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Weltoffenheit als musikalisches Verständnis

Musik | Interview | Kroke: Traveller

Sie begannen das Musizieren als Freunde – und sind es auch nach 25 Jahren und weltweitem Erfolg geblieben. Tomasz Lato, Jerzy Bawoł und Tomasz Kukurba, kurz: Kroke. Aktuell sind sie auf großer Jubiläumstour in Europa unterwegs. Ab dem 18. November steht das Trio auch in Deutschland auf der Bühne. Grund genug für HANNES und FLORIAN STURM, sich mit den »Weltmusikern« zu treffen.

Band Kroke

Krakau ist eure Heimatstadt. Seid ihr echte, geborene Krakauer?
Jerzy Bawoł: Ja, das sind wir. Wir sind hier zur Schule gegangen und kennen uns seit dem Gymnasium. Tomasz [Kukurba] und ich waren Klassenkameraden, der andere Tomasz war ein Jahr über uns. Wir haben schon zu Schulzeiten gemeinsam musiziert. Kroke, die Band, gründeten wir dann 1992, während unseres Studiums an der Krakauer Musikakademie.
Unsere Freundschaft besteht nun seit 34 Jahren. Auch unser Toningenieur Darek Grela gehört zur Kroke-Familie. Er ist Tomasz‘ [Kukurbas] Schwager.

Könnt ihr euch noch an eure ersten Auftritte in Deutschland erinnern? Wo standet ihr hierzulande schon überall auf der Bühne?
Jerzy Bawoł: Da muss ich im Laptop nachsehen, der weiß das genau. (Lacht.) Also … Wir waren über den Jahreswechsel 1993/94 bei der jüdischen Gemeinde in Hamburg zu Gast, in einer tollen Musikscheune in Loccum (Niedersachsen) und in Wittstock. Insgesamt haben wir in Deutschland schon über 250 Konzerte gegeben, unter anderem in Frankfurt/Main, Berlin, Weimar, Dresden und Mainz.

Inwieweit hat sich eure Zusammenarbeit untereinander seit der Gründung von Kroke vor 25 Jahren verändert?
Jerzy Bawoł: Sie ist vor allem produktiver geworden.

Krokes Stil wird dem Genre »Weltmusik« zugeordnet. Was genau verbirgt sich dahinter?
Tomasz Kukurba: Der Begriff »Weltmusik« ist eine Bezeichnung aus der englischen Sprache. Allerdings ist sie im ursprünglichen Sinne auf unsere Musik kaum anwendbar. Wir haben eine Musik entwickelt, die Einflüsse aus vielen Regionen der Welt enthält. Das muss man in etwa so verstehen: Während unserer Tourneen hören wir einheimischen Musikern zu und spielen auch gemeinsam mit ihnen. Daraus ergeben sich unzählige Anregungen, Ideen und Inspirationen. Jedoch nehmen wir kein Lied im Studio exakt so auf, wie wir es beispielsweise in Südamerika oder Indien performt haben. Stattdessen dienen uns Klänge von dort als Inspirationen für unsere eigenen Kompositionen.

Eure Musik ist von vielen unterschiedlichen Einflüssen geprägt, von Klezmer über Jazz bis hin zu orientalischen oder griechischen Klängen. Wie geht man bei solcher Vielfalt an die Komposition neuer Songs heran?
Tomasz Lato: Wir komponieren gemeinsam. Das ist oft wie eine Jam-Session. Jeder steuert seine Ideen bei, die manchmal schon lange in ihm schlummern oder sich auch auf einer der jüngeren Reisen in den Kopf geschlichen haben. Diese Inspirationen kombinieren wir schließlich, wenn wir zusammen mit Darek im Studio verschiedene Dinge ausprobieren – bis wir uns letztlich auf die Endversion geeinigt haben.

Verändert ihr die Songs bei Live-Auftritten spontan oder haltet ihr an euren Kompositionen fest?
Tomasz Kukurba: Das kommt ganz darauf an. Normalerweise spielen wir unsere Kompositionen. Aber manchmal lassen wir uns von der tollen Stimmung im Publikum mitreißen, geben uns den Emotionen und der Atmosphäre bei einem Auftritt hin und improvisieren. Das begeistert vor allem die Konzertbesucher, die unser eigentliches Programm und unsere Songs genau kennen.

Eure Band und die Klezmer-Wurzeln sind per se Vertreter jiddisch-folkloristischer Traditionen. Habt ihr in Polen manchmal Probleme damit, dass es auch dort noch Antisemitismus gibt?
Tomasz Kukurba: Wir sind alle in Krakau aufgewachsen. Dort gab es schon im Mittelalter eine große jüdische Gemeinde im Stadtteil Kazimierz. Die Deutschen haben dort im Zweiten Weltkrieg Furchtbares angerichtet. Zugleich war Oskar Schindlers Fabrik direkt gegenüber am anderen Weichselufer. Aber wir wissen auch um die schwierige Geschichte Polens, was die Juden betrifft. Noch nach dem Krieg gab es Pogrome im Land und bis Ende der 1980er Jahre wurden Juden in den Gedenkstätten nur am Rande erwähnt. Im Mittelpunkt standen dort die Gräueltaten der Deutschen gegenüber den Polen – nicht den Juden.

Unsere Musik hat ihren Ursprung in der jüdischen Kultur. Bei unseren Konzerten spielen Probleme zwischen Polen und Juden keine Rolle. Wir begeistern beide und auch die Leute, die in anderen Ländern zu unseren Konzerten kommen. Wir wollen nicht an die alten Vorurteile anknüpfen, sondern in Freundschaft und Frieden miteinander leben. Gute Musik schafft keine Feinde, sondern verbindet.

Während der Dreharbeiten zu Schindlers Liste wurde Steven Spielberg auf Kroke aufmerksam und lud euch zu einem spontanen Konzert nach Israel ein. Wie habt ihr dieses Ereignis erlebt?
Tomasz Lato: Leider hatten wir damals kaum Zeit, uns das Land mit seiner für die gesamte Welt so interessanten Kultur und Geschichte anzusehen. Dafür war einfach zu viel zu tun. Trotzdem war diese Reise ein großer Gewinn für uns und unsere musikalische Entwicklung. Kurz darauf wurden wir auch eingeladen, bei der Premiere des Films in Jerusalem zu spielen. Auch die Uraufführung in Polen umrahmten wir mit einem Konzert.

Wie wichtig ist für euch die Zusammenarbeit mit Künstlern wie Nigel Kennedy oder Edyta Geppert? Was zieht ihr für euch als Band aus diesen Kooperationen?
Jerzy Bawoł: Alle Projekte mit Gästen bereichern unsere musikalische Persönlichkeit. Es macht Freude mit ihnen zu spielen und beide Seiten profitieren davon.

Ihr steht oft zu viert auf der Bühne – mit dem Perkussionisten Sławek Berny. Spielt ihr die Mehrzahl eurer Konzerte mit oder ohne ihn?
Tomasz Kukurba: Mal so, mal so. Slawek hilft uns an den Stellen, wo ein Perkussionist nötig ist. Bei Open-Air-Konzerten, speziellen Projekten oder in großen Hallen bringt das ein anderes Gesamtklangbild, als es in kleineren Räumen gebraucht wird.

Wie geht ihr mit Kritik an eurer Musik um?
Tomasz Lato: Wir nehmen sie positiv auf. Sie ist in gewisser Weise eine Ehre und gleichzeitig ein Ansporn, an uns zu arbeiten, um noch besser zu werden.

Was war die schönste Begegnung, die ihr auf Tour bislang erlebt habt?
Tomasz Kukurba: Ein Einzelerlebnis herauszugreifen, fällt uns schwer, denn jede Reise bereichert uns emotional, seelisch und intellektuell.

kroke traveller cover

Euer aktuelles Album zum 25-jährigen Bandjubiläum heißt ›Traveller‹. Befindet sich Kroke permanent auf einer musikalischen Reise?
Jerzy Bawoł: Wir sind neugierig und immer offen für Neues. Trotzdem haben wir unseren ganz eigenen Musikstil. Es macht uns viel Freude und es ist immer eine Herausforderung, Klänge anderer Kulturen so in unsere Kompositionen einzuarbeiten, dass es trotzdem unser Stil bleibt. Man kann auch sagen, dass es ein Teil unseres Stils ist, so zu musizieren.

Welche Bedeutung hat für euch der direkte Kontakt mit dem Publikum, nicht nur auf der Bühne.
Jerzy Bawoł: Eine sehr große. Der Austausch von Energie und Emotionen ist eine äußerst wichtige Sache, die uns seelisch enorm bereichert. Es ist toll, eine Arbeit zu haben, bei der man so direkt die Anerkennung spürt. Das spornt an – immer wieder aufs Neue.

Auf welchen Kontinenten wart ihr noch nicht?
Jerzy Bawoł: Australien steht noch auf unserer Liste, die Antarktis wollen wir jedoch weglassen. Ich weiß nicht, ob meinem Akkordeon die Eiseskälte dort so gut tut. (Lacht.)

Welche eurer CDs werdet ihr auf eure Deutschland-Tour mitbringen?
Tomasz Lato: Da es eine Jubiläumstournee ist, haben wir alle im Gepäck, selbstverständlich auch unsere beiden neuesten Platten: Traveller und 25 The Best Of

| HANNES und FLORIAN STURM
| Fotos: JACEK DYLAG 2016

Über die Band
Kroke, das sind Tomasz Lato (Kontrabass), Tomasz Kukurba (Bratsche, Flöte, Gesang, Percussion…) und Jerzy Bawoł (Akkordeon). Einst begann das Trio mit Klezmer, der jüdischen Hausmusik für alle Gelegenheiten von Taufe bis Beerdigung. Mittlerweile ist ihre Musik durch Klänge beeinflusst, die sie unterwegs in vielen Ländern fast aller Kontinente sammelten. Wer genau hinhört, entdeckt bei den Dreien Sequenzen aus verschiedenen Musikrichtungen und Weltregionen: Roma- und Gypsi-Musik vom Balkan, Goralen-Takte aus Südpolen, teils jazzige Klänge aus Skandinavien, Griechenland, China und Indien, bis hin zu Western- und Country-Tönen aus Irland und Amerika. Trotzdem bleibt ihr Sound unverwechselbar und einmalig, nicht nur wegen des ungewöhnlichen Vokalgesangs von Tomasz Kukurba. In diesem Jahr feiert Kroke sein 25-jähriges Band-Jubiläum.

Reinschauen
| Webseite der Band
| Kroke live erleben
Am Samstag, den 18. November, wird Kroke in Eberswalde den Auftakt seiner Deutschlandtournee geben. Weitere Konzerte sind in Greifswald, Dresden, Potsdam, Berlin, Saarburg und Aachen geplant.
Tickets und Informationen.

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