Tanz mit dem Traumprinzen

Jugendbuch | Beate Dölling: Ali und die vierzig Küsse

Wer möchte ihn nicht im Arm halten, den Traumprinzen. Fantastisches Aussehen, fantastische Fähigkeiten und die Überzeugung, dass man selbst die Einzige für ihn ist, kann es Schöneres geben? Im Traum nicht. Bei Licht besehen schon. Da kann man gewaltig ins Stolpern geraten und nicht nur auf der Tanzfläche. Beate Dölling hat ein Märchen geschrieben, mit einer Brise frischen Winds. Von MAGALI HEISSLER

Döring - Ali und die 40 KüsseClarissa, süße vierzehn, fühlt sich geplagt. Die Eltern leben getrennt, Mutter hat einen peinlichen Beruf – Hebamme -, die beste Freundin ist neuerdings auffällig nett zu einer anderen Mitschülerin. Lehrerinnen und Lehrer haben offenbar bloß noch Hausaufgaben im Kopf, eine Mathearbeit droht. Und Finn, der neu ist in der Schule … Der ist nun gar kein Thema, nein, nein. Er weigert sich, an dem Tanzkurs mit der ganzen Klasse teilzunehmen. Mit altmodischen Tanzschritten übers Parkett schweben, ist wunderbar! Findet Clarissa.

Weniger wunderbar ist, dass sie noch keinen rechten Partner hat dafür. Die Jungen aus der Klasse machen immer etwas falsch. Sie benehmen sich nicht korrekt, verstehen die Tanzschritte nicht, überhaupt sind sie unreif. Wären sie wie Finn … Ach so, kein Thema.

Dass sich ihr Leben ausgerechnet am Automaten für Pfandflaschen schlagartig ändert, hätte Clarissa nie geglaubt. Der hübschen Flasche im Abfallkorb konnte sie aber nicht widerstehen. Heraus rauchte der Traummann. Es ist nicht zu fassen, aber Flaschengeist Ali lässt nichts unversucht, sie von sich zu überzeugen. Clarissas Leben wird ein Märchen in rosarot und Goldflitter und sie ist die Meisterin.
Allerdings nur dem Namen nach, denn Ali hat eigene Pläne.

Anforderungen der heutigen Zeit

Dölling verrät fröhlich zwinkernd gleich in der Widmung, dass die witzig-romantische Serie ›Bezaubernde Jeannie‹ Patin stand bei ihrer Buchidee. Wer sie kennt, wird an der Geschichte noch einiges Vergnügliche mehr finden. Vor allem aber verdankt es der Serie die knallbunten Farben, mit denen hier gemalt wird. Hier herrscht Technicolor pur.

Überhaupt scheint das Ganze ein wenig rückwärts gewandt. Teenagerleben voll Mode, Make-up und Schwärmereien, die Schule als ordnende Macht, ein konservativer Tanzkurs sind die Elemente, die hier Normalität suggerieren. Das Zielpublikum wird sich umgehend zu Hause fühlen.

Die fast biedere Solidität ist jedoch der Kniff, der bewirkt, dass sich gleich beide Gegenwelten, die des Märchens und die der tatsächlichen Jetztzeit, besonders gut abheben. Eigentlich geht es sehr zeitgemäß zu. Sowohl der entzückende Ali als auch Clarissas Mädchenträume vom unbeschwerten Leben entpuppen sich als überholt bis gefährlich. Die heutige Zeit stellt hohe Anforderungen in puncto Selbstständigkeit, Entscheidungsfähigkeit und einem klaren Blick auf die Zukunft. Bei aller Leichtigkeit des Tons muss sich Clarissa bewähren.

Der Umgang mit rosa Romantik

Ein wenig süß geraten ist die Geschichte. Den jungen Leserinnen wird das bestens gefallen. Gespräche über Kleider, Witze über schmink-verrückte Mitschülerinnen, Träume von guten Geistern, die die Hausaufgaben für eine erledigen und dafür sorgen, dass man immer gute Noten hat.

Tritt Ali auf, geht es besonders bunt zu. Rosafarbene Pudel, Karibik wie aus dem Reisekatalog, Liebesäpfel und Herzen in der Luft und Orientkitsch en gros. In das Strahlen ragen aber immer ernstere Probleme hinein. Sie werden mit viel Humor serviert, auch bei heiklen Fragen.

Dölling arbeitet hart, um gefährliche Stereotypen zu vermeiden. Der allzu leichte Ton kann gelegentlich kontraproduktiv wirken. Wer die Geschichte liest, sollte unbedingt beachten, dass es hier nicht um Romantik, sondern darum geht, wie man mit den romantischen Vorstellungen im eigenen Kopf umgeht. Die Frage ist bereits in der alten Serie angelegt. Wer’s nicht glaubt, sehe sie sich noch einmal mit wachem Blick an. Den anderen sei empfohlen, auf die zarte Ironie zu achten, die dem Text des Buchs unterliegt. Das ist so kunstvoll gemacht, dass es die »süße« Geschichte nicht an einer Stelle zerstört. Nur kleine Fragezeichen wachsen heran. Cover, Vorsatz und Layout sind im gleichen Sinn gestaltet.

Clarissas wachsende Konflikte zwischen den Anforderungen des Traummanns und der Realität werden gut fassbar. Ein wenig schade ist es, dass so viele Nebenfiguren auftreten, ohne dass Raum für viel Charakterisierung oder Entwicklung bleibt.

Dölling benutzt unseren Blick auf das Fremde erweitert um das Wissen, das wir heute haben. Ihre Frauenfiguren mögen die alten Träume träumen, ihre Entscheidungen aber fällen sie mit wachem Blick, selbst wenn sie erst vierzehn sind. Dass dabei Gefühle eine Rolle spielen, ist nicht verboten. Solange man die richtigen von den falschen unterscheiden kann, darf man auch tanzen, statt zu gehen.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Beate Dölling: Ali und die vierzig Küsse oder wie ich mich ein einen Flaschengeist verliebte
Köln: Boje 2016
239 Seiten. 13,00 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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