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Small Talk der Selbstgefälligen

Kulturbuch | Francois Garde, Das Lachen der Wale. Eine ozeanische Reise

Spurensuche, ja, das ist bekannt, das ist ein kriminalistisches Verfahren auf der Suche nach einem Täter. Ins Allgemeine erweitert bezeichnet es eine Methode, Erkenntnisse zu gewinnen. Spontan drängen sich da die ›Stolpersteine‹ in den Sinn, das mittlerweile europäische Kunstprojekt, das, die Spuren von Opfern des Nationalsozialismus sichernd, uns gleichsam stolpernd auf deren Spuren bringt, damit wir nicht nur nicht vergessen, sondern uns Erinnerung aneignen und daraus für die Zukunft lernen. Von WOLF SENFF

WaleWie überall sonst ›light‹, gibt es auch die Spurensuche ›light‹, es handelt sich um ein anderes Niveau, zeitgenössische Kultur möchte jedem Niveau etwas anbieten, will das jedoch keineswegs bewertet wissen. Besonders Literatur – trivial war gestern, schlicht tritt trendy auf – möchte der gesamten Bandbreite an Erwartungen gerecht werden, ohne sich gleich das Etikett ›Schund‹ verpassen zu müssen. ›Light‹ tritt sie als Belletristik auf.

Gedankenlosigkeiten

François Garde begibt sich auf die Spuren von Walen. Er holt den Leser dort ab, wo dieser sich befindet. Das Lachen des Wals ist kein Lachen, doch dem Steiff-Tierchen Wal wurde ein Lachen bis hin zu den Ohren aufgenäht, und damit lässt er seinen Text anfangen. Das sagt uns – François Garde wurde in Frankreich für eine andere Publikation mit dem ›Pris Goncourt‹ ausgezeichnet – eine Menge über die Ambitionen zeitgenössischer Literatur.

Seine Reflexionen über Jona leitet er mit den Worten ein: »Es liegt mir fern, das Sakrileg zu begehen, das Alte Testament zu korrigieren«. Ein Autor, der auf eine Handlung verzichtet, die ihm ansonsten vorstellbar wäre? Hm. Ist demzufolge nicht gerade diese Negation auf prekäre Weise anmaßend? Oder redet er lediglich gedankenlos daher?

Genreübergreifende Plauderei

Über Jona: »Ich stelle ihn mir gesund vor«. Hier wird dem Leser die Zwischenebene des Erzählens, sprich: das Kopfzerbrechen des Erzählers, vorgeführt, vorzugsweise auch fragend: »Wie alt ist Jona? […] Ist er verheiratet?« – Fragen, die dann aber mit einen abweisenden: »Wir erfahren nichts über ihn« beantwortet werden. Ein charmantes Spiel mit Möglichkeiten, zweckfrei, eine Geste mit unverbindlichem Charakter, so seicht wie leicht, man ist geneigt zu sagen: von der Postmoderne gelernt.

Im Übrigen folgen die Ereignisse oft dem Leben des Ich-Erzählers, der Text wird nicht ins Korsett des Romans gesteckt, es kommt, wie es kommt, der Leser ist einem lockeren Plauderton ausgesetzt. Der Text ist genreübergreifend, ist weder Literatur noch Sachbuch, ist ›crossover‹, ganz zwanglos. Der Autor will frei sein, frei von den Verpflichtungen der Genres.

Ein Täßchen Kaffee

Das Stranden einer »Herde« Wale. Herde? Ein Wal »reckt seinen Schwanz in die Höhe«. Schwanz? Derartige Versäumnisse sind dem Übersetzer anzukreiden, hochnotpeinliche Nachlässigkeiten im Umgang mit der eigenen Sprache – ein leider unausrottbares Merkmal zeitgenössischer Kultur. Gewiss, gewiss, man hat keine Zeit, man ist unterbezahlt, der Rubel rollt allenfalls noch an der Börse, die Lage ist verfahren, wenngleich ›alternativlos‹.

›Das Lachen der Wale‹ ist eine Publikation, aus der es viel zu lernen gibt. Ohne Namedropping geht es nicht. Isabelle Autissier, Präsidentin des WWF Frankreich, gehört zum Freundeskreis des Autors, seit zehn Jahren, und sie trinkt mit ihm ein Täßchen Kaffee in einem Bistro im neunzehnten Arrondissement.

Wale im Sturm

Autoren wie Garde sind Künstler, sie verstehen sich als geachtete, verehrte, gar angehimmelte Figuren der besseren Gesellschaft, sie sind gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, sie halten das für selbstverständlich. Im Fall eines gestrandeten Grindwals »kam ich auf die Lösung« – Sie merken es? Der selbstgefällige Ton? Hier präsentiert sich ein Held.

Über einige Seiten wird darüber sinniert, was Wale wohl während eines Sturms machen, und jeder der drei Abschnitte enthält kurze Kapitel zum biblischen Jona, den die Bibel gar nicht mit einem Wal in Zusammenhang bringt, sie spricht von einem großen Fisch.

Mosaiksteine, die nicht passen

Es gibt eine ›Baskeninsel‹ im Golf des St-Lorenz-Stroms. Gut, das hängt mit alten außereuropäischen französischen Besitzungen zusammen, doch es wird nicht recht klar, weshalb man das wissen sollte.

Der Text ist aus vielen dieser Mosaiksteinchen montiert, ihre Abfolge ist sprunghaft, unorganisiert, wahllos, es entsteht kein zusammenhängendes Bild. Der ablehnende Bescheid eines Verlegers, ›Moby Dick‹ zu publizieren – »Lieber Herr Melville« –, wird abgedruckt. François Garde denkt über die Zubereitung von Walfleisch nach und dementiert sogleich. »Ich scherze natürlich«!, ruft er dem Leser fröhlich zu.

Man ergreift nicht Partei

Er stellt uns vor Rätsel. Gelegentlich dürfen wir nachschlagen, wohin er uns führt: 49° 34′ Süd – 69° 51′ Ost, dort liegt Port-Jeanne-d’Arc, einst Standort der einzigen Walfabrik auf französischem Boden auf dem Kerguelen-Archipel, einer Inselgruppe im südlichen Indischen Ozean, mit deren Verwaltung François Garde fünf Jahre lang betreut war, eine angenehme Tätigkeit; das ›Lachen der Wale‹ erhält autobiographische Züge.

Zu all dieser Beliebigkeit passt, dass der Konflikt zwischen der Internationalen Walfangkommission und den verbliebenen japanischen Walfängern zwar kurz erwähnt wird, dass François Garde sich aber sträubt, Partei zu ergreifen – er fühle sich »nicht dazu befugt, Lektionen zu erteilen«. Wer sich im Plauderton bewegt, der möchte nirgends Wurzeln schlagen.

Selbstgefällig, eitel, folgenlos

Er teilt uns den Inhalt einer Kurzgeschichte mit, er versinkt in Betrachtungen des Sternbilds Wal, er verfasst ein Haiku, er hält sich im Museumsrestaurant ›Zum Wal‹ auf, er erinnert an Pinocchio, der von einem Wal verschluckt wurde, und, klar, er sinniert über den ›Gesang‹ der Wale und, Gerechtigkeit muss sein, über die Lieder der Waljäger.

Er bringt das Einhorn mit dem Narwal in Verbindung, lässt sexuelle Assoziationen nicht aus, und Jona kommt noch einmal zu Worte – all das ist unverbindlicher Small Talk einer selbstgefälligen Oberschicht, eitel, folgenlos, ein ›Haschen nach Wind‹. Die Wale wie der interessierte Leser hätten wahrlich Besseres verdient.

Post scriptum

Ein Wort zum deutschen Titel ›Das Lachen der Wale‹. Wie kann sich jemand, den man ernst nehmen soll, diesen Titel einfallen lassen? Das Lachen, wenn sie es denn kennen, dürfte den Walen längst vergangen sein. Ihre Existenz ist heute nicht von Walfangtechnologien bedroht, sondern von den Hinterlassenschaften industrieller ›Zivilisation‹. Die Inseln, von denen so charmant erzählt wird, sind durch die Erhöhung der Meeresspiegel gefährdet.

»Heute haun wir auf die Pauke und wir machen durch bis morgen früh« – genau. Das ist exakt die Mentalität, die solche Überschriften auswirft. Lustig, lustig.

Plastikmüll lagert sich in Organen der Meerestiere ab. Man weiß es. Lärmender Schiffsverkehr und militärische Sonarsysteme gelten als Ursachen für das orientierungslose Stranden von Walen. Man weiß auch das. Vor diesem Hintergrund derartig schamlos einen Gute-Laune-Titel abzusondern – man möchte es kaum glauben.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Francois Garde: Das Lachen der Wale. Eine ozeanische Reise
(La Baleine Dans Touts Ses États, Paris 2015, übersetzt von Thomas Schultz)
München: C.H.Beck 2016
231 Seiten, 19,95 Euro
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