Noch mehr Event?

Menschen | Interview mit Rüdiger Safranski

Ein Vierteljahrhundert Buchmessenerfahrung: Wir fragen den Biografen und Porträtisten der deutschen Geistesgeschichte Rüdiger Safranski, wie sich die Messe entwickelt hat – und wo die Reise hingeht. ALBERT EIBL hat sich mit ihm unterhalten

Lieber Herr Safranski, wie oft waren Sie bereits hier auf der Frankfurter Buchmesse?
Ja, das hab ich jetzt noch nicht genau durchgezählt. Ich würde es aber zusammenbekommen. Geschätzt sind es sicher 25 Mal.

Ein Vierteljahrhundert Buchmesse! Also haben Sie einen sehr guten Überblick über die Veränderungen, die die Messe in den letzten zwei Jahrzehnten durchlaufen hat.
Rüdiger_Safranski_Frankfurter_Buchmesse_2015Sie ist auf alle Fälle bunter geworden. Aber bunt nicht nur im positiven Sinne. Auf den Buchmessen früher, da waren all die sehr ambitionierten Verlage dicht beisammen, also Suhrkamp, Hanser und Fischer usw. und dann waren da auf der anderen Seite die Verlage, die auch Lebkuchen oder Kuscheltiere verkauften. Dinge, von denen man nicht genau wusste, was das jetzt eigentlich mit dem Buch zu tun hat. Das geschah damals zwar eher am Rande. Aber jetzt sind diese ganzen bunten Dinge jenseits des Buches immer stärker geworden. Und diese Art Auflockerung, das ist tatsächlich eine neue Entwicklung, insbesondere eine der letzten zehn bis fünfzehn Jahre.

Sie sprechen in Ihrem neuen Buch ausgiebig über das Phänomen »Zeit« – und wie es unser Leben, Denken und Handeln herausfordert. Wie hat sich die Wahrnehmung von Zeit auf die heutigen Lesegewohnheiten ausgewirkt?
Also, ich habe den Eindruck, wir sind zu einem großen Teil aufmerksamkeitsgestresst, weil wir so viele Medien zur Verfügung haben und so viel gleichzeitig machen können – und mal da gucken und mal dort einen Link öffnen können. Ich glaube, im Leseverhalten gibt es jetzt immer mehr das Phänomen, dass Leute Schwierigkeiten haben an einem Buch dranzubleiben, weil man heutzutage einen Link braucht. Man will doch gleich zu etwas anderem rüberschwingen, springen. Das heißt, bei allem, was wir machen, haben wir innerlich so eine Menüleiste, bei der wir denken: Ja warum soll ich mich denn genau damit beschäftigen? Es gibt doch noch so viel mehr. Wir sind alltäglich viel stärker mit Optionen konfrontiert und deshalb haben wir Schwierigkeit bei einer Sache zu bleiben. Ich glaube, sehr wenige Leute lesen heute noch wirklich ein dickes Buch zu Ende. Es gibt zwar auch heute noch viele dicke Bücher, gerade hier auf der Messe, aber ich glaube, die meisten lesen sie nie zu Ende.

Was ist für Sie die positive Botschaft hier in Frankfurt? 
Also, zunächst einmal ganz klar: Das Buch lebt. Das ist nun wirklich toll. Deutschland ist das Land, wo es besonders viele Buchläden gibt – und die werden auch genutzt. Vielmehr noch als in den anderen Ländern wie in England oder Frankreich. Vielleicht gilt das auch für Österreich. Da kenne ich mich allerdings nicht so gut aus.

Worauf ist diese, »höhere Buchkultur«, zurückzuführen?
Das ist wirklich schwer zu sagen. Es hängt wohl mit der Buchpreisbindung zusammen. Vordergründig ganz gewiss. Deswegen können auch kleine Buchhandlungen und Verlage überleben und das ist denn auch das Schöne an der Buchmesse: Man sieht so viele, auch kleine Verlage, die doch immerhin so viel Finanzkraft haben, dass Sie sich hier einen teuren Stand leisten können.

Was sind die negativen Seiten der Buchmesse? Was schreckt Sie ab?
Dass es doch sehr viel Seichtes gibt. (lacht) Das muss man ehrlich sagen. Na ja, ok. Man braucht’s ja nicht zu kaufen, ne? (lacht noch einmal).

War das früher auch schon so?
Ich würde es mal so ausdrücken: Früher war das mehr an den Rand der Wahrnehmung gedrängt und jetzt steht es doch mehr im Zentrum.

Wie stellen Sie sich die Buchmesse in zehn bis zwanzig Jahren vor? Was wird sich verändert haben?
Ich glaube, die Buchmesse wird dann noch stärker als Event organisiert werden. Es wird dann wohl mehr Tanzeinlagen und Musik geben und es wird riesengroße Monitore geben (lacht) … Kurz, im Sinne des Entertainments wird die Buchmesse dann noch einmal ganz anders eingebunden werden.

Lieber Herr Safranski, Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

| ALBERT EIBL
| TITELFOTO: Lesekreis

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Über Frösche und Menschen

Nächster Artikel

Der Dreck und der Teppich

Weitere Artikel der Kategorie »Porträt & Interview«

Mit den Steinen sprechen

Menschen | 100. Geburtstag von Erich Fried

Als der Schriftsteller Erich Fried am 17. Oktober 1987 den Georg-Büchner-Preis entgegennahm, war er bereits deutlich sichtbar von seiner schleichenden Krankheit gezeichnet. Dennoch holte er in der erlauchten Runde der Darmstädter Akademie noch einmal zu einem verbalen Keulenschlag aus, als er in seiner Dankesrede provokant behauptete: »Es ist wahrscheinlich, dass dieser Zwanzigjährige (gemeint ist Georg Büchner) sich in unserer Zeit zur ersten Generation der Baader-Meinhof-Gruppe geschlagen hätte.« So war Erich Fried: einerseits vor allem wegen seiner Lyrik geachtet, geschätzt und mit Preisen dekoriert und andererseits ein politisch fragwürdiger, kaum zu bändigender Poltergeist. Von PETER MOHR

Schattenwirtschaft eines Privatiers

Menschen | Zum Tod des solitären Journalisten Uwe Nettelbeck

Wie die TAZ jetzt gemeldet hat, ist im Alter von 67 Jahren Uwe Nettelbeck in seinem Haus in Frankreich am vergangenen Mittwoch gestorben. Er war ein eigenwilliger Journalist, der sich schon zu seinen Lebzeiten aus dem Raum dessen, was »öffentliche Wahrnehmung« genannt werden kann, früh zurückgezogen hatte und als Herausgeber & Autor der von ihm gegründeten Zeitschrift ›Die Republik‹, deren jüngste Ausgabe im September 2006 erschien, nur noch einem kleinen Leserkreis bekannt gewesen sein dürfte. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Aus dem Reich der Schwärze

Menschen | Zum 125. Geburtstag von Hermann Kasack

Vor 125 Jahren wurde der Schriftsteller Hermann Kasack (am 24. Juli) geboren. Er war Romancier, Lyriker, Hörspielautor, Dramatiker, Lektor, Verlagsleiter und Rundfunkpionier in einer Person und hat die deutsche Nachkriegsliteratur maßgeblich geprägt. Trotzdem ist sein Name nahezu in Vergessenheit geraten. Die Rede ist von Hermann Kasack. Ein Porträt von PETER MOHR

»Wie wollen wir leben?«

Interview | Im Gespräch: Autor Anselm Neft Vor 15 Jahren war Anselm Neft zwei Jahre Mitglied der Mittelalterband Schelmish, die sich Ende 2012 auflöste. Mittlerweile ist er Schriftsteller und Mitherausgeber von ›EXOT. Zeitschrift für komische Literatur‹. Nun ist im August sein Roman ›Helden in Schnabelschuhen‹ erschienen, der in der Mittelalterszene spielt. MARTIN SPIESS, der selbst von 2010 bis 2014 mit seinem Comedy-Duo ›Das Niveau‹ auf Mittelalterfestivals unterwegs war, hat ihn zum Gespräch getroffen.