Toni Morrisons neuer Roman ›Liebe‹ ist eine Geschichte um einen Frauenschwarm, der auch dann noch das Leben seiner Anbeterinnen bestimmt, als er längst tot ist. Vor diesem Hintergrund entwirft die Autorin beeindruckende Frauenpsychogramme. Von BARBARA WEGMANN
Liebe
Ein Mann, um den sich Frauenherzen drehen, sogar dann noch, als der Umschwärmte seit Jahren, Jahrzehnten tot ist. Was für ein Thema! Aber wie erste Gedanken vorgaukeln, ist es dann doch nicht. Dies ist ein wehmütiges Buch über die große Liebe, über so Vieles, was hätte sein können und doch nicht war. Über die Fesseln, die Liebe anzulegen vermag, und die es unmöglich machen, frei und ehrlich zu leben und zu kommunizieren. Stattdessen zu Unfähigkeit und Passivität, ja zu ganz entgegengesetzten Gefühlen, nämlich Wut und tiefem Hass führen.
Es ist ein Buch über den großen inneren, zerstörerischen Kampf, der ganz im Stillen quält, oder aggressiv ausbricht, ein Buch über eigene Unfähigkeiten.
Hass
Es ist ein ganz entlegenes Strandhotel, das die Kulisse für diese ganz besonderen menschlichen Verstrickungen bietet, ein Hotel, das einmal Glanzzeiten erlebte. Bill Cosey war damals nicht nur ein »schwarzer Patriarch«, sondern auch erfolgreicher Hotelier. Ach ja, und ein umschwärmter Mann. »Bill Cosey hat viele Hochzeitsgelüste geweckt, mußt du wissen. Viele Frauen hätten gerne in meiner Haut gesteckt.« Es ist die junge Heed, die Cosey zur Frau nimmt, als sie gerade elf Jahre alt ist. Heed ist befreundet mit Christine, Bills Enkelin.
Nach der Hochzeit bekommt die Freundschaft einen Knacks, der sich auch mit den Jahrzehnten nicht mehr kitten lässt. Nach Bills Tod wird das Leben unter einem Dach zur täglichen Qual, bittere Emotionen brechen offen aus, eine Hölle aus Eifersucht und Feindschaft. Der Kampf um Anspruch und Besitz, um Erbe und Andenken, aber auch um Macht über einen Menschen, selbst wenn er längst tot ist, gipfelt, als Heed eine junge Frau ins Haus nimmt, mit deren Hilfe sie die Familiengeschichte aufschreiben will.
Wehmut
Nobelpreisträgerin Toni Morrison bahnt sich wortgewaltig und sehr beeindruckend ihren Weg in die tiefsten Gefühlsschichten ihrer Frauengestalten, fühlt sich höchst sensibel und feinfühlig in jede ein. So beherrschen den nicht ganz einfachen, aber ganz sicher lesenswerten Roman, eigentlich die Frauenporträts, einzelne Bilder, die individuell, intim und sehr ausdrucksstark sind. Gelungene Psychogramme über die sich trefflich »psychologisieren« lässt. Dem Gesamteindruck nimmt diese Tatsache etwas an Harmonie. Sicher ist es auch der Kampf um Schwarz und Weiß, um Arm und Reich, um Jung und Alt.
Aber haften bleibt die so eigenartige und seltsame Lebensgemeinschaft der Frauen und ihre angebliche Liebe zu Bill. Dafür prügeln sie sich auch gerne ein- zweimal pro Jahr. »Wichtiger aber war die unausgesprochene Erkenntnis, dass ihre Kämpfe ihnen nur dazu dienten, sich aneinander zu klammern.« Den Titel des Buches sollte man nicht ausschließlich ironisch verstehen, denn aus jeder einzelnen Frauensicht bleibt die wehmütige Erkenntnis einer tiefen Liebe und Illusion, aus der man sich nicht befreien konnte.
Titelangaben
Toni Morrison: Liebe
Deutsch von Thomas Piltz
Reinbek: Rowohlt Verlag 2004
280 Seiten, 10 Euro
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