Krimi | Franz Dobler: Ein Schlag ins Gesicht
Von null auf Platz eins der KrimiZeitBestenliste ist er dieser Tage geschossen – Franz Dobler mit seinem zweiten Robert-Fallner-Roman Ein Schlag ins Gesicht. Sie mögen ihn einfach alle – zumindest die Kritiker haben einen Narren gefressen an dem Augsburger, der tatsächlich so rücksichtslos und hart schreibt, wie es das Elmore-Leonard-Zitat, das er dem Text als Motto vorangestellt hat, fordert: »Kümmere dich nicht darum was deine Mutter von deiner Sprache hält.« Von DIETMAR JACOBSEN
Diesmal bekommt es Fallner mit einer exzentrischen Diva und ihrem Stalker zu tun. Und irgendwie spürt er immer noch die Schläge, die er als 11-Jähriger von zwei anderen Jungen grundlos einstecken musste, ohne dass ihm auch nur ein Mensch zu Hilfe gekommen wäre.
In Franz Doblers erstem Roman um Robert Fallner, Ein Bulle im Zug (2014), war der schon ziemlich weit unten. Ausgebrannt und gewissensgeplagt, blieben dem vom Dienst befreiten Münchner Kommissar letztlich nur noch eine nagelneue Bahncard100 und ein Jugendtraum: Zugfahren bis der Arzt kommt – beziehungsweise die Lösung des Falls, in den er sich heillos verstrickt hatte.
Das hat dann auch nach etlichen Bahnkilometern, skurrilen Gesprächen in Bordbistros und diversen Abenteuern auf dem und abseits des Schienenstrangs geholfen. Die Therapeutin, die ihn in den ICE und die Innenschau geschickt hatte, ist er dennoch nicht losgeworden. Schon im ersten Kapitel des zweiten Fallner-Romans, Ein Schlag ins Gesicht, ist sie wieder da. Und gibt ihrem Klienten einen guten Rat: Reden ist Silber, Schweigen macht krank.
Reden ist Silber, Schweigen macht krank
Fallner hat inzwischen die Profession gewechselt. Ausgerechnet sein um fünf Jahre älterer Bruder ist ihm bei einem Neuanfang behilflich gewesen. In dessen Sicherheitsfirma darf er sich erst einmal als Springer bewähren. Und sich mit einem Problem beschäftigen, an dem bereits zwei Mitarbeiter nacheinander gescheitert sind: Den oder die Stalker der exzentrischen Diva Simone Thomas dingfest machen. Wobei der Star des 60er-Jahre-Softpornos »Die Satansmädels von Titting« alles andere als pflegeleicht ist und auch in dessen Umgebung ein paar menschliche Parasiten, scharf darauf, an Ruhm und Geld der grantigen Skandalnudel zu partizipieren, die Ermittlungen nicht gerade erleichtern.
Aber Fallner hat Zeit und Geduld – und das Buch hat die auch. Fast 100 Seiten braucht es, bis sich der Neudetektiv und die durch Sexskandale und Drogenexzesse immer im Fokus der Öffentlichkeit gebliebene Schauspielerin zum ersten Mal begegnen. Und auch danach gönnt Dobler seinem Helden die eine oder andere Auszeit vom stressigen Alltag eines schlecht bezahlten Detektivs. Wer Ein Bulle im Zug gelesen hat, weiß ohnehin, dass auch der neue Fall am Ende gelöst sein wird – so oder so. Das Interessante freilich passiert bei Franz Dobler nicht auf der geraden Strecke zwischen Problemstellung und Lösung, sondern auf den Ab-, Irr,- und Nebenwegen dazwischen.
Auf Ab-, Irr- und Nebenwegen zum Ziel
Wie zum Beispiel in der Silvesternacht 2013/2014, in der das Buch beginnt. In »Bertls Eck«, der Stammkneipe, die auch schon bessere Tage gesehen hat, sitzen sich da zwei melancholisch gestimmte Männer gegenüber, Fallner und sein Kumpel Armin. Um Debbie Harry geht es unter anderem in ihrem seitenlangen Gespräch und um die Filme von Michael Mann – wobei man natürlich sofort die Szene zwischen Cop Pacino und Gangster de Niro aus Manns Meisterwerk Heat (1995) vor Augen hat. »Auch als Punk wirst du nicht jünger. Aber wenn du das kapiert hast, ist es meistens schon zu spät«, sagt der eine. Und der andere konstatiert, dass man an Silvester »das Jahr noch nicht überstanden hat«. Doch dann bleibt die Zeit plötzlich stehen und wie funkelnde Sterne aus einem Paralleluniversum – eine Art Epiphanie der guten alten Zeiten – betreten eine nach der anderen die Damen der Girlband »Die Aufgeregten Killerbienen« das Lokal. Und für eine Nacht – nicht mehr, aber auch nicht weniger – ist der Trübsinn vergessen.
Ein Bulle im Zug hat 2015 den 31. Deutschen Krimipreis/national gewonnen. Unfassbar »gute Augen und Ohren für den Irrwitz, die furchtbare Komik und den Wahnsinn nicht nur des gesellschaftlichen Pandämoniums, das in Zügen unterwegs ist«, wurden ihm damals bestätigt. Mit seinem aktuellen Roman macht Dobler genau da weiter, wo er vor zwei Jahren aufgehört hat. Nur dass er es diesmal in keinen Zug schafft, sondern nur bis ins Bahnhofscafé zu einer alten Bekannten und in ein einstiges Szenelokal am Bahnhofseck, das die Vergangenheit in unzähligen vergilbten Bildern an den Wänden wie ein Museum bewahrt. Es ist der das Buch tragende Grundton, der hier angeschlagen wird: die vergangene Zeit und die bis heute nicht verheilten Wunden, die sie schlug. Die Sehnsucht zurück und die verzweifelte Einsicht, dass es nur vorwärts geht, auch wenn man sich mit allen Kräften gegen diese Richtung stemmt.
Titelangaben
Franz Dobler: Ein Schlag ins Gesicht
Stuttgart: Tropen 2016
365 Seiten. 19,95 Euro
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