Ungewaschene Götter auf dem Nerd-Olymp

Digitales | Games: Die Most Epic Game Moments der TITEL-Schreiber

Digitale Spiele schenken ihren Spielern Geschichten über heroische Momente, Epiphanien und Triumphe über sich und andere. Heute teilen die Autoren des Digitale-Spiele-Ressorts in ›TITEL‹ ihre »Most Epic Gaming Moments« mit uns. Zusammengestellt von PETER KLEMENT

Rudolf Indersts Epic List

  1. Für 89,99 DM kaufte ich gegen Ende des Lebenszyklus meines Sega Master Systems ein ›Pro Action Replay‹ der Firma Datel. Im Nachhinein komme ich nicht umhin zu bilanzieren, dass diese 45 Euro wohl – was digitale Spiele betrifft – die am besten investierten 45 Euro meines Lebens waren. All die Spiele, die sich im Regal unvollendet aufgrund ihres zu hohen Schwierigkeitsgrades stapelten, sollten nun ihren Meister finden! Die mitgelieferten Codes (die Sammlung der Zahlen- und Buchstabenreihen konnten regelmäßig durch die Tipps- und Trickssektionen diverser deutscher Spielemagazine ergänzt werden) konnte ich für die meisten meiner Spiele benutzen: Mehr Leben oder Lebensenergie, Levelsprung und Ausrüstungsgegenstände – plötzlich war das alles kein Problem mehr. Wenn übrigens einmal kein Code zu finden war, ging das Meta-Gaming los. Codes für ein Spiel herausfinden, war Experiment pur und nicht selten steckte man – ganz angefixt – derart viel Energie in seine Suche, dass man eigentlich diese gleich in das reguläre Stück Software hätte stecken können. Seit der Einführung von PS3 und Xbox 360 sind diese Zeiten allerdings sowieso vorbei. Und tatsächlich gibt es nicht wenige Betonköpfe unter den Spielern da draußen, die diese Entwicklung auch noch begrüßen. Shame on you!
  2. Zwar könnte ich an dieser Stelle viel über den Kauf meines Stealth- /Mod-Chips für die Playstation sprechen, mache ich aber nicht. Epic wurde es danach aber ausdrücklichst. Nicht nur einmal.
  3. Die Most Epic Gaming Moments sind bei mir stets mit sehr vorgerückter Stunde verbunden – viele der erinnerungswürdigen Momente meines Spielerlebens liegen zwischen 2 und 5 Uhr früh: So lösten wir im Freundeskreis innerhalb dieses Zeitraumes Titel wie ›Phantasy Star‹, ›Shining Force II‹, ›Starflight‹, ›Metal Gear Solid‹, ›Resident Evil 2‹, ›Halo‹, ›Mass Effect‹ etc., etc.
  4. Damit verbunden ist auch die Erfahrung, dass die »Most Epic Gaming Moments« in meinem Fall so gut wie immer kooperative Erlebnisse waren. Nicht umsonst heißt es oftmals, Erfahrungen sind nicht mitteilbar – wie sehr trifft das auf digitale Spiele zu! Ein High Five, die Ghettofaust, das in die Arme Fallen und das Geschrei über das Headset – was kann es damit schon aufnehmen?

Jan Fischer and the Epic Fish

Monkey IslandDer Augenblick, in dem ich endlich herausfand, dass der Troll an der Brücke in ›Monkey Island 1‹ den roten Fisch haben will, damit er Guybrush passieren lässt. Bis dahin war ich – wenn ich in Spielen gescheitert bin – immer am Spiel gescheitert: Da war ein Sprung zu schwierig, da waren zu viele Gegner, solche Dinge. Bis dahin war mir immer klar gewesen, was zu tun war, um das Spiel zu besiegen, und ob ich es konnte oder nicht, lag allein daran, wie viel Zeit ich mit dem Spiel verbrachte. Wäre ich bei ›Monkey Island‹ an der Stelle mit dem Troll gescheitert, wäre ich an mir selbst gescheitert, an meiner eigenen Unfähigkeit, um die Ecke zu denken. Deshalb ist es der »Most Epic Game Moment«: Weil ich nicht an mir selbst gescheitert bin.

Dennis Kogels Epic Choice

»Terminieren Sie den Gefangenen, Agent!« ›Deus Ex‹ war für mich eine Überraschung. Ohne viel vorher vom Plot zu wissen, überrollte mich die klischeebeladene Verschwörungssammlung. Ich erinnere an völlig entgeisterte (von GameFAQs und endlosen Blog-Besprechungen ungespoilerte) Gespräche mit Freunden: »UNATCO verrät uns nicht die ganze Wahrheit! Was ist MJ12!?«

Deus ExWas mich aber am meisten beeindruckt hat, war ein früher Moment in Warren Spectors Klassiker: SpielerInnen wird befohlen, einen Verdächtigen zu exekutieren. Nur, dem Befehl konnte sich gewaltsam widersetzt werden. Wo andere Shooter meist zum Game Over schalten, wenn nicht gemacht wird, was das Spiel fordert, hat ›Deus Ex‹ mitgespielt. Das Spiel ging trotz Friendly Fire, trotz der Rebellion gegen Linearität und der Stimme im Ohr einfach weiter. Obwohl die Befehlsverweigerung in ›Deus Ex‹ Teil des Spiels war, hat die Reaktion der Spielwelt auf die nicht explizit ausgewiesenen Aktionen der SpielerInnen eine unglaublich lebendige, reale Welt vorgegaukelt. Einen Höhepunkt des Immersive Sim.

Christof Zurschmittens Epic Epiphany

Stolz gebe ich zu Protokoll: Ich habe Englisch gelernt von japanischen Computerspielen – und mein unerbittlichster Lehrmeister war ›Zelda II: The Adventure of Link‹. Was dem gestrengen Blick der Historie als schwarzes Schaf der Serie gilt, war für uns ein Augenöffner: Nicht nur, dass wir mit ihm unsere ersten Schritte in die Welt von Hyrule setzten (das Original-Zelda entdeckten wir dank der in den Bergen üblichen Raum-Zeit-Verschiebung erst später). ›Zelda II‹ war für uns schlechterdings die erste Erfahrung einer begehbaren digitalen Welt, die sich endlos anfühlte. Der Plural ist entscheidend: In der von Dennis beschworenen Prä-GamesFAQ-Ära, als obskure Spielerführung, willkürliches Puzzle-Design und Nintendo-Härte die Welten heimsuchten, war das Kollektiv überlebensnotwendig – in unserem Fall eine Gruppe grob gleichaltriger proto-männlicher Dörfler, die durch nichts als ihre Liebe zu Games zusammengeschweißt wurde, Spiele hin- und herlieh und sich auf dem Pausenplatz austauschte über Entdeckungen in den raren Games, die den Weg in mehr als eines unserer Kinderzimmer gefunden hatten.

Zelda 2›Zelda II‹ war nicht nur aufgrund seiner weiten Verbreitung ein Ausnahmefall: Es war auch neuartig für uns, weil hier »Entdeckungen« das Spielerlebnis nicht nur bereicherten, sondern es bestimmten. In einem Testament retrospektiv fragwürdig wirkenden Game-Designs konnten und mussten die meisten Rätsel in ›Zelda II‹ durch blindes Herumstolpern gelöst werden. Doch eines widersetzte sich unserer logikverachtenden Hartnäckigkeit: Jener vermaledeite sechste Palast, der sich selbst bei wochenlangem Herumwandern nicht auffinden ließ. Schließlich war es der in gebrochenem Englisch vorgetragene Orakelspruch eines digitalen Dorfbewohners, kombiniert mit dem im zerfledderten Wörterbuch blätternden Finger eines realen, der uns den Weg wies: Im Zentrum der auffälligen Felsformation, die wir bereits zigfach umkreist hatten, sollten wir »um Hilfe rufen« – flugs wurde die verlangte Position eingenommen, per Knopfdruck die längst im Inventar befindliche Flöte aktiviert, und siehe! Der verlorene Palast erhob sich aus dem Wüstensand, und mit ihm ein Dutzend frohlockender Kinderstimmen, mitten unter ihnen ich, als eigentlicher Entdecker dieses Wunders, beherrscht von einem Gefühl, von dem ich später lernen sollte, dass man es »episch« nennt.

Peter Justs Epic Transformation

Der taktische Ablauf war altbekannt: Scramble – Underhook – den Gegner in die Guard pullen – Full Guard – Posture up – Arm Triangle Choke – Tap – der Konkurrent gibt auf.

ufc_undisputed 2010Eine Sequenz, die mir bisher in der ›UFC Undisputed‹ Reihe mehrfach eine schallende Niederlage einbrachte, führte im realen Brazilian Jiu Jitsu Training zum ersten Erfolg im freien Rollen. Häufige Frustmomente im Mixed Martial Arts Titel, sobald sich der Kampf auf den Boden verlagerte, sorgten bei mir für ein stetig wachsendes Interesse an BJJ. Die virtuelle Fortbildung über Videos und schwammige in-game Tutorials brachte immerhin ein rudimentäres Verständnis dieses Kampfsports und schürten schnell das Verlangen, das Erlernte auch abseits der XBox auszuprobieren. Als sich auf der Matte dann die ersten Taps zur Aufgabe des Trainingspartners einstellten, war der Sprung weg vom Pad vollzogen. Schnell stellte sich heraus, dass der virtuelle Schwarzgurt sicherlich mit weitaus weniger Schweiß und Blutergüssen verbunden wäre, doch die schrittweise Übertragung des mühsam Erlernten vom digitalen Spiel in die reale Welt stellte für mich wahrlich einen »Epic Gaming Moment« dar.

Peter Klements Epic Journey

Es war das Jahr 2000, irgendwie hatten wir, eine lose Ansammlung pickeliger Pubertierender, es mitbekommen, dass es eine deutsche ›Counter-Strike‹-Meisterschaft geben sollte. Das Besondere: Die Vorausscheidungen fanden in lokalen Internetcafés statt, eines davon war ein Laden namens »Game Over« – der mich eine nicht unbeträchtliche Menge meines Taschengeldes gekostet hat. Wir waren alle mies in Sport, verbrachten zu viel Zeit damit, Headshots zu verteilen und zu wenig damit in – damals analogen – sozialen Netzwerken rumzuhängen. Doch im Café waren die Nicknames Smurf, Fallout und Azmodan gefürchtet.

Nervös, wie es nur Schuljungen sein konnten, meldeten wir uns in der Spielhölle unseres Vertrauens an, um gegen andere Clans aus Baden-Württemberg anzutreten. Überraschenderweise bekamen all diese Clans, trotz spielerischer Qualitäten, gewaltig aufs Maul und wir qualifizierten uns für das Finale in Berlin. Schon für sich genommen ein Epic Win.

CounterstrikeBerlin hätte für uns Jungs aus einem beschaulichen Örtchen namens Schwäbisch Gmünd genauso gut auf dem Mond sein können. Monitore waren damals gewaltige Ungetüme, keiner von uns nannte einen Führerschein sein Eigen, geschweige denn einen fahrbaren Untersatz. Wir bettelten den Besitzer des »Game Over« so lange an, bis er einwilligte, uns nach Berlin zu karren. Den fahrbaren Untersatz, einen VW-Bus, überließ uns mein Onkel – Kudos an dieser Stelle. Der randvolle Bus rollte mit bahnbrechenden 80 km/h nach Berlin und erreichte knapp vor der drohenden verspätungsbedingten Disqualifikation die LAN-Party.

In einem alten Theater in Berlin schlugen wir uns vierunddreißig Stunden lang nervenzerfetzende Matches und Rematches um die Ohren. Wir ernährten uns von Cola und Pizza und verbrachten die wenigen Stunden Schlaf in muffigen Räumen mit geschätzten fünfzig anderen, ungewaschenen Turnierteilnehmern. Wir kämpften uns in ungeheuerlich knappen Runden auf maps wie de_dust, cs_milita und de_prodigy wieder aus dem Loser-Bracket hoch und schafften es tatsächlich auf der ersten deutschen Counter-Strike-Meisterschaft den vierten Platz zu machen. Jeder von uns trug ein Shirt, eine Urkunde und eine sündhaft teure Geforce 2 mit nach Hause. Die vier Jungs aus Schwaben, pickelig und mit Kratern unter den Augen. Für einen Augenblick waren wir – wenn auch ungewaschene – Götter auf dem Nerd-Olymp. Das Netz hat es inzwischen vergessen. Was bleibt, ist dieses Bild.

| JAN FISCHER
| RUDOLF INDERST
| PETER JUST
| PETER KLEMENT
| DENNIS KOGEL
| CHRISTOF ZURSCHMITTEN

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