Comic | Glyn Dillon: Das Nao In Brown
Glyn Dillon erschafft in ›Das Nao In Brown‹ eine facettenreiche, aufgrund einer Aggressionsstörung recht zwiespältige Protagonistin, der er mit Beiläufigkeit nahekommen will. CHRISTIAN NEUBERT staunt über das Potenzial und die Schönheit des Bandes – hält das aber für den falschen Weg.
Nao Brown ist eine junge Designerin. Ihren für den Londoner Längengrat ungewöhnlichen Vornamen verdankt sie ihrer Mutter, einer Japanerin. Ein Job in einem Fachgeschäft für Designspielzeug, der von einem ehemaligen Kommilitonen betrieben wird, sichert ihren Lebensunterhalt, während sie auf lukrative Illustrationsaufträge hofft.
Immer wieder drückt sie ihr Stilbewusstsein im Kommentieren der Kleidung ihrer Freunde aus. Die Wohnung teilt sie mit ihrer Freundin Tara, und die Feierabende lässt sie gerne mit Meditationsübungen im buddhistischen Zentrum ausklingen. Ansonsten sucht sie in den Straßen und Bars der Stadt nach dem Mann ihrer Träume.
Soweit, so gewöhnlich. Nao Brown könnte leicht als typische Vertreterin ihrer Altersgruppe durchgehen. Etwas aber trennt sie von den allermeisten ihrer Mitmenschen. Etwas, dass sie nur schwer in den Begriff bekommt und dass sie regelmäßig in Situationen bringt, die für Außenstehende merkwürdig anmuten: Nao wird immer wieder von Gewaltfantasien heimgesucht. Gewaltfantasien, die durch bestimmte Auslöser hervorgerufen werden und die nicht nur aufgrund ihrer Drastik pathologisch sind, sondern vor allem auch insofern, dass sie immer wieder in Gefahr läuft, diese Realität werden zu lassen.
Abgründe und Alltag
Für ihren Alltag bedeutet das, dass die Schubladen in ihrer Wohnung verriegelt sind, um den Zugriff auf Messer zumindest zu erschweren. Die Kugelschreiber, die ihr Kollege auf der Ladentheke liegen lässt, verräumt sie lieber – nicht, dass sie mal einem ihrer krankhaften Impulse nachgibt und einen der Stifte ins Ohr oder in die Halsschlagader eines Kunden rammt. Sich auf einen Mann, einen Flirt, eine Liebe einzulassen, wird dadurch natürlich erheblich erschwert. Dennoch unternimmt sie Schritte, um an diesen Kerl ranzukommen. Diesen Waschmaschinen-Installateur, der vor Kurzem bei ihr im Laden war …
Eine Protagonistin, die einerseits wirklich liebenswert und sehr hübsch anzusehen ist, aber andererseits durch ihr Krankheitsbild zu einer extremen Figur voller schwer auszulotender Untiefen wird: Das ist gewagt. Und interessant. Und insofern eine tolle Heldin. Dennoch, und das ist leider der Knackpunkt: So wirklich fesselnd ist der Band auf lange Sicht nicht. Denn was gut losgeht, weicht bald der Ernüchterung. Und der Erkenntnis, dass Dillon in ›Das Nao In Brown‹ sowohl zu viel des Guten als auch zu wenig des … sagen wir ruhig: Bösen exerziert.
Zu viel im Fokus
Der Fokus des Bandes liegt insofern auf Naos Krankheit, als dass diese ihr Leben maßgeblich beeinflusst. Ein Psychogramm möchte der Comic allerdings nicht sein. Er nimmt seine Protagonistin einfach als facettenreichen Menschen ernst, unternimmt aber nicht genug, um den psychopathologischen Aspekt ihrer Persönlichkeit als Erzählelement zu instrumentalisieren. Stattdessen vollführt die Handlung weitschweifende Exkurse. Zusammengenommen ergeben diese allerdings kein rundes Bild. Der Band mäandert sprunghaft hin und her und macht narrative Fässer auf, die den Erzählfluss zunehmend lahmlegen. Wichtige Figuren, die den Band mitkonstruieren, bleiben dabei nebensächlich und vage.
Man könnte dem Comic nun zugute halten, dass dies zum klinischen Befund von Nao Brown passt: Sie, die sich ständig im Griff haben muss, ist wohl zwangsläufig eine eher egozentrische Person, der man nur schwer habhaft werden kann. Dies aber wie im Nebenher abzuhandeln, erscheint zunehmend falsch. Der eingeschlagene Weg entlang des schmalen Grats zwischen Intimität und Distanz hätte ein Meisterwerk hervorbringen können. Aber dadurch, dass Dillon nicht auf eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Diskrepanz zwischen Naos an sich feinfühligen Art und der dunklen Seite ihrer Aggressionsstörung baut, geht viel vom Potenzial dieser Figur flöten.
Auch, wenn es nur die Ahnung davon ist, dass Intensität und Intension hier auf unbestimmte Weise auseinandergehen, was den Lesespaß trübt: Man bekommt sie nicht weg. Das ist nicht nur angesichts der missachteten Möglichkeiten der Geschichte schade: Es ist auch schade in Anbetracht Dillons meisterhaften Strich, der detailreiche, lebensnahe, großartig kolorierte Bilder schafft.
Titelangaben
Glyn Dillon: Das Nao In Brown (The NAO Of Brown)
Aus dem Englischen von Volker Zimmermann
Köln: Egmont Graphic Novel 2014
208 Seiten. 29,99 Euro
Reinschauen
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