Mit klerikalem Vokabular und irdischem Segen

Lyrik | Rolf Birkholz: Ein Satz mit Rot

Ich kenne Rolf Birkholz nicht. Sein aktuelles Buch fiel mir auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse eher zufällig in die Hände, als dass es mir übertrieben ans Herz gelegt worden wäre. Schau dich um, hatte Verleger Dincer Gücyeter mit Blick auf das Frühjahrsprogramm des seit gut fünf Jahren bestehenden Elif Verlags gesagt, und schließlich blieb ich bei ›Ein Satz mit Rot‹ von eben jenem Rolf Birkholz hängen und nahm es mit – obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, standfest zu bleiben und keine Bücher über die Messe zu schleppen. – Eine Rezension von STEFAN HEUER

ein-satz-mit-rotNach erster Google-Analyse scheint der Glam-Faktor von Rolf Birkholz übersichtlich zu sein. Es gibt im Netz keine Bilder, die ihn kiffend bei einer MTV-Veranstaltung zeigen. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass er in näherer Zukunft in knapper Unterwäsche auf einer Abrisskugel reitend durch staubige Kulissen schwingen wird. Rolf Birkholz ist, ich stelle dies hier und jetzt definitiv fest, nicht Miley Cyrus. Und das ist gut so, denn wenn er ständig auf Tour oder am Twittern wäre, um fast zwanzig Millionen follower mit Neuigkeiten zu versorgen, käme er vielleicht nicht zu seinen Gedichten, und das wäre schade.

Die Gedichte von Rolf Birkholz sind authentisch, sind dicht an seiner Biographie. In Paderborn studierte er Philosophie und Theologie, und auch wenn er sein Geld heute sehr irdisch als Journalist verdient, ist das Thema Kirche, sind der Glaube und was man dafür halten oder verkaufen mag in vielen seiner Gedichte sehr präsent:

Kniefreiheit
Wie viel Bein wir sehen sollen
wessen Kniefall der Saison wir
applaudieren

Welche Führer und Programme
wir am Wochenende wählen
welchen Trost

Welche Freiheit wenn im Dunkeln
du die Knie vorm ganz Andern
langsam beugst

Kirche, Sex und gesellschaftliche Konventionen, das geht gut zusammen, ob mit Talar oder ohne, und so bringen einige der 40 Gedichte des (in vier gleichgroße Kapitel unterteilten) Bandes die Gedanken durchaus zum Knistern. Aber auch abseits körperlicher Begierden und klerikalem Duktus ist bei Birkholz Einiges zu entdecken. Liebesgedichte mischen sich unter Trauer und drohenden oder erlittenen Verlust, Ostwestfalen trifft auf New York, aus Abrahams Schoß geht es über Sportplatz, Lagune, Südtirol und Kunstausstellung in die Schule Gottes – mit einem kleinen Umweg über den See:

Null Bock auf Re (Herbst der Evolution)
Ein Fuchs am See sofort
der Urinstinkt der Wind
steht gut du pirscht dich an
du kannst nicht anders musst
ihm nahe sein dein Gen
mit Kamera und Schirm
im Regen sprichst du ihn
nicht an null Bock auf Re
den nur ein Satz mit Rot
in Richtung Uferbusch

– ein Fuchs am Wasser, trinkt er, auf Suche nach Beute? Urin stinkt auch in einem Wort, aber der Wind steht günstig für die Pirsch! Fuchs und Bock, Bock auf Re (der Kartenspieler weiß: Das kann teuer werden!). Und ja: Einfach mal die Klappe halten, nicht reden.

Wer mit seinen Gedanken jetzt immer noch bei der oben erwähnten Miley Cyrus ist und Lust auf pubertäre Action bekommen hat, checkt die aktuellen Tweets. Den anderen kann guten Gewissens empfohlen werden, die Gedichte von Rolf Birkholz und das weitere Programm des Elif Verlags unter die Lupe zu nehmen.

Epilog: Tatsächlich habe ich, nachdem ich einen Lyrikband gelesen habe, oftmals Lust und Anlass, etwas aufzuschreiben – ein Wort etwa, das ich nachzuschlagen gedenke, eine gelungene Passage, einen Querverweis, den es zu überprüfen gilt. Der Elif Verlag hat diesen Braten gerochen und kredenzt einigen seiner Bücher zum Ende zwei Seiten mit Platz für Notizen; eine sympathische Idee, wie ich finde.

| STEFAN HEUER

Titelangaben
Rolf Birkholz: Ein Satz mit Rot
Nettetal: Elif Verlag 2016
56 Seiten. 11,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wenn die Clowns kommen

Nächster Artikel

»Bilder, in denen Blut und Gehirn spritzen, interessieren mich nicht«

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

Nicht mit dir und nicht ohne dich

Kulturbuch | Helmut Böttiger: Wir sagen uns Dunkles   Um ihr Leben ranken sich zahlreiche Mythen und Legenden: Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Wie nahe Anziehung und Abstoßung, Verletzungen und Verzeihen beieinanderliegen, auch wenn sich die Unmöglichkeit der Nähe abzeichnet, zeigt Helmut Böttiger in seinem facettenreichen Doppelporträt ›Wir sagen uns Dunkles‹. Von INGEBORG JAISER

Vier Gedichte

Lyrik | Wolfgang Denkel: Vier Gedichte

Nicht Zeus

Nach langer Zeit der erste
Wind. Keinen Namen
trägt er mir zu. Nur sich
selbst. Er streift meine
empfindsam gewordene
Schläfe, die gezackte
Ader entlang

Tagtäglich neu überraschen lassen

Menschen | Zum Tod von Friederike Mayröcker

Ihre Kreativität war imponierend. Bis zuletzt hat die Grande Dame der österreichischen Literatur, Friederike Mayröcker, geschrieben und fast Jahr für Jahr »ihr letztes Buch« veröffentlicht. Im letzten Herbst war noch der Band ›da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete‹ erschienen, in dem sie sich selbst als »Debütantin des Todes« bezeichnete. Von PETER MOHR

Der Stolz der Erde

Lyrik | Wolfgang Denkel: Gedichte

Der letzte Löffel

Aus dem Vollen schöpfen -
kaum je genossen
Aus dem beinah
Leeren schöpfen
war meine geheime
Wonne, von Kindheit an

Völlig inkorrekter Wunsch

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte

Völlig inkorrekter Wunsch

Mit einem Hauch deines Atems
und mit deiner warmen Hand,
mit der Ausstrahlung deiner Augen
und einem ganz tiefen Blick,
steck mich an mit dir.