Roman | Tilman Strasser: Hasenmeister
Der in Köln und Berlin lebende Drehbuchautor Tilman Strasser (*1984 in München) hat mit ›Hasenmeister‹ einen glänzenden Debütroman vorgelegt. MARTIN SPIESS hat ihn gelesen.
Es gibt diese seltenen Momente, in denen Musik die Realität transzendiert. In denen plötzlich nur die Musik zu existieren scheint und man ohne jeglichen Affekt, ohne Intentionen oder Ambitionen einfach nur hört: Wie sich Melodien entfalten, wie nach und nach die Instrumente einsetzen, wie eines hervortritt und wieder abgelöst wird, wie alles auf minimalistische Instrumentierung eingedampft wird, nur um in einem krachend kreischenden Crescendo zu kulminieren.
Dabei ist es egal, ob folklastiger Schweizer Metal von Eluveitie läuft oder frickeliger Berliner Indierock von Museum, egal ob grooviger Wiener Elektroswing von Parov Stelar oder klassische Kammer- oder Orchestermusik.
Rückzug in die Übezelle
Um Letztere dreht es sich in Tilman Strassers Romandebüt ›Hasenmeister‹. Der begabte Violinist Felix Hasenmeister hat sich in einer Übezelle seines Konservatoriums eingeschlossen, nachdem er vor der eigenen Abschlussprüfung und der übermächtigen Vater-Figur geflohen ist. Er sitzt in der schallgeschützten Stille und lässt sein Leben Revue passieren: denkt an seine Musiklehrer, an seine mutterlose Kindheit, an den strengen, distanzierten Vater und immer wieder ans Üben. An die Disziplin, die seine Geigenlehrerinnen und -lehrer von ihm erwarteten, die er sich selbst auferlegte, die er wegen Mädchen schleifen ließ, die er wieder aufnahm, um besser zu werden. An seine Aufnahme an der Musikhochschule, an seine Engagements bei Filialeröffnungen, wo er sich deplatziert fühlt. Und an seine Affäre Carla, die verheiratete Ärztin, die ihn aus der Reserve zu locken versucht und die ihm – bis der Akku seines Handys versagt – Kurznachrichten in die Übezelle schickt: dass sie ihn suche. Dass es kindisch sei, sich zu verstecken. Dass sie ihn finden werde, was es auch koste und wie viel Zeit und Energie sie auch darauf zu verwenden habe.
In der Musik liegen Wohl und Wehe
Bücher über klassische Musik wirken allein ihrer Thematik wegen oft prätentiös oder affektiert, sie strahlen überintellektuellen Habitus aus und gefallen sich allzu sehr darin, sich dem Großen und Schönen, dem Edlen und Wahren zu widmen. ›Hasenmeister‹ zeichnet sich zwar aus durch eine sehr detaillierte, Vergleiche- und Metaphernreiche Sprache, gerät aber nie ins Fahrwasser vergeistigten Schwadronierens über die Erhabenheit klassischer Musik. Tilman Strasser versteht es, die Geschichte eines jungen Geigers zu erzählen, der unter dem strengen Vater und der fehlenden Mutter leidet, der in der Musik Wohl und Wehe zugleich gefunden hat und beinahe ohnmächtig gezwungen ist, zwischen diesen beiden Polen hin und her zu pendeln.
Anhand der Beschreibung seiner Geigenlehrerinnen und -lehrer gewinnt die zerrissene Figur des Felix Hasenmeister zunehmend an Kontur, je skurriler der Lehrer und dessen Vita, desto näher wird einem der Ich-Erzähler, desto mehr Sympathie entsteht beim Leser für sein Schicksal: Sich gegen etwas aufzubäumen, was weder die Affäre Carla noch – so scheint es – die Musik zu beseitigen imstande ist. Aber Strasser lässt seinen Protagonisten kämpfen, so schwer dessen Weg auch ist, so sehr er auch strauchelt, so sinnlos sein Kampf auch scheint.
Und am Ende ist nicht klar, ob er gewonnen oder aufgegeben hat. Klar allerdings ist: Tilman Strasser hat mit ›Hasenmeister‹ einen glänzenden Debütroman hingelegt, der in seinen besten Momenten denselben Effekt hat wie gute Musik: Er transzendiert die Realität und es existiert nichts weiter, als diese große Geschichte.
Titelangaben
Tilman Strasser: Hasenmeister
Zürich: salis 2015
240 Seiten, 24,95 Euro