/

Weltberühmt durch Wallander

Menschen | Zum Tod des schwedischen Bestsellerautors Henning Mankell

Es gibt literarische Figuren, die eine seltsame Eigendynamik entwickelt haben und deren Bekanntheitsgrad größer ist als der ihrer Schöpfer. Das gilt für Georges Simenons Kommissar Maigret, für Agatha Christies Miss Marple, für Donna Leons Ermittler Guido Brunetti und auch für Henning Mankells Erfolgsfigur Kurt Wallander. Von PETER MOHR

Abb: Frankie Fouganthin
Abb: Frankie Fouganthin
»Er ist so wunderbar komplex und gleichzeitig unwiderstehlich«, charakterisierte einst der britische Filmstar Kenneth Brannagh Mankells Ermittler treffend. Immer schlecht gelaunt, stets leicht kränkelnd, eigenwillig bis zur Verbohrtheit, nie privaten Frieden findend, immer dem Alkohol zugetan und mehr seinem Instinkt als modernen kriminalistischen Methoden folgend: Dieser Kommissar Kurt Wallander (kongenial verkörpert vom Schweden Rolf Lassgård) war der paradigmatische Anti-Held, und wahrscheinlich haben ihm all diese Macken, Marotten, Ecken und Kanten sogar die Herzen der Leser und Zuschauer geöffnet.

So las sich der letzte Wallander-Roman ›Der Feind im Schatten‹ (2010) beinahe wie ein Requiem, für eingefleischte Wallander-Fans wie ein dramatischer Bühnenabgang. Der Kommissar hatte den Dienst quittiert und war aufs Land gezogen: »Langsam sollte Kurt Wallander in einem Dunkel verschwinden, das ihn einige Jahre später in das leere Universum entließ, das Alzheimer heißt.«

Neben seinen erfolgreichen Wallander-Krimis und den qualitativ höchst unterschiedlichen erzählerischen Ausflügen nach Afrika präsentierte der schwedische Erfolgsautor ein drittes literarisches Standbein – den psychologisch ambitionierten »Gesellschaftsthriller«: ›Tiefe (2004)‹, ›Kennedys Hirn‹ (2006), ›Die italienischen Schuhe‹ (2007) und ›Der Chinese‹ (2008). In ›Tiefe‹ hatte Henning Mankell einen leicht psychopathischen Einzelgänger zur Hauptfigur gemacht und sich damit über die Wallander-Krimis hinaus weiter entwickelt. Die Psyche des Täters und nicht die eigentliche Tat (vergleichbar mit den besten Werken von Patricia Highsmith) stand erstmals im Vordergrund.

Weltweit brachte es Henning Mankell auf rund 30 Millionen verkaufte Bücher, gut die Hälfte davon ist in deutschen Übersetzungen über die Ladentheken gegangen. Die Verfilmungen komplettierten den gigantischen Erfolg. Mankell, der am 3. Februar 1948 als Sohn eines Richters in Stockholm geboren wurde und der später mit seiner Schwester bei seinem Vater in Nordschweden aufwuchs, hat sich bereits in jungen Jahren der Schriftstellerei und dem Theater verschrieben. Ab 1968 war er als Theaterregisseur tätig, die wichtigsten Weichenstellungen in seinem Leben folgten mit Mitte zwanzig – zunächst 1972 eine Reise nach Afrika und ein Jahr später die Veröffentlichung seines ersten, nicht ins Deutsche übersetzten Romans ›Bergsprängaren‹.

Seit Anfang der 1980er-Jahre pendelte der Autor zwischen Schweden und Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, wo er 1996 sogar die Leitung eines Theaters übernommen hat. Mankell ist nie der intellektuelle Eigenbrötler aus dem Elfenbeinturm gewesen, sondern stets ein wacher, streitlustiger, politisch engagierter Zeitgenosse, der gegen den Vietnamkrieg, Portugals Kolonialismus und das Apartheidregime heftig protestierte. Zuletzt war Mankell 2010 wegen seiner anti-israelischen Haltung in die Schlagzeilen geraten, und die Neue Zürcher Zeitung attestierte ihm »einen selbstgefälligen linken Moralismus auf der Basis historischen Halbwissens«.

Als vehementer Streiter für humanere Lebensverhältnisse in Afrika hat sich der Schwede fraglos große Verdienste erworben. »Menschen sollen nicht von dem leben müssen, was sie in Mülltonnen finden«, verkündete geradezu paradigmatisch Mankells Romanfigur Oberst Nquila in ›Die flüsternden Seelen‹ (deutsch: 2007). »Nein, ich könnte nicht sagen, welches meiner Bücher ich am meisten mag. Aber höchstens ein Drittel meiner Arbeit sind Krimis, und es ist schön, dass sie für die anderen Bücher eine Art Lokomotive geworden sind«, hatte der schwedische Erfolgsautor, der in dritter Ehe mit Ingmar Bergmans Tochter Eva verheiratet ist, in einem Interview erklärt.

Am 28. Januar gab Henning Mankell in einem Interview in seiner schwedischen Heimat bekannt, dass er an Krebs erkrankt sei. Er erklärte, dass bei ihm Tumore in Hals und Lunge entdeckt wurden, die schon ausgestrahlt hatten. »Ich höre Menschen sagen: ›falls‹ ich sterbe, aber zum Teufel, es heißt ›wenn‹ ich sterbe – der Tod ist das einzige, dessen wir uns ganz sicher sein können«, hatte Mankell vor einem Jahr in einer Kolumne geschrieben. Sein letztes, vor einer Woche in deutscher Übersetzung erschienenes Buch lässt den Leser auf quälende Weise an der unheilbaren Krankheit des Autors teilhaben. Mehr als nur ein literarisches Vermächtnis, sein persönlichstes Werk, ein tief emotionales Abschiednehmen zwischen zwei Buchdeckeln. Am Montag ist Henning Mankell im Alter von 67 Jahren gestorben.

| PETER MOHR
| Titelbild: Frankie Fouganthin

Lesetipp
Henning Mankell: Treibsand – Was es heißt, ein Mensch zu sein
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt
München: Zsolnay Verlag 2015
384 Seiten, 24,90 Euro
Erwerben Sie dieses Buch bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Es un pelele, pobre remedo de un Orfeo que se perdió entre ruinas« – oder: Das Buch ist ein Spiegel

Nächster Artikel

TITEL schließt seine Pforten …

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Großer Erzähler und kritischer Geist

Menschen | Zum Tod des Schriftstellers Martin Walser

Er hat bis zuletzt unermüdlich geschrieben. Seine Texte waren zwar deutlich kürzer geworden, aber seine dichterische Fantasie schien nicht zu versiegen. Zuletzt war zum 95. Geburtstag von Martin Walser ein Band mit Traumtexten erschienen, die durch Zeichnungen von Cornelia Schleime mehr als nur begleitet werden. »Mühelos führt der Traum ganz verschiedene Räume durcheinander, ohne dass sie einander verletzen oder auch nur stören«, schrieb Walser. Von PETER MOHR

Erforscher der Literatur

Menschen | Zum Tode des Schriftstellers Michel Butor »Das Schreiben hat für mein geistiges Ich die gleiche Funktion wie die Wirbelsäule für meinen Körper«, erklärte einst Michel Butor, dessen Name fast immer in einem Atemzug mit Nathalie Sarraute und Alain Robbe-Grillet genannt und beinahe als Synonym für den »nouveau roman« gebraucht wird. Was Butor von den genannten künstlerischen Weggefährten unterscheidet, ist die Tatsache, dass er sich auch als Theoretiker einen großen Namen gemacht hat und der Universität Genf, wo er 15 Jahre Linguistik lehrte, zu hohem Ansehen verhalf. von PETER MOHR

Ekstatischer Pessimist

Menschen | Zum Tod des Literaturnobelpreisträgers Czeslaw Milosz

»Ich bin wie ein Sehender, doch selbst nicht vergänglich, /ein Luftgeist, trotz grauen Hauptes und Altersgebrechen«, heißt es in dem in diesem Jahr erschienenen Sammelband ›DAS und andere Gedichte‹ (Carl Hanser Verlag), in dem lyrische Arbeiten aus sechs Jahrzehnten versammelt sind und der einen repräsentativen Querschnitt durch das poetische Oeuvre des »ekstatischen Pessimisten« (so ein Selbstzeugnis) Czeslaw Milosz bietet. Von PETER MOHR

»Die Federn des Carl Barks«

Comic | ›Disney‹-Zeichner Ulrich Schröder im Interview 17 Jahre lang hat Ulrich Schröder als Art Direcor für ›Disney‹ gearbeitet. Dabei hat er nie eine Zeichenausbildung absolviert – und seine Liebe zu Comics entsprang einem Unfall. Parallel zur Veröffentlichung des deutschen ›Micky Maus Magazins 7/8 2017‹, für das er das Covermotiv beisteuert, sind seine Werke in Würzburg zu sehen. CHRISTIAN NEUBERT traf Ulrich Schröder zum Interview.

Vom Flüchtling zur Foto- Revolutionärin

Menschen | Zum 80. Todestag der Fotoreporterin Gerda Taro Mit Gerda Taro starb heute vor 80 Jahren die weltweit erste Kriegsberichterstatterin während eines Fronteinsatzes. Als sie an ihrem 27. Geburtstag in Paris beigesetzt wurde, kamen Zehntausende. Ihren Grabstein entwarf kein Geringerer als Alberto Giacometti. Warum geriet eine der einflussreichsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts dennoch in Vergessenheit? Fragt FLORIAN STURM