/

Ein König muss Federn lassen

Der Legende nach bringt es Unglück, in einem Theater den Namen Macbeth auszusprechen. Die für diesen Fluch angeblich verantwortlichen Hexen stört das nicht. »Macbeth! Macbeth! Macbeth!« raunen sie und umschwirren den einstigen schottischen Heerführer, dem sie den Aufstieg zum König weissagten. Nun liegt Macbeth (Marcus M. Mies), von seinem Gewissen sichtlich geplagt, auf einem Bett aus Federn. Der flauschige Inhalt des Hexenkessels ergießt sich über die kleine Bühne des Kölner ›Theater Tiefrot‹. Von JALEH OJAN

IMG_9947_800Es sind minimalistische, oft poetische Bilder wie diese, mit denen Volker Lippmann den moralischen Zerfall eines Mannes inszeniert, der anfangs noch alle Sympathien auf seiner Seite hat und allmählich dem Wahn der Machtgier anheimfällt. Die ›Macbeth‹-Inszenierung im Tiefrot ist bemerkenswert zahm: Es fließt kein Kunstblut, schrille Streicher und donnernde Percussion werden lediglich bei Szenenübergängen und sehr sparsam eingesetzt. Dabei ist das Timing für die Premiere des Shakespearestücks geradezu perfekt: Es ist Ende Oktober, Halloween steht vor der Tür. Den 450. Geburtstag des »Bard of Avon« zelebriert das Tiefrot mit einem sehr textlastigen, bewusst zeitlos inszenierten Schottenstück in strengem Schwarz-Rot-Dekor.

Die Hauptfiguren sind von vornherein in der Minderzahl, wenn man so will: Mies, Lippmann als todgeweihter König Duncan und Julia Karl als Lady Macbeth sind die einzigen Akteure ohne Mehrfachrolle. Das bedeutet vor allem eine Herausforderung für das Publikum, wenn in fliegendem Wechsel Hexen, Diener und Mörder die Rollen tauschen und zudem jeden Eingang zum Zuschauerraum für Auf- und Abtritte nutzen. Viel Intimität schafft diese räumliche Nähe zwar nicht. Immerhin geht eines der blutigsten Stücke Shakespeares hier ohne unappetitliche Materialschlachten über die Bühne. Wer mordet, bedient sich eines dünnen, roten Schals, das er seinem Opfer um den Kopf wickelt. Die Tatsache, dass sich am schottischen Hof niemand die Hände schmutzig machen will, ist in diesem Szenario fast schon eine kluge Allegorie auf moderne Kriegsführung. Der Macbeth am Tiefrot will aber weder politisch sein, noch will er sich in eine puritanische Zwangsjacke stecken lassen.

Verführung nach (fast) allen Regeln der Hexenkunst

Als atypische Hexen, die gerne mal miteinander auf Tuchfühlung gehen, bilden Jule Schacht, Juliana Wagner und Sandra Kouba mit ihren khakifarbenen Kleidern nicht nur optische Ausnahmen. Die drei langhaarigen jungen Frauen verkörpern recht irdische Zauberinnen, die einen »über-sinnlichen« Tanz um den Hexenkessel vollführen. Über Sinn und Nutzen dieser angedeuteten Orgien-Szenen lässt sich streiten. Shakespeare ist sicher nicht dafür bekannt, in seinen Stücken an Zweideutigkeiten zu sparen. Doch für ein Stück, in dem der Protagonist eine offensichtliche Marionette der Frauen in seinem Umfeld ist, obwohl er doch angeblich »„keinen zu fürchten [hat], den ein Weib gebar«, ist die allgemeine Tendenz zur einseitigen Inszenierung von Frauen – auch in deren »Hosenrollen« – zu augenfällig, um ignoriert zu werden.

IMG_9862_800Eine deutlich verknappte Schlüsselszene mit der Geisterscheinung des ermordeten Rivalen Banquo (Jutta Dolle) und die etwas gewollt schaurige Erscheinung in roter Kutte (Jörg Kernbach) machen das symbolreiche Stück zu einer etwas blutleeren Partie. Einzig die von Karl lasziv dargestellte Lady Macbeth in rot-schwarzem Latex-Top sorgt für wohldosierten Grusel, wenn sie in Rückenlage die dunklen Mächte beschwört, sie mit Grausamkeit zu füllen. Marcus M. Mies spielt angenehm zurückhaltend und erinnert in seinen introspektiven, konzentrierten Momenten an Shakespeare-Veteran Kenneth Branagh.

»Fair play« und fauler Zauber

Kein Zweifel, man kennt sein Schottenstück: Das Spiel ist solide, die Symbolik geschickt in Bühnensprache übersetzt. Zudem hat man davon abgesehen, den Originaltext auf Neuzeit zu trimmen, was der Inszenierung gut tut. Handwerklich kann man insofern nicht viel falsch machen. Doch Regie und Akteure ziehen längst nicht alle Register. Die ausgeschlafenen Einzeldarsteller – mit Dimitri Tellis alias Macduff als Anwärter auf die beste Nebenrolle – können kaum verhindern, dass der Zauber des Anfangs langsam verpufft.

Trotz all der unverhohlenen Erotik knistert es kaum zwischen den Figuren; und es herrscht mäßige Spannung, wenn in der Schlussszene die zwei Kontrahenten aufeinandertreffen. Am Ende werden die acht weißen Leinwände, die an den Bühnenrändern auf zwei Stangen montiert sind, umgedreht worden sein. Ihre Rückseite ist blutrot: Mit jedem Mord kommt ein wenig mehr Farbe auf die Bühne, wenn auch nicht ins Spiel.

An der Sache mit dem Fluch ist offenbar nichts dran, denn die große Katastrophe auf der Bühne bleibt aus. Das ›Theater Tiefrot‹ präsentiert einen sehr geradlinig inszenierten ›Macbeth‹ mit klarer Bildersprache und wenig Überraschung. Ein »fair play« im Großen und Ganzen, wenn auch mit einer Prise faulem Zauber.

| JALEH OJAN / Fotos: KARIN DANNE

Titelangaben
Macbeth – Premiere: 25.10.2014
Theater Tiefrot, Köln
Regie & Bühne: Volker Lippmann
Es spielen: Jörg Kernbach, Dimitri Tellis, Jutta Dolle, Juliana Wagner, Jule Schacht, Sandra Kouba und Marcus M. Mies
Textfassung & Video: Julia Karl
Kostüme: Isa Dorn, Bettina Dörnemann
Regieassistenz: Derya Güven
Technik: André Sözeri & Gerd Ruhnau

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Feinde im Datastream

Nächster Artikel

Wider die Hysterisierung der Trübsalafisten

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Zwischen Moderne und Tradition

Bühne | Richard Wagners ›Lohengrin‹ im Stadttheater Pforzheim Ist eine Oper, die aus der Feder Richard Wagners (1813-1883) stammt, eine Herausforderung an die Moderne? Studiert man die Sekundärliteratur, ist davon die Rede, dass sich Interpreten bis heute nicht einig darüber sind, wie sie eine solche Oper zu interpretieren haben. Nicht nur literarische Texte, auch Schauspiel und Oper in ihrer Aufführungspraxis sind mehrdeutig. Eine einzige Interpretation, die für ein Werk gilt, kann es nicht geben. Bei Richard Wagner stellt sich an den Interpreten noch eine ganz andere Herausforderung: Die nämlich, seinem Traum vom »Gesamtkunstwerk« aus Schauspiel, Musik und Text gerecht zu

»Wir haben doch noch uns«

Bühne | Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun Was gibt es Schöneres als ein junges Glück? In Zeiten der Not erwärmt es einem das Herz, doch das Geld darf nicht ausbleiben, denn sonst hat der Muckel nichts zu essen. Von MONA KAMPE

Coming in and Coming out

Bühne | Comedy: Cavequeen Sven wacht nach seiner eigenen Geburtstagsfeier ziemlich verwirrt im Vorgarten auf – splitternackt. Quasi fast scheintot. Doch sein eifersüchtiger Freund Bruno lässt ihn lieber in der Kälte zittern, statt ihn ins Haus zu lassen. Geschickt lenkt der Entertainer sein Publikum und erklärt den »in-den-Vorgarten-Gaffern« (Zuschauern) Klischees von Homosexuellen, die – oh Wunder – alle wahrer zu sein scheinen, als man auf den ersten Blick denken könnte. ANNA NOAH staunt über Svens ausdrucksstarke Art, das Publikum in seinen Bann zu ziehen.

Theater ist Aufwachen

Menschen | Zum Tod des Dramatikers Edward Bond

Wer Shakespeare auf der Bühne sterben ließ, war ein mutiger Mann sein, für den es keine Tabus zu geben schien. In ›Bingo‹ (1973) schickte Edward Bond Hamlets geistigen Vater in den Gifttod - als Strafe, weil er sich nicht an die humane Botschaft seiner Stücke gehalten habe. Bond seinerseits hat auf der Bühne stets provoziert. Von PETER MOHR

Komik und Trauer vereint

Menschen | Zum Tode des Schauspielers Helmuth Lohner   In der Nacht zum Dienstag ist Helmuth Lohner im Alter von 82 Jahren gestorben. PETER MOHR blickt zurück auf das Werk des wandlungsfähigen Schauspielers. [Abb:Salzburger Festspiele 1990 – Jedermann: Helmuth Lohner, Sunnyi Melles Abb: Archiv der Salzburger Festspiele/Foto Weber]