Vom Vorarlberg nach Naumburg

Roman | Robert Schneider: Die Offenbarung

Nach surrealistischen Fabelwesen und historischen Figuren widmet sich der 46-jährige österreichische Erfolgsautor Robert Schneider in seinem neuen Roman einem zeitgenössischen Protagonisten. Von PETER MOHR

Offenbarung - 9783746624815Jener Jakob Kemper empfindet sein Leben als eine »einzige Kränkung«. Der Mittvierziger hat – inspiriert von seinen musikalischen Vorbildern Arnold Schönberg und Paul Dessau (welch skurrile Mischung!) – eine »Sinfonie der Arbeitermütter« geschrieben, die mehr oder weniger höflich abgelehnt wurde. Sein Versuch, als Dirigent Fuß zu fassen, erwies sich ebenfalls als Reinfall. Als Organist in der Naumburger Gemeinde St. Wenzel und als Hobbyforscher hat er sich dennoch eine Nische an der Peripherie der großen Musikwelt einrichten können.

»Mich haben Außenseiter immer beschäftigt, und damit meine ich das innere Außenseitertum. Menschen, die sich wesensmäßig als nicht kompatibel zur Gesellschaft verhalten oder verhalten haben«, erklärte Robert Schneider jüngst in einem Interview. Seine Hauptfigur Kemper ist ein Musterbeispiel für diese Spezies. Ein lebensuntüchtiger, zur Selbstüberschätzung neigender, stark introvertierter Eigenbrötler, dem alles im Leben daneben geht. Sein Vater – ein Ex-Nazi – spannte ihm die Jugendliebe aus und präsentierte ihm einen 35 Jahre jüngeren Halbbruder. Niederlagen – egal welcher Couleur – gehören für Kemper zur Tagesordnung.

Robert Schneider, der 1992 mit seinem Erstling ›Schlafes Bruder‹ einen sensationellen (und auch kommerziellen) Erfolg landete und in seinen Folgewerken eine unausgegorene Mischung aus Pathos und Kitsch präsentierte, hat ganz offensichtlich die Formulierungsbremse gezogen und sich in seinem neuen Roman auf die elementaren Strukturen einer gut gebauten Geschichte beschränkt.

Der Außenseiter Kemper ist ihm offensichtlich ans Herz gewachsen. Schneider, der selbst in seiner 80-Seelen-Heimatgemeinde im Vorarlberg häufig in der Kirche an der Orgel sitzt, gibt die Marotten und Spleens seiner Figur nie der Lächerlichkeit preis und gönnt ihr am Ende sogar einen Erfolg. Am Weihnachtsfest 1992 entdeckt Kemper in der Orgel der Naumburger Kirche eine Originalhandschrift Bachs.

Dieser Fund am »Fest der Besinnung« wirkt für Kemper wie ein »Erweckungserlebnis«. Einen renommierten Bach-Forscher konfrontiert er – mit deutlich gewachsenem Selbstbewusstsein – mit den Vorwürfen, dass er »historisch fragwürdig, selbstverliebt und schwülstig« arbeite. Nicht nur Kemper hat sich verändert, auch sein Schöpfer Robert Schneider, der hier mit einer gehörigen Portion Selbstironie all jene Vorbehalte paraphrasiert, die gegen seine jüngsten Romane geäußert worden waren.

Ein neuer Anfang für den Autor, der in einem Interview auch einige grassierende Legenden um seine Person aus der Welt schaffte: »Ich habe gut verdient, keine Frage. Aber der Palast, in dem ich angeblich wohne, ist das renovierte Bauernhaus meiner Eltern, und die Luxuslimousine ist ein alter Audi A3.«

So wie seine Hauptfigur Jakob Kemper hat auch Robert Schneider offensichtlich über kleine Umwege zu sich selbst zurückgefunden – zum unprätentiösen, spannenden Geschichtenerzählen.

| PETER MOHR

Titelangaben
Robert Schneider: Die Offenbarung
Berlin: Aufbau Verlag 2007
285 Seiten, 19,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zauberhafter Märchenspuk

Nächster Artikel

Ein Totentänzchen geschafft

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Bluttaten im Burgtheater

Krimi | Koytek & Stein: Wien kann sehr kalt sein ›Wien kann sehr kalt sein‹ ist der vierte Fall für den ehemaligen Polizisten Conrad Orsini, den die beiden Autoren Lizl Stein und Georg Koytek – sie von Hause aus Musikerin und Komponistin, er 16 Jahre als Tontechniker am Wiener Burgtheater beschäftigt – erfunden haben. Diesmal geht es für den risikofreudigen Mann »undercover« auf Österreichs Vorzeigebühne. Orsinis Ex-Kollegin Paula Kisch von der Wiener Kripo hält ihm bei diesem gefährlichen Job wie immer den Rücken frei. Und schon bald ist klar: In dem berühmten Musentempel gibt es kaum jemand, der nicht von

Der Dandy und die Bücherdiebe

Roman | Ross Thomas: Keine weiteren Fragen

Ein wertvolles Buch ist aus der Washingtoner Kongressbibliothek verschwunden: Plinius' Historia naturalis. Und mit dem Folianten zusammen der beste Detektiv der Westküste, Jack Marsh. Er sollte die Leihgabe zu ihrer Besitzerin zurückbringen, was offenbar schiefging. Nun melden sich die Diebe, um über den teuren Rückkauf ihrer Beute zu verhandeln. Und da kommt ein Mann ins Spiel, der spezialisiert auf »Vermittlungen« der besonderen Art ist: Philip St. Ives, Ross Thomas' notorisch in Geldnöten sich befindender Lebemann mit einer Leidenschaft fürs Pokern und dem Ruf, sich von niemandem linken zu lassen. Allein diesmal laufen die Dinge nicht so einfach wie gedacht. Von DIETMAR JACOBSEN

Der Traum von einer besseren Welt

Krimi | Arne Dahl: Neid Nach Gier (Piper 2012) und Zorn (Piper 2013) kann man nun mit Neid den dritten Teil von Arne Dahls Serie um die OPCOP-Gruppe auf Deutsch lesen. Erzählt wird, wie um eine Erfindung, die die Welt revolutionieren könnte, ein blutiger Krieg entbrennt. Und trotz aller Zukunftsmusik, die in dem rasant zu lesenden Roman erklingt, bleibt Dahl erfreulicherweise mit beiden Füßen auf der Erde und plädiert für ein Europa, dass sich seiner weltweiten Verantwortung bewusst werden sollte. Von DIETMAR JACOBSEN

Flucht in den Norden

Roman | Jeanine Cummins: American Dirt

Jeanine Cummins' Roman American Dirt hat in den USA eine Menge Staub aufgewirbelt. Und das bereits, bevor er überhaupt erschienen war. Das Migrantendrama um eine mexikanische Mutter und ihren achtjährigen Sohns, die vor den Killern eines Drogenkartells in die USA fliehen, musste sich den von einer breiten Front von Künstlern und Intellektuellen mit lateinamerikanischem Background getragenen Vorwurf gefallen lassen, hier eigne sich jemand künstlerisch das Leid von Menschen an, mit denen er selbst als weiße Amerikanerin nichts zu tun habe. Vermarktungsungeschicklichkeiten taten ein Übriges, um die Stimmung in Medien und Netz anzuheizen. Nun ist das Buch auch auf Deutsch erschienen. Und präsentiert sich als solider Pageturner, der freilich nicht ganz klischeefrei ist und – was die deutsche Übersetzung betrifft – auch sprachlich zu wünschen lässt. Von DIETMAR JACOBSEN

Für Zuckerwatte und hungernde Kinder

Roman | Ross Thomas: Der Messingdeal Und weiter geht es mit der Ross-Thomas-Reihe im Berliner Alexander Verlag. Band 14 heißt Der Messingdeal und ist im Original 1969 unter dem Titel The Brass Go-Between erschienen. Zum ersten Mal taucht hier bei Thomas der weltläufig-gebildete »Mittelsmann« Philip St. Ives als handelnde Figur auf. Sein Erfinder hat ihm bis 1976 dann noch vier weitere Abenteuer gegönnt. Alle fünf St. Ives-Fälle erschienen übrigens zunächst unter dem Pseudonym Oliver Bleek – vielleicht um den Eindruck zu vermeiden, hier schriebe einer seine Bücher inzwischen gar zu routiniert herunter. Von einem Qualitätsabfall gegenüber dem Rest des Werks