Liebe ist Rebellion

Film | Neu im Kino: Das Pubertier

»Ich werde meine Tochter in die Welt der Dichter und Philosophen einführen, … mit ihr Klavierkonzerte und Vernissagen besuchen!« Der Journalist Hannes Wenger ist total begeistert von seiner kleinen Tochter und hat große Pläne mit ihr – bis zu dem Tag, an dem sich alles ändert: Ihrem 14. Geburtstag. Nunֺ steht der liebende Papa vor der nahezu unlösbaren Aufgabe, dem rebellischen Pubertier ein gerechter Vater zu sein. »Wie konnte das denn bloß über Nacht passieren?«, fragt sich nicht nur ANNA NOAH

»In der Erziehung gibt es kein Richtig oder Falsch. Es gibt nur Falsch.«

PubertierKurz vor ihrem 14. Geburtstag mutiert Hannes Wengers (Jan Josef Liefers) Tochter Carla (Harriet Herbig-Matten) plötzlich zum bockigen Pubertier. Der liebende Vater nimmt sich eine berufliche Auszeit, um seine Prinzessin in dieser schwierigen Lebensphase zu unterstützen. Gleichzeitig will er sie von Alkohol, Jungs und anderen Verlockungen fernhalten. Seine Frau Sara (Heike Makatsch) geht voll arbeiten und überlässt ihren Mann seinem Schicksal.
Dieser zeigt sich als Einzelkämpfer maßlos überfordert: Ob vegetarisches Essen, Partys mit Freunden, der erste Kuss oder der anstehende Schüleraustausch nach Amerika: Hannes tritt in jedes denkbare Fettnäpfchen. Sein bester Freund, der Kriegsreporter Holger (Detlev Buck) kann ihm auch nicht helfen. Statt sein eigenes Pubertier zu unterstützen, lässt er sich lieber im Nahen Osten die Bomben um die Ohren fliegen.

Regisseur Leander Haußmann arrangiert einen amüsanten Film, garniert mit den verschiedensten Sorgen von Heranwachsenden. Und deren berufstätigen Eltern. Nebenbei wird ein treffendes Bild der modernen Gesellschaft gezeichnet. Manche Inhalte mögen zu überspitzt oder fast schon hineingezwungen erscheinen. So ist Hannes extrem überbesorgt – gerade Jungen sind eine nicht zu unterschätzende Bedrohung für seine Tochter. Oder bedrohen sie nur seine Stellung als Vater? Ach was, Carla liebt ihn, das weiß er genau. Schließlich ist er doch der einzige, beste, tollste Papa für seine kleine Prinzessin!

Schnell muss Hannes jedoch einsehen, dass Carlas Prioritäten sich wandeln. Plötzlich will sie ein iPhone und veranstaltet eine Party, bei der es keine Musik, aber viele merkwürdige Gäste gibt. Was entgeht Hannes in Carlas Zimmer? Kurzerhand steigt er an der Hauswand hoch, um durch ihr Fenster sehen zu können – das war doch ein guter Plan, oder?

Erwachsenwerden unter »Extrembedingungen«

Hannes verschließt die Augen vor den Tatsachen: Sein niedliches Mädchen wird zu einer jungen Frau. So schnüffelt er permanent seiner Tochter hinterher: Er fragt ihre Freunde aus, liest ihr Tagebuch und hackt sich sogar in ihrem Laptop ein – mittels eines afghanischen Hackers, was durchaus eine gewisse Komik beinhaltet.

Der Höhepunkt des Films ist diese Party, bei der sich die anwesenden Erwachsenen viel schlimmer verhalten, als die Heranwachsenden. Hannes’ Freunde Holger und dessen Frau Miriam kommen zufällig vorbei. Der Kriegsreporter kifft, Miriam säuft und wirft Pillen ein, während der besorgte Hannes die waghalsige Kletteraktion startet – inklusive Polizeieinsatz. Natürlich rutscht Hannes genau in dem Moment vom Dach, als seine Tochter von ihrem Mitschüler Moritz ihr erstes Liebesgeständnis erhält. Peinlich, peinlich.

Im Haus ist derweil die Hölle los, weil Moritz wohl auch Carlas Freundin Leonie irgendwas versprochen hat … da gibt es Tränen, Mentaltraining von Miriam – und zuletzt wird sogar eine Schallplatte aufgelegt. Auf einmal tanzen alle gemeinsam in Holgers Drogendunst.

Zuguterletzt landet die illustre Gesellschaft auf der Polizeiwache. Obwohl die bayrischen Beamten etwas nun ja, lässig, dargestellt sind, droht durch andere besorgte Eltern alles zu eskalieren.
Nach einigen weiteren Wirren erkennen Carla und ihr Herr Papa: Eigentlich sind sie ein super Team!

Gratwanderung zwischen Loslassen und Haltgeben

Die Pubertät und ihre Tücken sowie die Marotten der Familie … Die Macher von ›Das Pubertier‹ zeigen, wie leicht man alles falsch machen kann, wenn man es besonders richtig machen will. Es geht um die inneren Kämpfe des Vaters – dessen Mission und seine Sicht auf die Wirklichkeit stehen in Kontrast mit den völlig anderen Vorstellungen der Tochter. Dadurch wird das perfekte Chaos hervorgerufen, nicht ohne eine Prise Humor. Es geht aber auch um die Gratwanderung zwischen Loslassen und Haltgeben, die zumindest die Mutter mit stoischer Ruhe zu meistern versucht.

Schlussendlich darf Carla zu ihrem Schüleraustausch in die USA, auch, wenn Hannes sie nicht gehen lassen will. Auf dem Flughafen wird seiner Tochter bewusst, was dieses Jahr von der Familie getrennt bedeutet. Plötzlich sie will nicht mehr fliegen. In dem Moment gewinnt ihr Vater an innerer Stärke, indem er sie aktiv wieder in Richtung Transitraum schiebt. Carlas Eltern verabschieden sie und freuen sich nun auf eine pubertierfreie Zeit.

Fazit

Auf das Abenteuer »Pubertier« müssen sich nahezu alle Eltern einlassen. Manchmal jahrelang. Daraus resultiert so einiges an Erkenntnissen: Glaube an deine Kinder, denn nicht jedes wird drogensüchtig oder gerät anderweitig auf die schiefe Bahn. Das Wichtigste ist – wie in vielen anderen Dingen – Vertrauen.

| ANNA NOAH

Titelangaben
Das Pubertier
Regie: Leander Haußmann
Drehbuch: Leander Haußmann, Jan Weiler
Darsteller/Cast:
Hannes Wenger: Jan Josef Liefers
Holger: Detlev Buck
Carla Wenger: Harriet Herbig-Matten
Sara Wenger: Heike Makatsch
Miriam: Monika Gruber
Leonie: Ava Montgomery
Gastrolle: Elyas M’Barek
u.v.a.
Kamera: Alexander Fischerkoesen

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Prügeln wie in alten Zeiten

Nächster Artikel

Our Love Is Dust: New Album Reviews

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Sie wollen doch nur spielen…

Film | Neu im Kino: Spieltrieb Am 10. Oktober läuft die mit Spannung erwartete Verfilmung von Spieltrieb in den Kinos an. Juli Zehs Roman um zwei Jugendliche im Strudel von Liebe, Begierde und Manipulation machte 2004 Furore. Nun ist Regisseur Gregor Schnitzler (Resturlaub, Soloalbum) eine eindrückliche Umsetzung des Bestsellers gelungen – vor allem dank seiner beiden jungen Hauptdarsteller. Von VOJKO HOCHSTÄTTER

Der Fantast

Film | Im Kino: Shape of Water – Das Flüstern des Wassers Ein Monsterfilm als Oscar-Favorit? Im oft engstirnigen Hollywood fast undenkbar, 2018 aber Realität. ›Shape of Water‹, im deutschen Titel unnötig mit dem Zusatz ›Das Flüstern des Wassers‹ versehen, geht als scheinbar aussichtsreichster Kandidat in das diesjährige Rennen um den begehrten Goldjungen. 13 Mal nominierte die Academy das neue Werk von Guillermo del Toro, unter anderem in den Königskategorien, für den besten Film und den besten Regisseur. FELIX TSCHON fragt sich: »Was steckt hinter der Euphorie?«

Das letzte Chamäleon

Film | Interview ›Welcome to Sodom‹ ›Welcome to Sodom‹ ist eine bildgewaltige, apokalyptische Doku über Europas größte Elektromüllhalde – mitten in Ghana. »Ghana steht der ökologische Kollaps bevor«, resümiert der Filmemacher Florian Weigensamer über die dunkle Seite unserer elektronischen Glitzerwelt, recycelte Frankenstein-Computer und Kultur als »last frontier« der Menschlichkeit. Ein Interview von SABINE MATTHES.

Lebensbankrott trifft auf Persönlichkeitsstörung

Film | Im TV: Polizeiruf Familiensache (NDR), 2. November Arne Kreuz (Andreas Schmidt) sieht unfassbar gemein aus, aber was kann er dafür. Er führt Böses im Schilde, dass es uns kalt den Rücken herunterläuft. Das ist die eine ›Familiensache‹, ein Familienvater verkraftet die Scheidung nicht und steigert sich in eine Realität, in der die Tatsachen nicht mehr greifen. »Die Straße vor mir wird immer enger, und dann steh‘ ich vor dieser Wand«. Von WOLF SENFF

Grandioser Fiesling vom Dienst

Menschen | Zum 80. Geburtstag von Oscar-Preisträger Jack Nicholson am 22. April 2017 »Mit meiner Sonnenbrille«, sagte der Hollywood-Star vor zehn Jahren, »bin ich Jack Nicholson. Ohne sie bin ich fett und siebzig.« Die Rolle des psychopathischen ehemaligen Korea-Kämpfers Randle Patrick McMurphy in ›Einer flog über das Kuckucksnest‹ (1975) hatte ihn weltberühmt gemacht, obwohl er schon vorher in bekannten Streifen wie ›Easy Rider‹ (1969) und Roman Polanskis ›Chinatown‹ (1974) glänzte. Von PETER MOHR