/

Far, far away

Kia Orana. Kinder der Cook Inseln/Südsee zeichnen, malen, erzählen

Rarotonga, Aitutaki, Atiu, Mangaia, Manuae, Mauke, Mitiaro, Palmerston und Takutea: Nie gehört? Manihiki, Nassau, Penrhyn, Pukapuka, Rakahanga und Suwarrow: keine Ahnung, was das sein soll! ANDREA WANNER freute sich über einen exotischen Ausflug.

Buchtitel-2.indd16.000 Kilometer Luftlinie und 30 Flugstunden trennen uns von den Cook Inseln in der Südsee, dem von uns am weitesten entfernten Ort auf der Erde. Hinter den seltsam klingenden Namen – bestenfalls fühlt man sich vielleicht an die Taka-Tuka-Insel erinnert, auf der Pippi Langstrumpf ihren Vater besuchte – verbergen sich die 15 Inseln im Südpazifik, die nach dem britischen Seefahrer James Cook benannt. Manche von ihnen sind durch Korallenriffe nur schwer zugänglich, andere bieten üppige Vegetation: Kokospalmen, Brotfruchtbäume, Kürbisse, Süßkartoffeln … Das Gebiet, in dem sie verteilt sind, hat ungefähr die Größe von Westeuropa. Und eigentlich wissen wir nichts von den Inseln, von den Menschen, die dort leben. Das ändert dieses Buch.

»Kia Orana« bedeutet »Mögest du lange leben« und dieser Maorigruß liefert den Titel für ein Projekt, das die Künstlerin und Kunsterzieherin Barbara Bull während ihres Aufenthaltes in den Jahren 2013 bis 2014 auf fünf der Inseln durchführte. Sie ließ auf Rarotonga, Rakahanga, Aitutaki, Manihiki und Mangaia ungefähr 450 Schülerinnen und Schüler im Alter von 4 bis 18 Jahren Bilder malen und sie mit eigenen Texten kommentieren.

Fotos in Passbildgröße stellen die Künstlerinnen und Künstler vor: Roseleen, Ngatamaine, Ian Dean, Itirangi, Tamatoa, Periki, Gran und viele andere schauen in die Kamera: ernst oder lächelnd, schüchtern oder fast ein bisschen herausfordernd. Zu unterschiedlichen Themen haben sie sich Gedanken gemacht und diese künstlerisch umgesetzt. Sie präsentieren die Insel, auf der sie leben, ihre Familie, ihre Schule und schon bekommt man eine Vorstellung von dem, was die Inseln ausmacht: Wirbelstürme, das Meer mit seinen vielen Bewohnern, das Fischen … Und trotzdem sind die Antworten so unterschiedlich und individuell, dass keine Gefahr besteht, zu einem vorschnellen »So-ist-das-dort«-Bild und -Urteil zu gelangen. Da sind beispielsweise die Bilder, auf denen die Kinder malen, was sie glücklich macht. Das kann eine Rakete oder ein »Ninja Turtle« sein oder ein Aufenthalt im Garten. Barbara Bull lässt sie vom Essen erzählen, von Festen und ihren Ängsten. Mit Wachs- oder Buntstiften werden die Gedanken und Erlebnisse zu Bildern.

Der Teil, in dem es um das Kunsthandwerk auf den Inseln geht, zeigt nicht nur Ergebnisse, sondern erklärt auch Materialien, Grundelemente und Vorgehensweisen. Tivaivai beispielsweise ist eine Art Patchwork; es gibt Holzschnitte, Tätowierungen, Tanzkostüme. Seite für Seite entdeckt man etwas Neues, Faszinierendes – aber nicht als Gast aus einer fremdem Welt, der nichts versteht, sondern als einer oder eine, die den dort lebenden Menschen über die Schulter schauen darf. Die jungen Inselbewohnerinnen und -bewohner zeigen ihr Leben in einem bunten Facettenreichtum.

Ganz am Ende äußern sie sich noch dazu, wie sie sich Deutschland vorstellen. Da schließt sich der Kreis, werden diese Inseln auf der anderen Seite der Erdkugel mit uns hier verbunden. Und eigentlich sollte das gleiche Projekt jetzt andersrum stattfinden: Kinder und Jugendliche, die hier leben, erzählen von sich, ihren Familien, ihren Vorlieben, Wünschen, Träumen. Ängsten und Plänen. Und am Ende skizzieren sie ein Bild jener fernen Inseln. Das ist auch die Wunschvorstellung von Wulf Köpke, Ethnologe und Direktor des Museums für Völkerkunde in Hamburg, wo die Bilder noch bis Februar 2016 zu sehen sein werden.

Eine tolle Art, ein anderes Land und seine Menschen kennenzulernen, ohne touristische Tipps, wo es die tollsten Strände oder den besten Fisch gibt. Einfach ein interessierter Blick in eine Welt, die fremd ist und einem Seite um Seite beim Zuschauen und Zuhören näherkommt.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Kia Orana. Kinder der Cook Inseln/Südsee zeichnen, malen, erzählen
Erweiterter Ausstellungskatalog, zweisprachig in Deutsch und Englisch
Berlin: Mana-Verlag 2015
144 Seiten, 19,95 Euro
Für alle

Reinschauen
| Kia orana – Ausstellung im Museum für Völkerkunde Hamburg

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Orang-Utan

Nächster Artikel

Falsche Erwartungen

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Horror pur – mit leichtem Lerneffekt

Jugendbuch | Claire Legrand: Das Haus der verschwundenen Kinder Perfekt zu sein, gilt als höchstes Lob. Wer Perfektion erreicht, die ist die Beste. Es gibt aber eine Kehrseite des Perfekten. Davon erzählt Claire Legrand in ihrem Debütroman ›Das Haus der verschwundenen Kinder‹. Was sie zeigt, ist Horror pur, und wer ihn erträgt, kann sogar ein bisschen daraus lernen. Von MAGALI HEISSLER

Fast wie die Möwe Jonathan

Jugendbuch | Jasminka Petrović: Der Sommer, als ich fliegen lernte

Die Sommerferien drohen grässlich öde zu werden: die 13jährige Sofija begleitete ihre Oma zu einem Besuch bei ihrer Schwester. Und zunächst wird es genau das, was Sofija befürchtet hat: ein Albtraum. Von ANDREA WANNER

Ein unschlagbares Duo

Jugendbuch | Jonathan Stroud: Bartimäus

Es nimmt kein Ende mit den Zauberer- und Hexenbüchern – aber wenn jemand mal wirklich eine gute, neue Idee hat wie der Engländer Jonathan Stroud im ersten Buch seiner Bartimäus-Trilogie, stürzt man sich voller Eifer auch gern mal wieder in ein Zauberabenteuer. Von ANDREA WANNER

Was für ein Mensch will ich sein?

Jugendbuch | David Safier: 28 Tage lang Das »Dritte Reich« und das, was es für viele Menschen, die es erlebten, bedeutete, bleibt ein Thema in Jugendbüchern. David Safier schildert in ›28 Tage lang‹ die Geschichte des Aufstands im Warschauer Ghetto, mittendrin Mira, ein 17jähriges jüdisches Mädchen. Von ANDREA WANNER