche, die bisher zum Comic-Zentrum gehörte, machte sich stattdessen Samsung breit und präsentierte die neueste Generation seines Tablet-Computers ›Galaxy‹. Eine hoffentlich nicht allzu symbolträchtige Veränderung auf der Buchmesse.

Schon seit mehreren Jahren sind Aussteller tendenziell aus dem Comic-Zentrum abgewandert. Auch in diesem Jahr fand man Comics in anderen Messebereichen und Hallen – aus unterschiedlichen Gründen. ›Carlsen‹ und ›Egmont‹ haben große Stände im Kinderbuchbereich; Comics laufen da nebenbei mit. Diejenigen, die jetzt mit Graphic Novels beim allgemeinen Publikum Erfolg haben, wie ›Reprodukt‹ oder ›Avant‹, sind bei der Belletristik zu finden. Und Comicmacher wie etwa ›DC‹, ›Dark Horse‹, ›Dargaud‹ oder ›Glenat‹ sind in den Hallen für ausländische Verlage.

Da es im Comic-Zentrum kein Programm mehr gibt, bedeutet das fürs Publikum, weite Wege zu den einzelnen Verlagsständen auf sich zu nehmen und dort jeweils nachzusehen, ob vor Ort oder anderswo Veranstaltungen auf die Beine gestellt werden. Ein Faltblatt oder eine Broschüre der Buchmesse mit einem Überblick comicrelevanter Termine ist nicht aufzutreiben; bis zum vergangenen Jahr wurde ein solches Heft von ›ZACK‹ produziert und verbreitet.

Ein Mawil-Interview vor viel Zufallspublikum

Manche Veranstaltungen sind ins Forum für unabhängige Verlage gewandert. Hier gibt etwa der holländische Zeichner Erik Kriek Auskunft über seine Arbeit und zeigt seinen eben auf deutsch (bei Avant) erschienenen Band ›Vom Jenseits und andere Erzählungen von H. P. Lovecraft‹. Einiges spielt sich auch im ›Literatursalon‹ des Regalbauers Paschen ab, wo es unter anderem um die Comicszene in Finnland (aktuelles Gastland) und den Niederlanden (Gastland mit Flandern in 2016) geht.

Gelegentlich verirrt sich das Thema Comics auch in ganz andere Bereiche. Bei ›3sat‹ wird zum Beispiel der Berliner Mawil zu seinem neuen Comic ›Kinderland‹ (›Reprodukt‹) interviewt – offenbar vor viel Zufallspublikum. Ein Mann erkundigt sich vor Beginn: »Wer kommt denn hier? Ist das Thema Kinderbücher?« – »Ich glaube, irgendwas in der Richtung«, antwortet die Frau neben ihm.

buchmesse2014 003_700Eigentlich ist es erschreckend: Nicht (mehr) vertreten auf der Messe – nur noch am Gemeinschaftsstand – sind unter anderem ›Splitter‹, ›Bocola‹, ›Mosaik Steinchen für Steinchen‹, ›Comicplus+‹, ›Schreiber & Leser‹, ›Kult Editionen‹, ›Edition 52‹. Andere Verlage wie ›Salleck‹ haben sich gänzlich von der Buchmesse verabschiedet. Ein Fanal setzt ›Panini‹. Der Verlag hat von Mittwoch bis Freitag Räume im benachbarten Hotel Maritim gemietet und erledigt dort seine Geschäftstermine; einen Stand auf der Messe spart er sich; fürs Publikum bleibt er unsichtbar.

Es scheint ein allgemeiner Befund zu sein, dass Aussteller sich von der Buchmesse zurückziehen: In mehreren Hallen fallen Flächen auf, die von Ständen frei bleiben, aber auch nicht anderweitig genutzt werden. Teilweise wurden sie notdürftig zu Aufenthaltsräumen für Messebesucher umgestaltet, aber es können nur zu hohe Messekosten dafür verantwortlich sein, dass es hier an Verlagsständen mangelt.

»Die Comicfans haben wir ja in Erlangen«

Diejenigen Comicverlage, die noch da sind, scheinen aber an der neuen Situation wenig auszusetzen zu haben. Andreas Mergenthaler ist mit seinem Verlag Cross Cult am gewohnten Standort im Comic-Zentrum geblieben und hält die Bedingungen hier für »nicht besser und nicht schlechter« als im vergangenen Jahr. Sein Ziel ist, mit seinen Comicbänden besser in den Buchhandel zu kommen, denn Cross Cult beginnt zunehmend mit Eigenproduktionen (in Vorbereitung ist ›Die Ork Saga‹ von Michael Peinkofer und Peter Snejbjerg) neben den bisher dominierenden Lizenzprodukten. Er will daher, so sagt er, mit seinem Stand da bleiben, wo er auch in den vergangenen Jahren war, um von Buchhändlern weiter gefunden zu werden. Dass jetzt weniger Fans ins verkümmerte Comic-Zentrum kommen – mag sein, aber »die Comicfans haben wir ja in Erlangen«.

Keine Klage hört man auch von ›Avant‹-Verleger Johann Ulrich, der zum ersten Mal seit mehreren Jahren wieder aktiv auf der Buchmesse ausstellt und dem Comic-Zentrum den Rücken gekehrt hat. »Wir haben hier viel Aufmerksamkeit und Komplimente bekommen«, sagte er. ›Avant‹ verlegt ausschließlich anspruchsvolle Graphic Novels und Anthologien, oft Eigenproduktionen von Künstlern wie Ulli Lust, Simon Schwartz, Birgit Weyhe oder Stefano Ricci. Als ›Avant‹ das letzte Mal auf der Buchmesse war, hatte er 15 Comicalben im Programm, jetzt sind es 100. Bei den Literaturverlagen fühlt Ulrich sich jedenfalls besser aufgehoben als zwischen Comics, die sich eher an Kinder und Jugendliche wenden. Ulrich will Leser ab etwa 25 Jahre auf das ›Avant‹-Programm aufmerksam machen, und außerdem ist er zum Kauf und Verkauf von Lizenzen auf der Buchmesse. Ordernde Buchhändler? Da lacht er auf und sagt, so jemanden habe er hier noch nicht angetroffen.

In einem Punkt widersprechen sich Mergenthaler und Ulrich auffallend: Der ›Cross Cult‹-Verleger beklagt, dass auf der Buchmesse nur Graphic Novels und keine Unterhaltungscomics propagiert werden, und verweist auf eine Broschüre, die extra von der Buchmesse produziert wurde. ›Avant‹-Verleger Ulrich mäkelt dagegen, die »anspruchsvolle Schiene« sei im Comic-Zentrum nie gleichberechtigt behandelt worden. »Wie kann sich die Buchmesse erlauben«, so Ulrich, »auf diesen Trend im Buchhandel zu Graphic Novels kaum einzugehen?« Was die Graphic Novel-Broschüre angeht, ist sie wohl sehr gezielt verteilt worden. Auf unseren Rundgängen über die Messe war sie nirgendwo zu entdecken.

›Perry Rhodan‹-Chefredakteur findet Interesse »unterkühlt«

Nach einigen weiteren Gesprächen stoßen wir doch noch auf einen Aussteller, der das frühere Comic-Zentrum vermisst, das ein Publikumsmagnet war. Klaus N. Frick, Chefredakteur der Science Fiction-Serie ›Perry Rhodan‹ im Verlag ›PabelMoewig‹, wollte nach eigenen Worten mit seinem Stand immer nahe am Comic-Zentrum sein, weil da Fans herumlaufen, die sich tendenziell auch für Science Fiction und Fantasy interessieren. »Aber in diesem Jahr ist das Publikumsinteresse sehr unterkühlt«, fügt er hinzu. »Es fehlen Stände, die Publikum ziehen.« Auch fehlt das Programm im Forum – daran haben sich die ›Perry Rhodan‹-Macher in den vergangenen Jahren auch selbst beteiligt.

Wie wird er auf den Flop reagieren? »Wir wissen es noch nicht«, sagt Frick. »Aber wir denken darüber nach. Die Messe kostet uns alles in allem einen fünfstelligen Betrag. Wir könnten nächstes Jahr den Stand kleiner machen oder keinen Stand mehr buchen, was ich aber eher für unwahrscheinlich halte. Doch heute findet in Dreieich ein Phantastik-Con statt. Da könnten sich unsere Autoren und Fans auch treffen. Schließlich müssen wir auch überlegen: Ist es nicht billiger, mehrmals im Jahr eine Facebook-Kampagne zu machen?« Wenn er sich umsieht, findet Frick jedenfalls den Messeauftritt etlicher Verlage für überarbeitungsbedürftig. Auf der Buchmesse würden viele alte Traditionen gepflegt, die nicht mehr in die Zeit passten.

Letztlich hält er die Messepräsenz aber für unverzichtbar. »Hier ergeben sich eben zufällige Gespräche, die man nicht steuern kann.« Einmal kam ein Computerprogrammierer vorbei, der einst ›Perry Rhodan‹-Leser war. Aus der Begegnung entstand das ›Perry Rhodan‹-Computerspiel. Am heutigen Tag habe eine Frau von einem amerikanischen Verlag den Stand entdeckt; ihr werde er nun einen Stapel ›Perry Rhodan‹-Material schicken, sagte Frick.

Fällt Buchmesse als Comicfestival weg?

buchmesse2014 018_700Insgesamt haben Comics auf der Buchmesse nicht eine so auffällige Rolle spielen können, wie das in früheren Jahren der Fall war. Geblieben ist die vor einigen Jahren hier initiierte Deutsche Cosplay-Meisterschaft, aber die schrill verkleideten Mangafans, die am Wochenende wie gewohnt die Messe stürmten, liefern nur bunte Bilder für oberflächliche Fernsehformate. Comic-Inhalte hätten durch das Comic-Zentrum transportiert werden müssen, aber dort war es, abgesehen von zeitweise sich drängenden Signaturenjägern, gespenstisch still. Offen bleibt die Frage, ob damit die Buchmesse als Quasi-Comicfestival auch für die Zukunft wegfällt oder ob die Tradition der vergangenen 15 Jahre nur dem Wandel hin zu etwas neuem Platz macht.

Eine weitere alte Gewohnheit scheint jedenfalls an ihr Ende gelangt zu sein: Fast in jedem Jahr haben wir mit dem Organisator des Comic-Zentrums, Wolfgang (»Wolle«) Strzyz, ein Gespräch über seine Arbeit und die Perspektiven des Comicbereichs auf der Messe geführt. Strzyz ist ein umtriebiger Mann, der schon früher manchmal den Eindruck vermittelte, gar keine Zeit zu haben, um sich für ein paar Auskünfte oder Einschätzungen hinzusetzen. In diesem Jahr winkte er jedoch erstmals ganz ab: Er dürfe nichts sagen; es gebe eine »offizielle Sprachregelung« der Buchmesse zum Thema Comic-Zentrum. Der Buchmesse-Mitarbeiter, an den er uns verwies, teilte am Montag knapp mit, er habe die Anfrage »an unsere PR-Abteilung weitergeleitet, die sich bei Ihnen melden wird«. Gewusst hätten wir gern, warum eigentlich der Gemeinschaftsbereich des Zentrums so zusammengeschrumpft ist und wie es nun mit dem Comic-Zentrum weitergeht. Eine Antwort haben wir bis zum Redaktionsschluss nicht erhalten.

| ANDREAS ALT

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