America’s Got Mythology

Comic | Jonathan Ross/Bryan Hitch: America´s Got Powers Band 1

Kaum ein Genre hat sich so oft neu erfunden, um sich dabei doch nur um sich selbst im Kreis zu drehen, wie das der bunt kostümierten Superhelden. In ›America´s Got Powers‹ treten sie in einer groß angelegten Fernsehshow gegeneinander an. BORIS KUNZ hat sich das reingezogen.

AMERICA27SGOTPOWERS1_Softcover_878-350›America´s Got Powers‹ (eine Anspielung auf ›America´s Got Talent‹, eine bekannte amerikanische Castingshow) ist die zweite Comicarbeit des britischen Showmasters Jonathan Ross, der in seiner Heimat auch dafür bekannt ist, mit seinen Scherzen hin und wieder die Grenzen des guten Geschmacks zu überschreiten. Das lässt für eine Comicreihe, in der Superhelden auf Castingshows treffen, natürlich zunächst auf eine überdrehte Satire hoffen, in der die Superhelden ein Mittel sind, um Seitenhiebe gegen das Showbiz loszulassen. Und auch für etablierte Superhelden aus dem Marvel- oder DC-Universum wäre es sicherlich eine spannende und komische Frischzellenkur gewesen, sie nach all den düsteren Schlachten und Krisen der letzten Jahre einmal in einer Fernsehshow um nichts anderes kämpfen zu lassen als um die Herzen einer Jury.

Die Tribute von San Francisco

Doch Ross wählt einen anderen Weg und steigt gleich von Beginn an mit einer eigenen Mythologie ein, deren Grundidee an Werke von J. Michael Straczynski erinnert, wie ›Supreme Power‹ oder ›Rising Stars‹: Vor 17 Jahren ist ein eigenartiger, strahlender Kristall aus dem Weltraum im Golden Gate Park von San Francisco gelandet. Alle zu der Zeit schwangeren Frauen haben daraufhin Kinder mit verschiedenen Superkräften auf die Welt gebracht. Manche mächtig, manche schmächtig, und manche sogar auf den ersten Blick durch Mandibel im Gesicht, durch verlängere Gliedmaßen oder steinerne Haut als Mutanten erkennbar. Nur einer von ihnen hat keine Superkräfte: Tommy Watts, genannt Zero. Damit ist Zero ein klassischer Loser und natürlich der Protagonist, um den sich die folgende Story entspinnen wird.

Nun sind aus den Mutanten Teenager geworden. Um diese beschäftigt und unter Kontrolle zu halten und um gleichzeitig auch die Erforschung ihrer Kräfte zu finanzieren, ist neben ihrem Trainingscamp in der Bucht von San Francisco ein gigantisches Stadion errichtet worden, in dem die jährliche Staffel einer TV-Show ausgefochten wird. Hier verkauft Zero an einem Stand Popcorn und Merchandising, während alle anderen sich in modernen Gladiatorenkämpfen einen Platz in Amerikas offiziellem Superheldenteam »Power Generation« erstreiten müssen.

Aus dem Kampf »Gut gegen Böse« scheint also ein Kampf »Jeder gegen jeden« geworden zu sein, der nicht mehr im Herzen New Yorks oder Gotham Citys, sondern in einer Arena stattfindet. Doch schon innerhalb des ersten Bandes wird klar: Auch hier werden wohl bald schon Helden gegen Schurken kämpfen, und auch hier wird es um viel mehr gehen als einen Weltranglistenplatz. Denn als durch eine Fehlfunktion der Kampfroboter, gegen die die jungen Helden sich in der Qualifikationsrunde bewähren müssen, unschuldige Zuschauer in Lebensgefahr geraten, stellt sich auf einmal heraus, dass auch Zero über gewaltige Superkräfte verfügt. Auch wenn er diese schon am nächsten Tag nicht mehr reproduzieren kann, wird er damit doch zu einer zentralen Spielfigur in der großen Verschwörung, um die es letztendlich in dieser Geschichte geht. Das ist zwar nicht unspannend, aber doch ein bisschen schade.

Wimmelbilder statt Satire

Was an satirischem Potenzial in der Geschichte steckt, wird schnell von einem düsteren Verschwörungsplot absorbiert: Wissenschaftler, Senatoren und Generäle ziehen im Hintergrund der TV-Show die Fäden, und sie haben noch etwas ganz anderes als finanzielle Ausbeutung der »Power Genration« im Sinn. Die Fernsehshow ist schon im ersten Band nur ein Baustein der komplexen Serienmythologie, in der es ebenso um die rätselhafte Herkunft der Kristallkräfte geht wie um Unsterblichkeit und das Klonen. Und um eine massive Regierungsverschwörung inklusive einer Widerstandsbewegung aus dem Untergrund …

Zwar gibt es immer wieder originelle Schlaglichter (wie die Selbsthilfegruppe für Teenager, die unter ihrer Superkraft leiden: »Hi, mein Name ist Antonio, und ich habe meine Kräfte schon seit zwei Wochen nicht mehr benutzt«), aber letztlich will Ross in der Tonalität doch gerne bei den großen Krisenepen mitmischen, die im Genre derzeit so hoch im Kurs stehen. Dabei gelingt ihm ein durchaus spannendes Setting, doch operiert die Story von Anfang an mit einer solchen Überfülle von neuen Superhelden, Nebenfiguren und düsteren Schurken, dass kaum Zeit für die Ausarbeitung einzelner Figuren bleibt. Einige der Helden haben ein spannendes Aussehen zu bieten, doch letztlich bleiben fast alle als Figuren ungreifbar und austauschbar.

Passenderweise sind die Zeichnungen von Bryan Hitch übernommen worden, der über 25 Jahre im Geschäft ist und nach unzähligen Arbeiten für Marvel und DC als Routinier auf dem Gebiet der Superhelden bezeichnet werden darf – und der immerhin 1999 gemeinsam mit Warren Ellis das ikonografische Superheldenteam ›The Authority‹ erschaffen hat. Hitch hat nun damit zu kämpfen, eine gewaltige Riege neuer Superhelden nebst weiteren Protagonisten sowie Kampfroboter, Stadien, Trainingsräume und Labore auf seinen Seiten unterzubringen. Für bildgewaltige Momente wie den Eröffnungskampf auf den ersten Seiten, in denen Hitch seine Stärke ausspielen kann, bleibt wenig Raum. Hitch ist viel mit Talking Heads beschäftigt, während die Actionsequenzen im Stadion durch die vielen Beteiligten eher zu Wimmelbildern werden.

Ein weniger versierter Zeichner wäre an der Fülle des Darzustellenden womöglich gescheitert. Die Routine von Bryan Hitch trägt dazu bei, dass der Comic zwar qualitativ hochwertig aber auch insgesamt etwas uninspiriert aussieht. So ist die Lektüre zwar spannend, aber doch nicht so originell, wie die Beschreibung auf dem Buchdeckel den Leser hoffen lässt.

| BORIS KUNZ

Titelangaben
Jonathan Ross (Autor), Bryan Hitch (Zeichner): America´s Got Powers Band 1
America´s Got Powers # 1-3. Aus dem Amerikanischen von Claudia Fliege
Stuttgart: Panini Verlag 2015
108 Seiten, 14,99 €

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