/

Über allen Wipfeln

Kulturbuch | Pete Nelson: Die wunderbare Welt der Baumhäuser

Glücklich, wer als Kind ein Baumhaus bauen konnte, eine luftige, aus Sperrholz und schiefen Latten gezimmerte Bretterbude auf der Wiese hinterm Haus. Manche retten sich diesen ewigen Kindheitstraum ins Erwachsenenalter hinein, aber nur wenige perfektionieren ihre Passion. Pete Nelson ist so einer. Sein Universum ist Die wunderbare Welt der Baumhäuser. Von INGEBORG JAISER

BaumhausAls Koryphäe seines Fachs und bekanntester Baumhaus-Architekt der Welt plant und inszeniert Pete Nelson seine gewagten Ideen in der eigenen Firma »Nelson Treehouse and Supply« in Seattle. Reist rund um den Globus, um mit seinem Team die kühnsten und ausgefallensten Baumhäuser zu errichten und seine Projekte in der Reality-Show ›Treehouse Masters‹ zu präsentieren. Sechs Bücher hat er in den letzten 20 Jahren publiziert. Fantasievolle Publikationen, die nicht nur zum Schwärmen verführen, sondern auch das Know-how vermitteln, um in die Hände zu spucken und die Verwirklichung der eigenen Träume anzugehen. Oder sie zumindest in Auftrag zu geben.

Rückzugsorte und Elfenbeintürme

Welche Vielfalt in Design, Konstruktion und Nutzung: Baumhäuser als versteckte Rückzugsorte und geheime Liebeslauben, als exklusive Gästehäuser und abenteuerliche Kinderzimmer, als rustikale Wellness-Oasen und abgeschiedene Elfenbeintürme. Selbst ein Experte wie Pete Nelson ist immer noch fasziniert davon, »dass sich Menschen kleine Refugien in Bäumen schaffen. Es sind Orte, an denen man sich vom Alltag abkoppeln und neue Perspektiven auf die Schönheiten des Lebens und der Natur finden kann.« Und sei es nur, um »sich hinzulegen, um die Innenseiten der eigenen Augenlider zu betrachten«.

›Die wunderbare Welt der Baumhäuser‹ stellt mehrere Dutzend, vornehmlich in den USA errichtete Prachtstücke vor – in großformatigen Fotografien, erläuternden Konstruktions-Skizzen und enthusiastischen Texten. Wer würde nicht gerne seinen Nachmittagstee in einem irisch inspirierten Cottage in den Ästen eines Olivenbaumes einnehmen? Auf einem romantischen Hochstand in 6 Metern Höhe zwischen Rot-Zeder und Oregon-Ahorn übernachten? Seinem abenteuerlustigen Sohn ein knorriges Spielhaus mit Falltür, Strickleiter und Aussichtsplattform zimmern?

Von der Inspiration zur Konstruktion

Auch wenn ›Die wunderbare Welt der Baumhäuser‹ auf den ersten Blick als großformatiger Bildband und imponierendes Coffeetable-Book daherkommt, steckt entschieden mehr dahinter: praktikable Bauanleitung, umfangreiche Werbebroschüre und realitätsnahe Wissensvermittlung. Über 30 Seiten sind allein den Themen der handwerklichen Gestaltung und des architektonischen Designs gewidmet. Denn alle Möchtegern-Baumeister und Hobby-Schreiner im Anfangsstadium sollten sich erst einmal die Lektionen über Plattformkonstruktionen, Garnier-Schrauben und Kopfbänder zu Gemüte führen. Nicht zuletzt sind auch Baugenehmigung und Bewilligungsverfahren ein ernst zu nehmendes Thema, über das Pete Nelson ein leidvolles Lied singen kann. Doch Vorsicht: Tagträumer und Luftikusse werden angesichts des zuweilen etwas hemdsärmeligen Schreibstils schnell wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Der Baumhausbau ist eben doch ein Metier für harte Burschen!

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Pete Nelson: Die wunderbare Welt der Baumhäuser: Design, Konstruktion, Inspiration
Wien: Brandstätter, 2014
223 Seiten. 35,00 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Von menschlichen Bären und affigen Menschen

Nächster Artikel

Oh Mannomann

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

Anarchischer Moment der Glückseligkeit

Kulturbuch | Thierry Paquot: Die Kunst des Mittagsschlafs Es gab zwar Zeiten, da hatte mittags in deutschen Mietshäusern Ruhe zu herrschen. Zwischen eins und drei wurde nicht gespielt, weder Ball im Hof noch Klavier im Haus. Heute ist Mittagsschlaf etwas, das die jüngsten Mitbürger müssen (meistens gegen kreischenden Widerstand) und nur die älteren dürfen (oft mitleidig belächelt). Für alle anderen gilt: Schlafen kann man, wenn man tot ist, wir haben Leistungsgesellschaft. Frühe Lärmschutzverordnung, lasterhafter Müßiggang – hierzulande scheint die Siesta von einem unfrohen Geist beseelt. Thierry Paquot treibt ihn mit Die Kunst des Mittagsschlafs genüsslich aus. Von PIEKE BIERMANN

Rede als praktizierte Macht

Kulturbuch | Karl-Heinz Göttert: Mythos Redemacht Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015 In seiner umfangreichen Untersuchung über Rhetorik arbeitet Karl-Heinz Göttert die von der europäischen Antike ausgehende Tradition der Rede als Mittel der Machtausübung heraus. Wenngleich er sich dabei kühn zwischen den Jahrhunderten bewegt, zeigt sich ein erstaunlich stabiles Prinzip. Der Redner wolle »sein Gegenüber beeindrucken, ihn regelrecht unterwerfen, indem er kunstvoll redet«, Göttert sieht einen überlegenen Redner und den passiven Zuhörer. Von WOLF SENFF

Rufer in der Wüste

Kulturbuch | Remo H. Largo: Wer bestimmt den Lernerfolg: Kind, Schule, Gesellschaft? Remo Largo, seines Zeichens renommierter Professor für Kinderheilkunde und Autor so bekannter Bücher wie Babyjahre, Schülerjahre und Jugendjahre hat eine Flugschrift herausgebracht. In Wer bestimmt den Lernerfolg hält er uns Eltern den Spiegel vor und plädiert einmal mehr für einen realistischen, liebevollen Umgang mit unseren Kindern. VIOLA STOCKER ließ sich gerne überzeugen.

Fußball als Kulturgeschichte

Kulturbuch | Christoph Biermann: Wenn wir vom Fußball träumen In den siebziger Jahren sei Fußball »wenig gesellschaftlich akzeptiert« gewesen? Hm. Zur EM 1972 spielte die grandiose Elf mit Günter Netzer, der für die intellektuelle Qualität seines Spiels bewundert wurde, und noch heute gibt’s ernst zu nehmende Leute, die diese Mannschaft für die beste deutsche Elf aller Zeiten halten. Und das legendäre Pokalfinale Gladbach gegen Köln, in dem sich Netzer selbst einwechselte? Von WOLF SENFF

Überlebenskünstler

Kulturbuch | Judith Herrin: Byzanz Mehr als tausend Jahre hat es existiert, das byzantinische Reich. Neunzig Kaiserinnen und Kaiser, 125 Patriarchen, ein Machtbereich, der sich zu Hochzeiten vom Balkan bis zur arabischen Halbinsel erstreckte, Begegnung und Auseinandersetzung dreier religiöser Systeme, dem antiken Götterglaube, dem Christentum und dem Islam, intellektuelle und künstlerische Höchstleistungen, die einen heute noch staunen lassen, all das hat es vorzuweisen. Seine Spuren finden sich bis heute. Was hat dieses Reich trotz umwälzender Veränderungen überleben und so lange weiterwirken lassen? Judith Herrin, Archäologin und Byzantinistin, erzählt es mit Schwung und Leidenschaft in Byzanz. Die erstaunliche Geschichte eines mittelalterlichen