Comic | Interview mit transfer.-Buchhändlerin Antonia Knapp
Buchhändler standen Comics lange eher noch ablehnender gegenüber als der Durchschnitt der Menschen in Deutschland. Das ändert sich seit einiger Zeit. ANDREAS ALT sprach mit einer Buchhändlerin in Dortmund, die durchweg gute Erfahrungen gemacht hat.
Nachdem das Comiczentrum auf der Frankfurter Buchmesse 2014 abgeschafft worden war, haben sich einige Comicverlage von der Messe verabschiedet. Andere wie etwa ›Reprodukt‹ hatten das Comiczentrum schon vorher verlassen und sind zur Belletristik umgezogen. Sie haben es geschafft, den Buchhandel als Vertriebskanal zu erschließen. Tatsächlich nimmt schon seit einigen Jahren die Zahl der Buchhandlungen mit Comicabteilung zu. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels kann dazu zwar keine Zahlen nennen, aber er empfahl auf unsere Anfrage hin eine Buchhandlung, die erfolgreich Comics in ihr Sortiment integriert hat: transfer. im Dortmunder Stadtteil Hörde. Birgit Lange-Grieving hat nach 20 Jahren Arbeit in einem Verlag 2011 den 180 Quadratmeter großen Laden eröffnet. Wir haben uns dort mit Buchhändlerin Antonia Knapp unterhalten.
TITEL: Sie sind verantwortlich für die Abteilung »Graphic Novel/Comic«. Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zu Comics?
Antonia Knapp: Ich habe in früheren Jahren in der Stadtbibliothek meiner Heimatstadt einige Klassiker gelesen, also Lucky Luke, Yoko Tsuno, alle Asterix-Bände, auch Spirou und Fantasio, Marsupilami oder Gaston Lagaffe, der Bürobote, die Peanuts und Hägar. Ich hatte wenig Zugang zu den US-amerikanischen Sachen wie Spider-Man oder Superman, die habe ich erst später für mich entdeckt. Eine eigene Comicsammlung besitze ich bisher nicht, aber ich würde gerne Graphic Novels sammeln; die finde ich inzwischen häufig spannender als Comics im engeren Sinne. Mein Interesse an diesem, vor allem in Deutschland noch relativ jungen Genre ist erst in den letzten Jahren entstanden, und als Buchhändlerin sitze ich ja sozusagen an der Quelle und habe beim Recherchieren und Einkaufen für unser transfer.-Sortiment, aber auch im Gespräch mit unseren Kunden, ständig die Gelegenheit, mich zu informieren, Neues und auch bislang wenig Bekanntes zu entdecken.
Wie definieren Sie Graphic Novels?
Bezeichnend ist, dass man unter dieser Überschrift eine enorme Vielfalt an Bildergeschichten unterschiedlichster Art findet, sowohl inhaltlich als auch formal-ästhetisch. Tendenziell haben Graphic Novels im Vergleich zu klassischen Comics einen eher literarischen Charakter, die erzählerische Funktion der Bilder ist ausgeprägter. Sie richten sich meistens an erwachsene Leser, sind aufwendig gestaltet und erscheinen in der Regel als gebundene Einzelbände, nicht als Serien. Viele Graphic Novels greifen biographische oder historische Themen auf, sind Nacherzählungen berühmter Romane oder politische Reportagen. Trotzdem sind die Grenzen zwischen Comic und Graphic Novel fließend. Bei transfer. trennen wir die beiden Gattungen im Comicregal, jede hat ihren eigenen Bereich. Aber es gibt immer mal wieder eine Neuerscheinung, die ich nicht eindeutig zuordnen kann. Der Begriff »Comics« wird entweder als Oberbegriff für alle mit Bild und Text arbeitenden Formate oder für klassische Serien und Superheldencomics genutzt. Der ersten Variante zufolge ist die Graphic Novel dann eine Form von Comics, was auch in dem Begriff »Comicroman« zum Ausdruck kommt.
Wie sieht Ihre Comicabteilung aus?
Wir haben einen eigenständigen Bereich für Comics, Graphic Novels und Mangas, der keiner anderen Warengruppe untergeordnet ist.
Wie sind Comics in Ihrer Umgebung erhältlich? Wie sieht Ihre Konkurrenzsituation aus?
transfer. ist die einzige Buchhandlung hier im Stadtteil Hörde. So kommen zum Beispiel viele Schüler aus den umliegenden Schulen in ihren Freistunden oder nachmittags zu uns, um im Comicregal zu stöbern.
Sind Schüler ihre Haupt-Kundengruppe oder eher Erwachsene?
Beide. Es kommen Erwachsene ganz unterschiedlichen Alters, die sich für Graphic Novels, aber auch für klassischere Comicreihen begeistern. Meinem Eindruck nach gibt es in allen Altersgruppen ab etwa 13, 14 Jahren Kunden, die vorwiegend oder sogar ausschließlich Comics oder Manga lesen und auch sammeln. Aber es gibt auch Comickäufer, die vielfältige literarische Interessen haben und sich bei transfer. sowohl im Comic-Bereich als auch bei den Romanen, Krimis oder Sachbüchern umschauen. Comics haben, denke ich, eine breitere Akzeptanz als Kunstform oder literarische Gattung gefunden. Ich kenne dazu keine Untersuchungen, aber ich glaube, viele Leser haben inzwischen ein Bewusstsein dafür entwickelt, wie enorm vielfältig und anspruchsvoll das Angebot ist. Sammler und Fans, die sich schon seit Monaten auf den nächsten Band ihrer Lieblingsreihe freuen, werden bei transfer. also genauso fündig wie Kunden, die im Feuilleton gelesen haben, dass eine beeindruckende Comicreportage über den Syrischen Bürgerkrieg erschienen ist oder ein Comickünstler Don Quichotte neu interpretiert hat.
Sind Ihnen die Leute lieber, die querbeet kaufen, oder die, die bei Ihnen speziell Comics suchen?
Ich habe mit sehr unterschiedlichen Kunden interessante und unterhaltsame Gespräche erlebt. Ein Beratungsgespräch ist ja keine Einbahnstraße: Die Wünsche, Interessen und Vorlieben unserer Kunden bringen mich immer wieder auf neue Ideen und sind eine wichtige Anregung für die Auswahl der Comics und die Gestaltung der Abteilung – und das unabhängig davon, ob der Kunde Comic-Enthusiast ist oder mir erzählt, auf welch verschlungenen Wegen ihn seine sonst vielleicht ganz andersartige Lektüre gerade zu diesem Comicroman geführt hat.
Würden Sie auch Comichefte ins Sortiment aufnehmen?
Wir haben eine kleine Auswahl an Micky-Maus-Heften. Auf Nachfrage bestellen wir auch weitere Titel.
Welche Bedeutung hat die Comicabteilung für Ihre Buchhandlung wirtschaftlich?
Im Vergleich zur Belletristik oder zum Kinder- und Jugendbuch hat sie einen geringeren Umsatzanteil, aber er wächst stetig.
Was tun Sie, um Comicinteressenten in den Laden zu bekommen?
Die reine Tatsache, dass wir eine Comicabteilung haben, lockt Kunden, die sich dafür interessieren. Darüber hinaus lädt transfer. immer wieder zu Veranstaltungen ein, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit Comics beschäftigen: Zuletzt hat Barbara Yelin im Rahmen einer Abendveranstaltung ihren Comicroman ›Irmina‹ mit einer Bilderlesung vorgestellt. Für manga- und comicbegeisterte Kinder und Jugendliche bietet transfer. Zeichen-Workshops an. Und 2014 haben wir ein mehrtägiges Comic-Festival veranstaltet, das wir dieses Jahr am ersten Septemberwochenende, also vom 2. bis 4. September, wiederholen werden! Beim letzten Mal haben wir in Zusammenarbeit mit mehr als zehn Verlagen eine Comic-Ausstellung, Lesungen und Workshops angeboten. Wir werden dieses Mal den Festivalbesuchern auch digitale Comicformate vorstellen.
Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit den Comicverlagen?
Unsere Erfahrungen sind sehr positiv! Sowohl im Alltagsgeschäft als auch bei der Organisation unseres Veranstaltungsprogramms haben wir bisher immer gut zusammengearbeitet. Der direkte Kontakt und Ideenaustausch mit den Verlagen ist für transfer. sehr wichtig. Und wir haben dabei sowohl mit großen Verlagshäusern wie ›Carlsen‹ als auch mit kleinen Verlagen wie zum Beispiel ›Rotopolpress‹ oder ›Reprodukt‹ positive Erfahrungen gemacht.
Reinschauen
| Webseite der Buchhandlung transfer.
[…] »Comics haben eine breitere Akzeptanz gefunden« Titel Kulturmagazin, Andreas Alt Ein Interview mit der Buchhändlerin Antonia Knapp, die in der Dortmunder Buchhandlung „transfer.“ arbeitet und dort die Abteilung „Graphic Novel/Comic“ betreut. […]