Doppelte Banknote und der Tote im Tunnel

Roman | Martin Suter: Montecristo

»Ich versuche jedes Mal ein Buch zu schreiben, das mir gut gefällt. Damit bin ich immer gut gefahren, weil ich offenbar selbst einen populären Geschmack habe.« So hat der inzwischen 67-jährige Schweizer Autor Martin Suter sein Erfolgsrezept und seinen späten literarischen Triumphzug zu erklären versucht. Jetzt erscheint sein neues Buch Montecristo. Gelesen von PETER MOHR

SuterSuter war bei Erscheinen seines Erstlings Small world immerhin knapp Fünfzig, seitdem reiht sich Bestseller an Bestseller. »Die Ideen kommen mir beim systematischen Denken, ich sitze nicht unter einem Feigenbaum und warte, bis mir eine Idee zufliegt. Es ist Arbeit«, hat Martin Suter 2012 in einem FAZ-Interview erklärt. Dabei wirken seine Bücher so zauberhaft-spielerisch mit leichter Hand dahingeschrieben und seine Storys so unterhaltsam, dass man meinen könnte, Suter sei ein dauer-eruptierender Ideen-Vulkan.

Nun hat der nach vielen Jahren im Ausland wieder in Zürich lebende Schriftsteller seiner zuletzt gehegten, leicht abgedrehten Figur Allmen, eine Art Felix Krull unter den literarischen Detektiven, eine kleine Auszeit gegönnt.

Mit einer 150 000er Startauflage ist nun der neue Roman Montecristo erschienen, der ein dunkles Licht auf die Schweizer Bankenwelt wirft und gleichzeitig auch noch die boulevard-orientierte TV-Szene mehr als kritisch unter die Lupe nimmt.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Jonas Brand, ein Video-Journalist von knapp vierzig, der vorrangig Boulevard-Magazine mit seinem Material versorgt, sich dabei aber hoffnungslos unterfordert fühlt. Eigentlich hat er großes Film-Projekt im Kopf, das den Arbeitstitel »Montecristo« trägt und von einem jungen Mann handelt, der mit einem Internetunternehmen zu stattlichem Reichtum kam. Ihm wird während eines Urlaubs Heroin ins Gepäck geschmuggelt und in Thailand der Prozess gemacht. Seine Geschäftspartner aus der Schweiz belasten ihn. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt, irgendwann gelingt die Flucht, und er will einen Rachefeldzug starten. Doch für Jonas Brands ambitioniertes Film-Projekt fehlen die Geldgeber.

So muss der frisch verliebte Brand, der die reizende Eventmanagerin Marina Ruiz kennen- und lieben gelernt hat, weiter den Boulevard mit seinen Film-Schnipseln beliefern. »Strassenjournalismus sollte es heissen. Gossenjournalismus! Er zielt auf die niedrigen Instinkte der Leute«, erfuhr Brand vom sozial abgestürzten TV-Wirtschaftsexperten Gantmann, den er später um Hilfe bittet. Per Zufall ist dem Video-Journalisten auf einer Bahnfahrt Zeuge eines »Zwischenfalls« geworden, der einen Nothalt in einem Tunnel auslöste. »Personenschaden« wird das Vorkommnis im Amtsvokabular genannt. Offensichtlich ist ein Fahrgast aus dem fahrenden Zug gesprungen. Aus gebührendem Abstand hat Jonas Brand gefilmt und anschließend einige O-Töne von Mitreisenden aufgenommen.

Diese zu Anfang geschilderte Episode um den Tod eines Börsianers gewinnt mit fortschreitender Handlung wieder mehr und mehr an Bedeutung, denn der eigentlich völlig  unauffällige Brand gerät selbst unfreiwillig zwischen die Fronten. Auslöser waren zwei identische 100-Franken-Noten, die er in seiner Geldbörse findet. »Für mich sind beide echt«, erfährt der überraschte Brand vom Bankangestellten Weber, der mehrere Experten zu Rate gezogen hatte. Offensichtlich ist es an höchster Stelle beim Schreddern von Fehldrucken zu Pannen gekommen.

Wir erfahren später, dass weit mehr als nur zwei »Doubletten« im Umlauf sind. Ein Vorfall, der das Vertrauen in die Seriosität der Schweizer Banken stark erschüttern kann. Deswegen wird alles daran gesetzt, die Banknoten-Panne zu vertuschen.

Bei Brand wird eingebrochen, er wird Opfer eines Überfalls – sein Leben droht gänzlich aus den Fugen zu geraten. »Jonas war ein sensibler, gefühlsbestimmter und oft auch sentimentaler Mensch.«

Martin Suter produziert spannende Geschichten wie am Fließband. Diese Mischung aus Krimi-Elementen, Zeitkritik und humorvollen Schlenkern ist einzigartig. Fraglos keine erzählerische Weltklasse, aber schämen müssen wir uns als Leser auch nicht, wenn wir eingestehen, dass es dieser Autor immer wieder schafft, uns in faszinierender Weise auf beachtlichem Niveau bestens zu unterhalten.

| PETER MOHR

Titelangaben:
Martin Suter: Montecristo
Zürich: Diogenes Verlag 2015
309 Seiten. 22,90 Euro

Reinschauen:
Martin Suter in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wortwitzige Sprachanarchie

Nächster Artikel

Dreigeteilte Idenditäten und groteske Vögel

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Das Horn in der Brust

Krimi | Leonhard F. Seidl: Viecher Leonhard F. Seidl legt im neuesten Krimi so richtig los. Und auch sein Privatdetektiv Freddie Drechsler gerät in seinem zweiten Fall richtig in Fahrt. Im wahrsten Sinne des Wortes darf er mal richtig die Sau rauslassen, pardon, den Stier an den Hörnern packen. Viecher ist wie schon Genagelt (2014) wieder ein extrem mörderischer, zugleich bajuwarisch burlesker Text – eine Mischung aus gewohntem tiefschwarzen Politsumpf und tierischem Vergnügen. Von HUBERT HOLZMANN

Hiob begegnet Ödipus oder Bucky macht sich zum Sündenbock

Roman | Philip Roth: Nemesis Philip Roths »Pest« heißt »Nemesis«; so der Titel des jüngsten Romans einer Tetralogie von kürzeren Spätwerken des einst von dem heute 77-jährigen amerikanischen Erzähler Philip Roth umfänglicher ausgeführten epischen Genres, ist (laut Duden) der Name einer griechischen Göttin der »ausgleichenden, vergeltenden, strafenden Gerechtigkeit«. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Der Mensch ist wie eine Eisschicht

Romane | Als einer von uns Laura Salinas töten wollte / Der letzte Bolero

Obwohl es in beiden neuen Romanen Tote gibt, sind es mehr als Krimis. Benjamín Prado und der im letzten Jahr verstorbene Manuel Vázquez Montalban sorgen für fein gesponnenen psychologisch motivierten Nervenkitzel auf hohem Niveau. Von PETER MOHR

Banal mit Dunkelzonen

Roman | Karl Ove Knausgård: Lieben

›Sterben‹ hieß der erste Band eines sechsteilig geplanten autobiographischen Romanzyklus, den der norwegische Autor Karl Ove Knausgård unter dem Titel ›Mein Kampf‹ zu schreiben begonnen hat. Wegen des an Hitlers Autobiographie erinnernden Titels hat das Roman-Projekt international Aufsehen erregt. Von WOLFRAM SCHÜTTE