Dreigeteilte Idenditäten und groteske Vögel

Comic | G.W. Wilson/A.Alphona: Ms. Marvel: Meta-Morphose

Och nö!, mag man anfangs denken, wenn man den neuen Comic ›Ms. Marvel: Meta-Morphose‹ von Texterin G. Willow Wilson und Zeichner Adrian Alphona in die Hand nimmt: Nicht noch so ein neuer Superheld – oder in diesem Fall: Heldin –; davon gibt es doch schon beileibe genug! Aber zumindest in einer Hinsicht ist diese neue Comicheldin beeindruckend, und mal etwas anderes als die herkömmlichen, meist maskulinen Protagonisten des Superheldengenres. PHILIP J. DINGELDEY hat sich den neuen Superheldinnen-Comic einmal angesehen.

MIssMarvelHauptperson ist Kamala Khan, ein sechzehn Jahre altes Mädchen aus Jersey in New York, das schon vor ihrer Superheldenexistenz einen Doppelcharakter aufweist: Zum einen ist sie nämlich ein nerdiges, amerikanisches Mädchen, das auf die Marvel-Superhelden abfährt – dabei besonders auf die ›Avengers‹ und natürlich die sehr feminine ›Captain Marvel‹; zum anderen ist sie die Tochter pakistanischer Immigranten und moderater bis konservativer Muslime, inklusive streng religiösem Bruder. So ist sie bereits zwischen ihrer Familie und ihrer ebenfalls strikt muslimischen besten Freundin, ihrem Comicspleen und ihren US-amerikanischen Klassenkameraden hin- und hergerissen, bei denen sie – getrieben von dem Wunsch, normal und anerkannt zu sein – zudem nicht sonderlich beliebt ist.

Außen vor

Doch schon an diesem Punkt – der Charakterisierung als nerdigem Außenseiter – sind wir wieder bei der typischen Exposition des Superheldentopos angekommen. Nach einer weiteren Demütigung durch gleichaltrige Weiße bei einer Strandparty wird sie von einem mysteriösen Nebel umhüllt, und ihr erscheinen ›Captain Marvel‹, ›Captain America‹ und ›Iron Man‹, die Urdu sprechen und Kamala schließlich, auf deren Wunsch hin, die Superkräfte eines Gestaltwandlers verleihen: Von nun an kann sie sich vergrößern und verkleinern, auch einzelne Körperteile, wie Arme und Beine. Daraufhin rettet sie gleich einmal eine Schulkameradin, die sie diskriminierte, vor dem Ertrinken, was sie prompt im Viertel als die maskierte ›Miss Marvel‹ bekannt macht.

Schon bald rettet sie auch ihren Freund Bruno – mit dem sich eine schnöde Teenager-Lovestory anbahnt – vor einem Räuber, der in dem Geschäft, in dem der Freund arbeitet, einbrechen wollte. Bald stellt sich jedoch heraus, dass es sich dabei um Viktor handelt, Brunos Bruder, der in die Fänge eines typischen Superschurken geraten ist, des Inventors. Nach einigem Hin und Her und einem kleinen Endkampf gelingt es Kamala, mithilfe Brunos, den Bruder zu befreien und damit die Aufmerksamkeit des neuen Schurken, in Gestalt eines grotesken Vogelmannes, gewinnt. Daraufhin hat sie gegen diverse Roboter und Maschinen zu kämpfen. Und über all dem schweben immer die besorgten Eltern. Diese fürchten, ihre Tochter könnte von der offeneren Gesellschaft vergiftet werden, wenn sie Zeit mit Jungs und westlichen Freunden verbringt, zumal Kamala als neue Superheldin sich stets dem aufoktroyierten Hausarrest widersetzt, und keinesfalls das perfekte (denn Kamalas Vorname bedeutet »Perfektion«) muslimische Mädchen zu sein. Schließlich hat sie ja ihre Freunde zu retten.

Den Comic hat Alphona bunt gestaltet, ohne besonders aufsehenerregende Stilmittel – eigentlich ein klassischer, schlichter Superheldencomic. ›Miss Marvel‹ alias Kamala ist optisch gelungen. Zum einen wirkt sie wie ein durchschnittliches pakistanisches Mädchen. Zum anderen distanziert sie sich, nach einem anfänglichen Fetisch für hohe Lederstiefel und enge, kurze Kostüme, von dem Superheldenoutfits ›Captain Marvels‹, die noch blond, patriotisch, sexistisch gekleidet und hyperamerikanisch war – und somit nahezu unerträglich. Die neue ›Miss Marvel‹ ist züchtiger respektive praktischer gekleidet. Lediglich der auffällige Blitz auf ihrem Kostüm wirkt ein bisschen von ›The Flash‹ abgekupfert. Lächerlich wirkt dagegen der Inventor, als grotesker Vogel mit langen Fingernägeln, der wohl kaum als ernst zu nehmender Antagonist wahrgenommen werden wird. Auch ihre amerikanischen Klassenkameraden wirken etwas stereotyp in der optischen Darstellung, fast wie in einem billigen Teenie-Film der Marke Hollywood.

Neues schon, doch Schema F

Auch das texterische Werk von Wilson ist eher durchwachsen: Außer der Idee, Kamala gleich drei Identitäten zu geben – als Muslima, als nerdige Amerikanerin und als Superheldin – bietet dieser Band, mit dem die ›Ms.-Marvel‹-Reihe eröffnet werden soll, nur wenig Spannendes. Die Dreiteilung allerdings ist insofern innovativ, als dass sie einerseits soziokulturelle Probleme von muslimischen Mädchen, die in westlichen Gesellschaften aufwachsen, thematisiert, was das Ganze authentischer gestalte. Andererseits wird ergo auch der Superheldenplot spannender, wenn es zwischen den kulturellen Identitäten und dem Alter Ego ›Miss Marvel‹ zu lavieren gilt. Leider kommt zumindest in diesem Band dabei nicht viel mehr herum als ständiger Hausarrest und eine lediglich moderate Kritik an muslimischen Bräuchen – schließlich ist Wilson auch eine US-amerikanische, überzeugte konvertierte Muslima.

Vielleicht kann Wilson damit aber künftig eigene Erlebnisse zum Lavieren zwischen Islam und westlicher Moderne einbringen. Die Superheldenstory ist jedoch leider umso verbrauchter und berechenbarer: Eine sich anbahnende Liebesgeschichte, vorhersehbare Dialoge, die häufig an ›Spiderman‹ oder den Wunderknaben ›Robin‹, Batmans peinlichen Sidekick, erinnern, und lahme Schurken.

Von dem Potenzial, das dieser neuen Comicreihe zur Superheldin ›Miss Marvel‹ inhärent ist, bleibt leider nur wenig übrig, höchstens Andeutungen und einzelne Passagen. Zu hoffen bleibt jedoch, dass nach dieser Exposition die beiden Macher des Heldendebüts noch einen draufsetzen, das Ganze vielleicht filigraner ausdifferenzieren, neue kulturelle Antagonismen und Antagonisten kreieren und integrieren, und auch den Charme und Witz dieser Heldin, der durchaus evident, aber pauschal ist, noch ausweiten. Eines ist jedoch sicher: Mit ›Ms. Marvel‹ greifen Wilson und Alphona das Thema Gender and Diversity auf, womit das Marvel-Universum interkultureller und weiblicher – jedoch nicht feministischer – wird.

| PHILIP J. DINGELDEY

Titelangaben
G. Willow Wilson (Text)/ Adrian Alphona (Zeichnungen): Ms. Marvel: Meta-Morphose
Stuttgart: Panini Comics 2015
124 Seiten, 16,99 Euro

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