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Hörbuch | Edgar Wallace: Die Romanfabrik

Edgar Wallace! Vom Buchdeckel aus blickt er seiner Leserschaft direkt in die Augen: nahezu kahlköpfig, ein wenig schelmisch. Edgar Wallace, gebürtiger Brite, wurde durch seine zahlreichen, auflagenstarken und in unzählige Sprachen übersetzten Krimis einem großen Kreis bekannt. Von STEFAN HEUER

Edgar WallaceNicht weniger bekannt sind die nach seinen Romanen entstandenen Filme, die im Nachkriegsdeutschland Geschichte schrieben und an den Kinokassen für Furore sorgten.

Unvergesslich Klaus Kinski, einer der provokativsten, in der Summe seiner Filme aber auch produktivsten Schauspieler, der nach seinem ersten Auftritt in einer Wallace-Verfilmung (›Der Rächer‹, 1960) noch 15 weitere Male auf die Besetzungsliste gesetzt wurde – beinahe ausschließlich wegen seiner Augen und dem damit verbundenen irren Blick, der ihm zumeist die Paraderolle als Bösewicht einbrachte.

Unvergesslich auch die cleveren, wortgewandten und dabei der holden Weiblichkeit durchaus zugeneigten Kommissare von Scotland Yard, Heinz Drache etwa, Joachim Fuchsberger natürlich, aber auch der spätere »Alte« Siegfried Lowitz oder Klausjürgen »Professor Brinkmann« Wussow.

Mit dabei auch Eddi Arent, der sich nicht nur als Insektenforscher durch Karl Mays Wilden Westen, sondern als Vertragsschauspieler auch als Butler oder Polizeifotograf durch diverse Wallace-Streifen klamaukte.

Und die Frauen: Waren sie jung und ansehnlich, so bekleideten sie zumeist die Rolle einer verschreckten, potenziell bedrohten Erbin; waren sie älteren Semesters, traten sie vornehmlich als mysteriöse, wortkarge und/oder sarkastische Baroness auf.

Große Mimen, großes Spiel?

An dieser Stelle alle bekannten Schauspieler aufzuzählen, die in den zwischen 1959 und 1972 entstandenen 38 Wallace-Filmen mitwirkten (ab 1966 in Farbe), ist unmöglich; stellvertretend erwähnt seien aber Wolfgang Völz, Christopher Lee, Edith Hanke, Karin Dor und Hans Clarin (als wunderbarer Psychopath in ›Das indische Tuch‹, 1963).

An den Fingern einer einzigen Hand vermag man die nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Deutschen abzuzählen, die niemals in den Genuss eines Wallace-Streifens gekommen sind.

Und schließt man die äußeren Augen, so steigt vor dem inneren Auge ein Schloss im Nebel empor, hört man das obligatorische Rufen eines Käuzchens, meint man den ›Schwarzen Abt‹ oder den ›Frosch mit der Maske‹ vor sich zu sehen. Die Wallace-Filme, wenn auch als Krimiverfilmung deklariert, waren jedoch nicht nur auf Spannung ausgelegt, nahmen sich selbst nie wirklich ernst.

Vielmehr kamen sie mit einem Augenzwinkern und zwischen Blödelei und unwahrscheinlich trocken dargebotener Moral changierendem Humor daher – was dem Publikum zwar gefiel, die Kritik jedoch regelmäßig zu Äußerungen verführte wie: »Der Rächer gruselt nicht mehr als das Pappdeckelgespenst in der Geisterbahn, und kriminalöse Spannung wird von jedem Halbstarken, der mit dem Moped um die Ecke fährt, besser dargestellt.«

Ein allseits bekannter Unbekannter

Seine Bücher wurden in millionenschweren Auflagen unter das über den ganzen Erdball verstreute Volk gebracht, die Filme nach seinen Vorlagen wurden Evergreens, die noch heute das Fernsehprogramm bereichern. Wie wenig man jedoch über den Menschen hinter diesen Werken weiß, beweist das bei Random House erschienene Hörbuch ›Edgar Wallace: Die Romanfabrik‹.

Drei Sprecher von kaum zu überbietendem Kaliber haben sich dieser Produktion angenommen: Ingrid van Bergen (die seinerzeit in ›Der Rächer‹ und ›Das Geheimnis der gelben Narzissen‹ zu sehen war), Bastian Pastewka (der seit seiner Mittäterschaft bei der in zwei Teilen erschienenen Wallace-Homage ›Der Wixxer‹ in Talkshows zum Thema befragt und beinahe ehrfürchtig als Wallace-Sachverständiger erster Klasse gehandelt wird) und Helmut Krauss (der als Synchronsprecher bereits zahlreichen Hollywoodstars seine Stimme lieh, u.a. Marlon Brando, Samuel L. Jackson und Jean Reno, und der den in den 1970er und 80er-Jahren Geborenen als Erzähler der deutschen Fassung der japanischen Zeichentrickserie ›Captain Future‹ vertraut ist).

Gemeinsam entführen sie den Hörer in ein vom Wort geprägtes Leben, wie es interessanter kaum sein könnte. Dabei herrscht strikte Arbeitsteilung: Ingrid van Bergen übernimmt die Rolle der Erzählerin, die den Hörer chronologisch durch das Leben von Edgar Wallace führt – von seiner Geburt im Jahre 1875 als unehelicher Sohn eines Schauspielerpaares über die Zeit als Zeitungsjunge und Hilfskraft in einer Gummifabrik, über die Zeiten als nach Afrika abgeordneter Sanitäter, über seine Beschäftigung als Kriegsberichterstatter der ›Daily Mail‹ im Burenkrieg, über seine Tätigkeiten bei unterschiedlichen Zeitungen bis hin zum Erfolgsschriftsteller, der neben Romanen auch zahlreiche Kurzgeschichten, Gedichte, Theaterstücke und Drehbücher verfasste, bis er im Alter von 57 Jahren auf einer Amerika-Reise an den Folgen einer doppelseitigen Lungenentzündung starb.

Helmut Krauss wirft Briefen und anderen Aufzeichnungen entnommene Zitate ein, brilliert aber besonders durch längere Auszüge aus den Romanen ›Der schwarze Abt‹ und ›Der Safe mit dem Rätselschloss‹, die er mit gruselhörspielerprobter Stimme zum Besten gibt. Bastian Pastewka kommt es schließlich zu, mit den Worten des Schriftstellers selbst zu sprechen. Überzeugend dabei die Bandbreite der Gefühle, die er zu vermitteln vermag. Wunderbar, wie Pastewka mit seiner Stimme eben jene Charaktereigenschaft herausarbeitet, die sowohl für die Höhenflüge, in ständigem Wechsel aber auch für die Niederschläge des Autors verantwortlich zeichnete: sein maßloses Selbstbewusstsein, mit dem er später auch seine Verleger zur Verzweiflung bringen sollte.

›Edgar Wallace: Die Romanfabrik‹ ist ein Live-Mitschnitt von der lit.COLOGNE 2007 und präsentiert amüsante Sekundärliteratur für die Ohren, aufmerksam und detailreich produziert – und durch die Stimmen ein Genuss!

| STEFAN HEUER

Titelangaben
Edgar Wallace: Die Romanfabrik
Random House Audio
Laufzeit 130 Min

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