Das ist schon heftige Kost, die einem da präsentiert wird: eine ungewöhnliche Autorin mit ungewöhnlichen Erzählungen. Laura Hird, Jahrgang 1966, geboren in Edinburgh, ist nach eigenem Bekunden nur dreimal so richtig von Zuhause weg gewesen. Dafür, das belegen die Geschichten, hat sie eine überwältigende Phantasie. Von BARBARA WEGMANN
Der Titel ist wie ein Teekesselchen, da steckt und brennt viel Dreck unter den Nägeln, aber von Seite zu Seite mehr, hat man das schmerzende Gefühl, dass auch Nägel eingehauen werden. Betroffen bleibt man nach jeder Geschichte zurück, nach anfänglich oft positiver Stimmung spitzen sich die Situationen beklemmend zu, werden ins Brutalste, Grausamste oder Absurdeste zugespitzt. Jede Geschichte hinterlässt eine kleine Narbe.
Zunächst klingt das alles in den meisten Geschichten richtig nett: da hilft ein Freund einem anderen, da sind zwei Mädchen, die sich über ihre Schulstreiche schieflachen, ein Mann schmiegt sich an eine Frau, ein kleines Mädchen, das sich für den Klavierlehrer begeistert. Die Wortwahl ist positiv, freundlich, ruft Verständnis und Verstehen, Mitleid und Mitgefühl hervor. Gerade wie auch bei der Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde. »Wie ist es, wenn man jemanden verliert, mit dem man sein halbes Leben lang verbracht hat?«
Aber der Hammer kommt ganz schnell danach, aus der idyllischen Anfangsszene wird der Alptraum schlechthin: die verlassene Frau zeigt schnell ihr anderes Gesicht, schikaniert, misshandelt und malträtiert die heiß geliebte Katze des Ex-Lovers auf bestialische Weise. Die beiden Mädchen fordern einen zurückgebliebenen Jungen auf, sich mit einem Konservendeckel »Ich bin ein Arsch« in den Arm zu ritzen, weil ja alles »so geil« ist. Als Mutprobe, als Schikane. »Hass kein Schiß vor nix, nich?« Im Szene- Jargon sind sie alle fit. Grausamkeit pur.
Der Mann, der sich noch gerade liebevoll an die Frau schmiegte, wird sie eine Seite weiter brutal misshandeln und zu Tode quälen, ein durchgeknallter Söldner. Und das kleine Mädchen? Es beichtet dem Klavierlehrer, dass seine Eltern mit der Schmuserei vor einem Jahr Schluss gemacht haben. Die Begründung: Als Siebenjährige sei sie zu alt dafür. Freie Fahrt für einen abartigen Musiker auf perverser Klaviatur. »Sie mußte nicht einmal Klavier spielen.«
Was man da empfindet, das ist reine Wut, Hilflosigkeit und Entsetzen. Laura Hird schildert drastisch, lässt an Eindeutigkeiten nichts zu wünschen übrig, ist alles andere als zimperlich. In tiefsten inneren Abgründen ihrer Figuren findet sie sexuelle Perversitäten, überschäumende Lust an Brutalität und Gewalt. Skrupel … wie schreibt man das?
Aber doch ist da irgendwo immer die Sehnsucht nach einer heilen Welt, der sanften, tiefen Liebe, in einer Welt, in der alles »voll horrormäßig« ist, und »zum Kotzen«, in einer Welt voller »Klugscheißer« und »Wichser«. Wie ein kleiner Hilfeschrei, versteckt, zwischen den Zeilen.
Und dann ist da die Titelgeschichte, bei der man nicht weiß, ob man lachen oder zutiefst schockiert sein soll: die junge Frau, die eines Morgens ein Geschwür unter einem Nagel entdeckt, das wächst und ihr Leben von einem auf den anderen Tag auf den Kopf stellt. Absurd und skurril. Alles gerät aus den Fugen, das Leben verläuft von nun an auf der »Abwärtsspirale«.
Laura Hird, schon für ihren Roman ›Born free‹ ausgezeichnet fasziniert mit diesen extravaganten, ausgefallenen und ins Psychopathische driftenden Geschichten. Aber Vorsicht: Die Gänsehaut ist programmiert, diese Geschichten verfolgen bis in den Traum!
Titelangaben
Laura Hird: Nägel-Stories
München: Eichborn 2003
224 Seiten, 18,90 Euro
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