Abenteurerinnen

Jugendbücher | D.Arnold: Auf und davon / I.Kramer: Am Ende der Welt traf ich Noah

Mit fünfzehn, sechzehn Jahren kommt die Überzeugung, dass man sein Leben selbst in die Hand nehmen kann. Was Erwachsene sagen, klingt einengend, ihre Ängste grundlos, ihre Einwände altmodisch. Frei sein ist alles! Die deutsche Autorin Irmgard Kramer und der US-Autor David Arnold erzählen von jungen Mädchen, die sich Hals über Kopf in das Abenteuer Freisein stürzen. Und von den Folgen. Von MAGALI HEISSLER

Aufunddavon2Die Heldin von Arnolds Debütroman ›Auf und davon‹ ist die sechzehnjährige Mim. Ihre Eltern sind geschieden, Mim lebt jetzt bei ihrem Vater und dessen neuer Frau in einer fremden Stadt in einem anderen Bundesstaat. Der einzige Kontakt zu ihrer Mutter sind Briefe, aber die bleiben eines Tages aus. Zufällig hört Mim, dass ihre Mutter krank geworden ist. Kurzerhand brennt sie durch und macht sich auf die weite Reise nach Cleveland.

Das klingt nach der altbekannten Teenager-Trotz-Geschichte, tatsächlich findet man im Buch sämtliche Versatzstücke, die zum Thema gehören, und noch eine Handvoll mehr. Was man aber auch findet, ist ein Ensemble kauziger Typen. Die sind so wunderbar gezeichnet und so überraschend in ihrem Handeln, dass man Arnold so ziemlich jede Klischeesünde verzeiht.

Mims Geschichte, von ihr selbst erzählt – und was kann das Mädel reden, wenn die Buchseite lang ist! -, ist die Geschichte einer Selbstfindung. Die Menschen, denen Mim begegnet, sind keineswegs nur freundlich. Mim braucht ihren ganzen Mut und ihren Witz, um sich aus nicht wenigen haarigen Situationen herauszuwinden. Manchmal, so eine unterliegende Mahnung, haben Eltern nicht ganz unrecht, wenn sie eine warnen.

Von der Liebe

Natürlich verliebt sich Mim und hier erweist sich endgültig, dass Arnold ein guter Autor ist. Im Leben geht es nicht einzig darum, den einen Richtigen zu finden, sondern auch darum, einen Platz in der Gemeinschaft einzunehmen. Sozialverhalten wird in diesem Roman großgeschrieben. Zuneigung und Großmut werden in überraschenden Momenten gespendet, spontane Freundlichkeit glättet Wogen, Fürsorge für andere wird unaufdringlich und daher umso überzeugender propagiert. Liebe auf allen Ebenen und in unterschiedlichen Formen, auch sich selbst gegenüber, ist wichtig, um eine funktionierende Gemeinschaft zu schaffen. Selbstständigkeit ist wichtig, aber auch sie muss sich innerhalb einer Gruppe entwickeln, nicht gegen sie.

Mim lernt das. Sie wird es auch weitergeben, denn sie schreibt ihre Erlebnisse in vielen Briefen auf. An wen diese Briefe gerichtet sind, ist ein weiterer origineller Einfall Arnolds.

Eher herkömmlich wirkt dagegen Marlenes Geschichte. Sie, etwa so alt wie Mim, ist die Heldin in Kramers Roman ›Am Ende der Welt traf ich Noah‹. Auch Marlene fühlt sich eingeengt von überfürsorglichen Eltern. Eines Tages wird der Druck so groß, dass sie, als sie zufällig verwechselt wird, einfach in die neue Rolle schlüpft. Aus Marlene wird Irina. Kurz darauf findet sie sich in einer alten Villa wieder, mit einer Nonne, einem Gärtner und einem seltsamen Jungen, Noah. Es wird die große Liebe.

Wer bin ich?

NoahDie Suche nach dem eigenen Ich wird das große Abenteuer, das Marlene in den folgenden Wochen erlebt. Noah ist blind und scheint überdies an einer seltsamen Krankheit zu leiden, die leicht tödlich werden kann. Marlene stößt auf Unstimmigkeiten und Ungereimtheiten und eines Nachts auf Gräber im Keller der Villa. Angst breitet sich aus, der Traum von der Freiheit und Selbstständigkeit wird zum Albtraum.

Dieser Albtraum wird der Hintergrund der großen Liebesgeschichte von Marlene und Noah. Erzählt wird mit Blick auf wachsende Spannung und ansteigenden Gefühlspegel. Die Leserinnen sollen mitgerissen werden und das werden sie auch. Auch sprachlich neigt die Autorin zu Gefühligem.
Aber die Geschichte hat einen doppelten Boden und das macht sie zu einem recht ausgefallenen Liebes-Abenteuerroman. Es geht in erster Linie nämlich nicht um Noah. Die Bedrohung, der böse Traum, der lauernde Tod, zielt in eine andere Richtung. Marlene sieht nicht klar und das hat seinen Grund. Daraus ergibt sich auch die übergroße Fürsorge der Eltern und andere für einen Teenager einengende Verhaltensweisen Erwachsener.

Die Lösung kommt auf dem Höhepunkt der Abenteuergeschichte, abrupt ändert sich das Bild, das der Leserin bis dahin vom Geschehen vermittelt wurde. Das bringt aber auch ein heikles Thema in die Geschichte, heikel deswegen, weil es in der öffentlichen Diskussion leicht und gern mystifiziert wird. Es geht um Organspende. Wer sich dem lieber sachlich nähert, die wird mit so manchem im letzten Viertel des Romans nicht glücklich werden.

Einen Schuss echtes Mysterium gibt es am Ende trotzdem und das ist nicht falsch. Was könnte ein tieferes Geheimnis sein als die große Liebe?

Zwei dicke Jugendromane also für kuschelige Herbstabende auf der Couch, mit zwei unterschiedlichen Mädchenfiguren, die auf ihre Art mutig um Freiheit kämpfen und dabei sich selbst finden. Die eine ein bisschen überdreht, aber gewitzt, die andere mit viel, viel Gefühl.
Nun braucht man sich nur noch zu entscheiden.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
David Arnold: Auf und davon
(2015 Mosquitoland, a.d. Amerikanischen übers. von Astrid Finke)
München: Heyne fliegt 2015
380 Seiten, 14,99 Euro
Jugendbuch ab 15 Jahren
Erwerben Sie dieses Buch bei Osiander

Irmgard Kramer: Am Ende der Welt traf ich Noah
350 Seiten, 17,95
Bindlach: Loewe Verlag 2015
Jugendbuch ab 15 Jahren
Erwerben Sie dieses Buch bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Eine Anleitung zum Glücklichsein

Nächster Artikel

Schicksale, die sich kreuzen

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Verwirrung total

Jugendbuch | Hayley Long: Sophie Soundso Dass man zuweilen nicht weiß, wo man gerade steht im Leben, ist normal. Dass man nicht weiß, wer genau man ist, eher nicht. Die daraus resultierende Verwirrung wächst sich schnell zu einem fundamentalen Problem aus. Nicht zuletzt, wenn man davon erzählen will. Hayley Long führt ihren Leserinnen höchst unkonventionell totale Verwirrung vor. Von MAGALI HEISSLER

Dinge ändern sich

Jugendbuch | Lara Schützsack: Sonne, Moon und Sterne Der Sommer wird eine Katastrophe: Der Familienurlaub in Dänemark fällt ins Wasser, Gustavs Eltern brauchen eine Auszeit voneinander. Und dann stecken die Ferien doch voller Überraschungen. Von ANDREA WANNER

Überraschung

Jugendbuch | Gudrun Skretting: Mein Vater, das Kondom und andere nicht ganz dichte Sachen Lustiger Aufklärungsroman für junge Teenager? Nicht schon wieder. Aus Norwegen? In dem Fall kann man ausnahmsweise einen Blick riskieren. Ein Debütroman? Her damit. »Gute Entscheidung!«, kann man nicht anders sagen. Von MAGALI HEISSLER

Der Schmerz der Vergangenheit

Jugendbuch | Inés Garland: Wie ein unsichtbares Band Eine böse und belastende politische Vergangenheit aufzuarbeiten ist im letzten halben Jahrhundert geradezu ein deutsches Monopol geworden, auch im Jugendbuch. Darüber vergisst man leicht, dass es andernorts ebenfalls Autorinnen und Autoren gibt, die sich mit ähnlichen Problemen ihrer Heimatländer auseinandersetzen. Wie schmerzlich und weit die Vergangenheit in die Zukunft hineinragen kann, schildert die Argentinierin Inés Garland in ihrem ebenso berührenden wie bedrückenden Jugendroman, Wie ein unsichtbares Band. Von MAGALI HEISSLER