Bühne | Friedrich Dürrenmatts ›Die Physiker‹ – Volkstheater Wien
Elias Perrig inszeniert Dürrenmatts ›Physiker‹ am Volkstheater. Ein alles in allem missglückter Versuch, dem Meister der Katastrophe mit humoristischem Vorpostengeplänkel beizukommen – findet ALBERT EIBL
»Die ›Physiker‹ sind das am meisten schlecht gespielte meiner Stücke« äußerst sich Friedrich Dürrenmatt 1987 etwas larmoyant in einem Interview mit dem Schweizer Journalisten Jürg Ramspeck in der ›Weltwoche‹ über seinen zweiten großen Welterfolg (nach dem ›Besuch der alten Dame‹ von 1956) und setzt fast schon resigniert hinzu, dass die 1962 am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführte Komödie in zwei Akten »voller dramaturgischer Fallen« wäre, »und die meisten Aufführungen, die ich gesehen habe, laufen in diese Fallen hinein.«
Leider kommt auch die mit schneller Hand und müder Stirne auf die Bühne geworfene Inszenierung des Schweizer Regisseurs Elias Perrig am Wiener Volkstheater nicht darum herum, blindlings in einige dieser Fallen zu tappen. Zu oberflächlich wird der abgründige, zwischen einfachen Sprachgags und satirischen Inversionen oszillierende Sprachwitz Dürrenmatts aufbereitet. Zu wenig durchdacht erscheinen zentrale Szenen dieser zutiefst tragischen Komödie (so das mit viel zu viel Slapstick aufgeladene Familienwiedersehen im ersten, oder die zwar lustige, aber ohne das nötige Pathos gespielte Enthüllungsszene der drei Physiker im zweiten Akt) und lassen bis zum Schluss nicht die nötige Empathie für das Groteske, ja Ungeheuerliche des Stoffes erkennen, der die Vorspiegelung des Wahnsinns in einer Welt der Wahnsinnigen zum kategorischen Imperativ erhebt. Auch das Bühnenbild, für das Wolf Gutjahr eine völlig verzerrte Version von Rudolf Alts Gemälde von Makarts Atelier über die Wände tapezierte, vermag weniger die skurril Atmosphäre des Stücks zu unterstützen als beim Zuschauer mit der Zeit ein nervöses Augenflimmern zu verursachen.
Der brillante Physiker Johann Wilhelm Möbius (mit Houellebecqscher Laszivität und einiger emotionaler Unterkühlung interpretiert von Thomas Kamper) lässt sich freiwillig in die Luxusnervenheilanstalt der psychiatrischen Koryphäe Dr. Mathilde von Zahnd einweisen, um seine Entdeckung der »Weltformel«, des Systems aller möglichen Erfindungen, vor den Eliten der Wissenschaft und der Öffentlichkeit geheim zu halten. Er wählt die Narrenkappe, um die Welt mit seinen alles bisher Gedachte auf den Kopf stellenden Forschungen nicht selber in ein Tollhaus zu verwandeln. Womit er nicht gerechnet hat: Die Leiterin der Irrenanstalt ist der letzte Spross einer mental vollkommen degenerierten Familie und will in ihrem Wahnsinn eben diese Weltformel des Möbius – unter Inkaufnahme aller ihrer zerstörerischen Konsequenzen – für Politik und Wirtschaft, und nicht zuletzt für sich selbst nutzbar machen. Der Ausweg entpuppt sich für Möbius letztlich als Irrweg. Was einmal gedacht wurde, so die niederschmetternde Aporie des Stücks, kann nicht mehr zurückgenommen werden.
Vera Borek vermag der Figur der alten Irrenärztin, die sich im weißen Arztkittel langsam dahinhinkend durch den mit bunten Sesseln vollgestellten Salon bewegt – eine graue Eminenz, die sich ihrer unanfechtbaren Macht bewusst ist – den nötigen psychologischen Tiefgang abzugewinnen. Ihr Wahnsinn ist zurückgestaut unter einem dicken Mantel an selbstbeherrschter Täuschung und tritt dem Zuschauer erst allmählich, in einem stieren Blick, in einem kurzen, irren Auflachen vor Augen. Angesichts dieser schauspielerischen Finesse verblassen leider die anderen beiden Physiker der Anstalt, Herbert Georg Beutler (Erich Schleyer) alias Newton und Ernst Heinrich Ernesti, genannt Einstein (Rainer Fieb). Abgesehen von einiger jovial in Szene gesetzter Situationskomik, die sich allerdings notwendig aus dem Stück ergibt, vermag ihr Spiel wenig zu beeindrucken. Auch Kriminalinspektor Voß (Thomas Bauer) muss als schneidiger James-Bond-Verschnitt, der im Salon mit getönter Fliegerbrille erscheint, hinter den Erwartungen des Stoffes zurückbleiben.
Einem Stück, das unter dem Eindruck der Zerstörung der Menschheit durch die Atombombe entstanden ist, vermag so wenig dramaturgischer Sprengstoff einfach nicht beizukommen.
| ALBERT EIBL / Fotos: CHRISTOPH SEBASTIAN
Titelangaben
Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt
Regie: Elias Perrig
Bühne: Wolf Gutjahr
Kostüme: Katharina Weissenborn
Dramaturgie: Elisabeth Geyer