Bühne | Die Uhr tickt – Timpul trece (Badisches Staatstheater Karlsruhe)
Was kann besser sein, als sich mit ernsten Themen wie denen von Leben, Älterwerden und Tod in einem interaktiven Rahmen der Selbstbestimmung auseinanderzusetzen? Diese Themen zeigt die Kooperation von Schauspielern, Moderatoren und Zuschauern im Stück »Die Uhr Tickt«. Von JENNIFER WARZECHA
Die Uhr tickt für den Zuschauer relativ langsam, innerhalb eines Zeitrahmens von 60 Minuten. Diese aber sind prall gefüllt von Lebensthemen, Themen, die jeden Menschen und damit auch den Zuschauer, innerhalb seines Lebens beschäftigen: Egal, ob es dabei um jedermanns Themen geht, wie der Frage nach der Ablösung von den Eltern, Beziehung und Partnerschaft, ein Wiedersehen nach langen Jahren von Vater und Tochter, der Frage nach Toleranz von Migranten in Deutschland oder danach, was die Möglichkeit der Reproduktion uns allen tatsächlich bietet.
Die Kunst des Alterns
Das eineinhalbstündige Stück, in dem auf Zuruf des Zuschauers jeweils fünf von zehn Szenen gespielt werden, ist Teil des ETC-Projekts ›The Art of Ageing‹, einer Koproduktion mit dem Rumänischen Nationaltheater Temeswar. Dementsprechend sind zwei der Moderatoren und Schauspieler Deutsche, zwei sind Schauspieler, die aus Rumänien stammen. An diesem Aufführungsabend im Badischen Staatstheater ergreifen vorwiegend die beiden Schauspieler Sophia Löffler und Jan Andreesen das Wort und beziehen das Publikum im voll besetzten Studio des Staatstheaters mit ein.
Sabina Bijan aus Timisoara in Rumänien und Colin Buzoianu, ebenfalls aus Timisoara, liefern jeweils die Simultanübersetzung für denjenigen Teil des Publikums aus Rumänien, der an diesem Abend Teil an der deutschen Version des Stückes hat, der teilweise auf der Mitbestimmung des Publikums basiert. Sie sind es auch, die innerhalb der rumänischen Version das Kommando vorne haben.
In einzelnen Video-Szenen, sogenannten Mini-Dramen, geht es dabei genau um die Themen Leben und Tod, wie in der Szene, die einen Lebensausschnitt des kleinen rumänischen Dorfs Lindenfels repräsentiert und in der als sogenannter »Geisterstadt« kaum ein Anhänger der jungen Generation arbeiten möchte, geschweige denn jemand wirklich die genaue Postleitzahl – sie wird genau deswegen während des Theaterstücks eingeblendet – kennt.
Überlistet von den Alten
In einzelnen Szenen wie der ersten, der »Kunst des Augenblicks«, werden Gedanken der Zuschauer und Zeitgenossen reflektiert. Ein 81jähriger Gesprächspartner will dabei zum Beispiel noch nicht an den Tod denken. In der zweiten Szene treffen sich Sophia Löffler und Colin Buzoianu. Er verließ sie und ihre Mutter. Sie wirft ihm ein Sandwich an den Kopf und macht ihm Vorwürfe, weil er ihre Mutter verlassen hat. Er beschwört darauf, dass er aufgrund seiner Krebserkrankung nur noch ein Jahr zu leben hätte. Sie überzeugt das nicht und beide enden darin, unbefriedigt aus der Situation herauszugehen, eine typische Situation, die die sogenannte Moderne charakterisiert.
In einer weiteren Szene bestreitet ein verrückt dreinblickender Mann mit wirrem Haar und ausgestopftem Bauch (Jan Andreesen) die Szene mit einem Klavierspiel. Er, 43, möchte nach Berlin und ist zugleich zu Hause, aufgrund seiner finanziellen Situation und Zwangslage, gefangen. Wütend darauf, dass er keine Frau unterhalten kann und keine Geschwister hat, beschimpft er seine Eltern und schwört auf seine vermeintliche Midlife-Crisis. Der Vater stirbt und hinterlässt eine Lebensversicherung – das willkommene Fressen und die gewünschte Lebensabsicherung für den Sohn. Während dieser sich noch in die Haushälterin verliebt, ersticht wiederum der Vater den Sohn. Ein willkommenes Thema für die Grundessenz des Stückes, die da ist: Die Generation der Alten überlistet mit ihren Ansichten und Konfessionen sowie Vorgaben die Ziele und Attitüden der Jüngeren.
Laut Michael Gmaj, einem der Leiter der Dramaturgie des Stückes, sind genau diese die »ausgetricksten Räuber«, die den Eltern dadurch unterlegen sind, dass diese ihnen nichts entgegensetzen, sondern sie mit einer »Versteh‘ ich«-Haltung in ihrer Entwicklung bremsen und dafür sorgen, dass sie damit konfrontiert sind, dass die alte Generation genau das besetzt, wofür die neue Generation stehen möchte.
Wie es einem rumänischstämmigen Autoren des Stückes, wie es Peca Stefan ist, gebührt, sind dabei auch einige zeitkritische Stimmen zu hören, wie die nach der Frage des Verlaufs der Rumänischen Revolution.
„I Like… „?
Die Zuschauer können mit Karten »voten«, ob sie die Aussagen des Stückes unterstützten oder ablehnen (oder sich erst mit 60 Jahren entscheiden möchten). Der Trend geht dazu, das Leben auf sich zukommen zu lassen, es zu genießen – und sich nicht zu bemitleiden und erst mit 60 Jahren bewusst zu werden, ob man tatsächlich seinerzeit in der Mitte des Lebens für jemanden gestorben wäre.
Gerade in der Reproduktionsszene, innerhalb derer Sophia Löffler Jan Andreesen davon überzeugen möchte, dass alle Körperteile des Menschen nachahmbar und käuflich erwerblich sind, wird deutlich: Je älter wir werden, desto mehr wir austauschen, desto weniger sind wir selbst wir selbst. Perfekte Bausteine generieren noch keine Individualität. Eine perfekte Lehre des interaktiven Stückes. Die Moderatoren beziehen das Publikum, wie als Teil einer Marketing-Kampagne, die ihnen und dem Publikum Nutzwert verschafft, ein.
Untermalt wird das Ganze vom Chor der Banater Schwaben Karlsruhe, die als »Erdbeerwaisen« in die Geschichte eingingen – also als diejenigen, deren Eltern aus Rumänien hinaus ins Ausland gingen, um zu arbeiten und Geld für ihre Angehörigen zu verdienen. Sie sind es auch, die nicht nur im Chor von »Schöne(n) Rosen« und »So jung und heute« singen. Sondern sie sind es auch, die letztendlich den Kontakt mit dem Publikum dadurch suchen, dass sie Kuchen und Sekt ausschenken und mit den Anwesenden feiern.
Ein gelungener Abend! Und ein rundum gelungenes Stück der Interaktion von Schauspielern und Publikum, aber vor allem der Interaktion des deutschen und rumänischen Publikums.«
| JENNIFER WARZECHA / Fotos: Felix Grünschloß
Titelangaben
Die Uhr Tickt – Timpul Trece
Badisches Staatstheater Karlsruhe
von Peca Stefan in deutscher, rumänischer und englischer Sprache
Koproduktion mit dem Nationaltheater Temeswar, Rumänien
Im Rahmen des ETC-Projekts The Art of Ageing
Regie: Malte C. Lachmann
Mit:
Sabina Bijan
Sophia Löffler
Jan Andreesen
Colin Buzoianu