Kinderbuch | Sabine Kruber: Leon Reed. Zack ins Abenteuer
Leon übt für den Vorlesewettbewerb in der 6. Klasse. Wenn nur nicht so viele blöde lange Wörter in dem Text wären. Scho-ko-la-de-bon-bon-ein-wi-ckel-ma-schi-ne zum Beispiel. Wer soll denn so was lesen können? Die Lösung ist ganz nah. Von ANDREA WANNER
Leon ist ein typischer Wenigleser, der sich höchstens für Sachbücher interessiert – wenn das Thema seins ist, wie beispielsweise Bergsteigen. Ganz anders seine kleine Schwester Mira, die Bücher verschlingt. (Vielleicht gleich an dieser Stelle die massivste Kritik an der sonst so gelungenen Geschichte: Warum taucht Mira nicht im Titel auf? Das Abenteuer ist genauso ihres wie das ihres Bruders.).
Trotzdem möchte Leon am Vorlesewettbewerb teilnehmen, als Belohnung hat ihm sein Vater nämlich einen Kletterausflug versprochen. (Hier ließe sich eine generelle Kritik an den bundesweiten Vorlesewettbewerben in den 6. Klassen anschließen, die vieles tun, ganz sicher aber nicht Wenigleser zum Lesen bringen.)
Bei einem Familienausflug in die Stadt – eigentlich zum Kletterhaken kaufen – entdeckt Leon etwas anderes. Einen Füller, um den sich eine Schlange ringelt. Und er will diesen Füller unbedingt haben, ohne genau zu wissen, warum. Mit diesem magischen Stift holt er nicht nur die Katastrophe ins Haus, sondern in die ganze Stadt. Der Füller schreibt keine Buchstaben, sondern er frisst sie. Aus Büchern und Heften, von Arzneimittelverpackungen und Dosenbeschriftungen, aus der Zeitung und auch vor dem Computer macht die Schwarze Magie nicht Halt. Buchstabe um Buchstabe, Wort um Wort, Satz um Satz verschwinden.
Ein Gegenmittel muss her und die Suche danach führt das Geschwisterpaar nach Fabula, ins Land zwischen den Zeilen. Dort unterstützt der Buchstabenzauberer Florius, der Buchstaben züchtet, Leon und Mira bei ihrer gefährlichen Mission.
Sabine Kruber zaubert ein fantasievolles Debüt rund ums Thema Lesen. Lesen lernen, Legasthenie, die Rolle von Schrift und Schriftzeichen, ohne die unsere Welt nicht funktionieren würde, Leselust und Lesefrust, Lesen als Hobby und als Stress, Schriftarten, fremde Schriften, die Entwicklung der Schrift … sie streift all das mit leichter Hand, ohne neun-, zehnjährige Leserinnen und Leser damit zu überfordern (wenn sie denn Leserinnen und Leser sind und bereits gelernt haben, sich im Reich der Buchstaben heimisch zu fühlen).
Telling names – wie der Familienname »Reed« oder kleine Wortspiele am Rande – es gibt »Tipp-Ex-Beeren-Büsche«, in deren Nachbarschaft Buchstabenbäume nicht gedeihen, das Pferd von Florius heißt »Adverbia«, ein böser Zauberer wird in einen Buchfinken verwandelt … verstehen vielleicht nicht alle, sorgen aber bei versierten Lesenden für zusätzliches Schmunzeln.
Die magische Welt, die rund ums Lesen, konstruiert wird, ist stimmig und lässt dem Lesen seinen Zauber. Das Reich der Buchstaben als Parallelwelt zu unserer Welt: Konsequent und originell spielt Kruber mit dieser Grundidee. Und auch der Gedanke, dass das Beherrschen von Schreiben und Lesen Macht bedeutet und dass das Ende der Buchstaben den Verlust der Welt, wie wir sie kennen, bedeuten würde, wird so entwickelt, dass man zum Nachdenken über diese Selbstverständlichkeit Schrift kommt.
Dass der Coup gegen die Buchstaben nicht gelingt, darf getrost verraten werden. Dem Happy End sind all die vielen Bücher zu verdanken, die wir lesen können. Auch dieses. Zum Glück.
Titelangaben
Sabine Kruber: Leon Reed. Zack ins Abenteuer
Mit Illustrationen von Alexandra Langenbeck
Hamburg: Oetinger34 2016
224 Seiten, 9,99 Euro
Kinderbuch ab 9 Jahren
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