Politik macht’s genauso

Kommentar | Fußball und Politik

Fußball war immer schon ein Paradigma für das Geschehen im politischen Raum. Berühmtestes Beispiel ist Günter Netzer, der Partys auf Sylt feierte und nie verstand, weshalb er eine Symbolfigur für politischen Aufbruch wurde, das Leben tritt kompliziert in Erscheinung. Von WOLF SENFF

KolumneFussballWer aufmerksam auf Bayern München blickt, erlebt, wie ein Monument einbricht, und es ist schwer verständlich, weshalb das der Mainstream nicht wahrnimmt, in dessen Sportredaktionen doch gelegentlich die helleren Köpfe sitzen. Ein Verein mit Vermögen wie Dagobert sollte mindestens in der Lage sein, geordnet in die Saison zu starten. Das Gegenteil ist der Fall.

Fortschritt, was immer das sei

Nein, auch Weltmeisterschaft kann da nicht als Entschuldigung gelten, der Verein kommt in die Bredouille. Toni Kroos wechselte zu Real Madrid, überaus erfolgreiche Stürmer wie Mario Gomez (zum AC Florenz) und Mario Mandzukic (zu Atletico Madrid) hatten ebenfalls Probleme mit den glatzköpfigen leitenden Angestellten, man ließ sie abwandern.

Hinzu kommt das Problem, dass eine Hochleistungsgesellschaft ihr Personal an die Leistungsgrenzen treibt und darüber hinaus tendenziell in die Arbeitsunfähigkeit, siehe Bastian Schweinsteiger, Thiago Alcantara, Javi Martinez. Gut, gut, Perspektiven haben sie im Verein, als da wären Champions League, Weltmeister, Europameister, Double, Fußballer des Jahres etc., und wenn man das für Perspektiven hält, sei’s drum, es ist ja in der Politik nicht anders. Wachstum, auf dass der Rubel rolle, und Fortschritt, was immer das sei.

Konzeptionslosigkeit

Hals über Kopf wird der zweiunddreißgjährige Xabier Alonso von Real Madrid eingeholt und steht schon am nächsten Tag auf dem Spielfeld. Welch hektische Tage. Mit allen erdenklichen Mitteln sucht man die Fassade der Ordnung zu wahren, dieweil es real drunter und drüber geht. Ein nettes Bild en miniature für das, was sich bei Politik im Großen abspielt.

Bei Bayern München kommt hinzu, dass man den Verlust der patriarchalisch ordnenden Hand, die zurzeit in Landshut einsitzt, nicht kompensieren kann. Dem aufmerksamen Blick zeigt sich ein erschreckendes Durcheinander, was Transferpolitik angeht, und die abwechselnden Strategien des Trainers darf man gut und gerne als Konzeptionslosigkeit wahrnehmen.

So lange wie möglich

Völlig klar, Deutschland will Party feiern auf Teufel komm raus, Deutschland liegt im Rausch der Weltmeisterschaft. Noch reicht die Kraft hin, den Blick von der ernüchternden Realität abzuwenden, verstehe das, wer will. Und dieser Torhüter? Ein Torwart ist ein Torwart ist ein Torwart. Schon beim Algerienspiel zeigte sich, welch hohes Risiko er damit eingeht, dass er seinen Torraum bis zur Mittellinie ausdehnt. Gegen Algerien hatte er Glück. Und Glück benötigt immer derjenige, der’s selber nicht kann. Auch jetzt gegen Schalke stand ihm Glück zur Seite, und der Mainstream preist Neuers abenteuerlichen Leichtsinn trotzdem als Professionalität. Geht’s noch?

Bayern München ist ein Monument, und klar, die begleitende Journaille möchte sich die schöne glatte Ordnung dieser Balltreterwelt nicht beschädigen lassen. Mene mene tekel. Man ist fest entschlossen, die Zeichen des Verfalls um jeden Preis so lange wie möglich zu ignorieren. Politik macht’s genauso.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Starker Tobak

Nächster Artikel

Ferienprogramm

Weitere Artikel der Kategorie »Kolumne«

Spart Wasser – bleibt nackt!

Kolumne | Philipp Weber: Futterblog Laut der Vereinigung Deutscher Gewässerschutz verbraucht der Deutsche mehr als 4000 Liter Wasser am Tag. Das kann man fast nicht glauben, oder? Ich hätte meinen persönlichen Verbrauch heute auf 70 oder 80 Liter geschätzt. Und zu meiner Studentenzeit lag der Wasserbedarf unserer gesamten Wohngemeinschaft bei höchstens 40 Litern. Verteilt auf drei Mann in zwei Semestern. Von PHILIPP WEBER

Welcome To The Jungle

Kolumne | Das aktuelle Gefälle #3   ›Das aktuelle Gefälle‹ ist CHRISTIAN NEUBERTs satirisches Format, in der er sich zeitgenössischer Schieflagen annimmt. Diesmal gibt es empörend Schräges zum Dschungelcamp der anderen Art.

Red Bullyversum: Komm, süßer Tod!

Kolumne | Phillip Weber: Der Futterblog In 4000 Meter Höhe ohne Fallschirm aus einem Flugzeug zu springen: Dazu braucht man sehr viel Mut. Oder das richtige Getränk! Wir haben PHILIPP WEBER und sein Alter Ego auf der rasanten Reise nach unten begleitet!

Alle Wondrak-Kolumnen in einem Band

Gesellschaft | Janosch: Herr Wondrak, wie kommt man durchs Leben?

Das muss man eigentlich gar nicht erwähnen: es ist ein Muss für alle Janosch-Fans, diese 350 Janosch-Zeichnungen von Wondrak und dessen Ansicht zu allen wichtigen Lebensbereichen. Sie kennen doch Wondrak? Den »Held des Alltags«, diesen schnauzbärtigen, immer in gleicher Latzhose gekleideten, Pantoffel tragenden Mann, der irgendwie, so gestreift an Tiger und Bär erinnert. Der immer so leicht missmutig, zumindest desinteressiert schaut, dabei auch ein wenig an Ekel Alfred erinnert, der auch nie um eine Antwort oder Erklärung verlegen war. Ein wunderbarer Band – meint BARBARA WEGMANN

Beerpeace! Über die bedrohte Bier-Diversität in Deutschland

Satire | Philipp Weber über die bedrohte Bier-Diversität in Deutschland Das Oktoberfest ist in vollem Gange – und man muss die bayerische Gastfreundschaft bewundern: Jedes Jahr aufs Neue laden die Münchner Millionen von Menschen aus allen Ländern der Erde in ihre schöne Stadt ein, damit sie dort lachen, tanzen, trinken, in die U-Bahn speien und an die Bavaria pinkeln! Eine Satire von PHILIPP WEBER