In Schweizer Hinterzimmern

Musik | Toms Plattencheck

Unter anderem von schwäbischen Folkies, belgischen Amateuren und düsteren Verlockungen aus dem Schweizer Hinterzimmer berichtet TOM ASAM

Die Begeisterung für poppige Americana/Folk hält seit Jahren international an. Klar, dass entsprechende Bands auch in unseren Breitengraden vermehrt aus dem Boden schießen. Im Falle von Yasmine Tourist könnte man frei nach Truck Stop attestieren: Der Wilde Westen fängt gleich hinter Stuttgart an. Gesang und Akustikgitarre harmonieren wunderbar mit sehnsüchtiger Pedal Steel. Aber keine Angst: Es geht nicht um Hank Snow und Charley Pride. Der Titel He lays in the reigns legt vielmehr die Verneigung vor Calexico und Iron and Wine offen, auch Wilco gehören sicher zu den großen Vorbildern der jungen Schwaben. Diese Vorliebe teilen sie mit den Berlinern von Brokof, die Ende letzten Jahres ein sehr gelungenes Album vorlegten – und deren Fabian Brokof zusammen mit Arne Bergner auch Yasmine Toursits Debüt aufgenommen hat. Dieses ist durchweg gelungen, künftig wünscht man sich allenfalls einen Deut mehr Mut zur Eigenständigkeit. Vielleicht würde ein bisschen mehr Wüstendreck zwischendrin nicht schaden, gerade da die zitierten »Großen« doch tendenziell auch eher poppig-gefälliger werden. Aber das ist Geschmackssache, sicher geht die Tendenz bei den Touristen ganz bewusst eher Richtung Dire Straits denn Richtung Stoner Rock. Fair enough.

Ein Sprung zu unseren belgischen Nachbarn. Dort sorgte eine Band mit dem seltsamen Namen Amatorski (Polnisch für »Amateur«) bereits für ordentlich Wirbel – was den Musikern nun einen Deal beim renommierten und vor allem im World Music Segment hoch geschätzten Label Crammed Disc einbrachte. Bei TBC (tja, auch der Albumtitel …) handelt es sich um eine Kopplung der in Eigenproduktion entstandenen und selbst vertriebenen EP Same Stars we share und dem ersten Album. Amatorski erweisen sich als Meister atmosphärischer Stimmungen. Hinweise auf Shoegaze/Dream Pop Klassiker der Marke Cocteau Twins kann man ebenso raushören wie die atmosphärische Weite, die so mancher Act aus Nordeuropa zu verbreiten mag. Sowohl von der Stimmung als auch von der Art, elektronische Elemente eher karg aber umso effektiver einzusetzen, kommen mir auch die Kanadier von Stars wiederholt in den Sinn – deren aktuelles Album The North übrigens alle Erwartungen locker übertrifft. Nachdem diese talentierten Amateure schon sämtliche heimischen Musikpreise abgeräumt zu haben scheinen und auch schon in einem Mineralwasser-Spot vermarktet sind, könnte es gut sein, dass dieser Name auch bei uns bald öfter genannt wird.

Wenn ich das Cover von In the light der Band Shana Falana betrachte, kommen mir am ehesten die 80er Jahre und testosteron-schwangere Metal-Bürschchen in den Sinn. Doch heutzutage machen Frauen solche Artwork. Und mit Metal haben Shana Falana auch nichts am Hut. Bei den New Yorkern sind wir nun wirklich mal wieder voll drin im End-80er Shoegazing, das seit Jahren eine nischige Retro-Konstante darstellt. Auf die ganz große Distortion-Gitarrenwand wird hier zwar verzichtet, das ätherisch-träumerische Ende des Genres wird aber auch nicht voll bedient, da die psychedelisch daherkommenden Tracks über genug (Bass-)Power und experimentellen Charme verfügen. Klingt ein bisschen als wäre Grace Slick bei Slowdive gelandet. Live soll dabei viel mit Loops und vorproduzierten backing tracks gearbeitet werden und dafür vermehrt visuelle Projektionen in den Vordergrund der Show rücken. Aber auch akustisch ist das eine sehr feine Sache. Bei In the light handelt es sich um eine 6-Track EP, die wohl als Köder für »Investoren« dient. In Europa nur digital (dafür mit 2 Extra-Tracks!) erhältlich.

Die »es waren nur Konsonanten in der Buchstabensuppe«-Band-Schwemme hält an. PRSZR steht für »Pressure«, wobei sich der musikalische Druck hier folgendermaßen zusammensetzt: PRSZR=Pure + Hati, wobei Hati= X-NAVI:ET + Tonopolis. Alles klar soweit? Also: Der Österreicher Peter Votova aka Pure beschäftigt sich seit den 90er Jahren überwiegend mit der Komposition und Umsetzung experimenteller elektronischer Musik, wobei er sich selbst zusammengeschraubter Software bedient. Hati besteht aus den polnischen Musikern Rafal Iwanski (solo als X-NAVI:ET unterwegs) und Rafal Kolacki aka Tonoplis. HATI nutzen Gongs und Percussion, handgemachte Instrumente und gefundene Objekte um improvisierte Klangwelten mit rituellem wie meditativem Charakter zu kreieren. Als PRSZR führen uns die Klangkünstler gemeinsam auf einen hypnotischen Trip mit der befreienden Kraft der sonischen Katharsis. Cpt. PRSZR schippert mit dem Außenborder-Kutter Richtung Sonnenuntergang, an Bord scheppert ein besoffenes Gamelanorchester; die Seeungeheuer recken ihre Köpfe aus den Gewässern der modrigen Lagune. Und wir verharren im schilfigen Ufergürtel, wo seltsam große Glühwürmchen zu surren beginnen, während sich die Wolken violett färben. Das sollte man sich unbedingt gönnen. PRSZR erscheint auf dem großartigen Schweizer Label Hinterzimmer, bei dem dieser Tage ein weiteres beachtenswertes Debüt für Gesprächsstoff sorgt: Ghost Time ist die spannende Verbindung des namhaften Percussionisten und Industrial-Maniacs Z´EV, des schottischen Sängers und Drummers Ken Hyder und des englischen Trompetenmeisters Andy Knight. Auch hier gilt: ein wahrhaftiger Trip für Wesen mit offenen Ohren und Lust am Entdecken!

Besonders im angloamerikanischen Raum haben sich die Italiener von Father Murphy bereits ordentlich Supporter und Verehrer erspielt. Ihre 2012er-Veröffentlichung Anyway your children will deny it ist eine düstere, experimentelle Umsetzung der Themen Tod, Leben. Liebe – und nochmal Tod. Theatralisch und desolat, ein mittelalterliches Ritual in industrieller Umgebung. Nun erscheinen verteilt auf eine 7“ (Philppe Petit und Indian Jewelry) sowie eine 12“ (u.a Black Dice, Zulus, Happy New Year) heretical viewsgenannte Remixarbeiten verdienter Experimental-Künstler. Psychedelic Avant-Noise der spannenden Art. Father Murphy ist übrigens auch viel on the road (in der Vergangenheit u.a. mit Xiu, Xiu, Deerhof oder Sic Alps) – watch out!

Titelangaben
Yasmine Tourist: Yasmine Tourist – Goldrausch Records / Rough Trade
Amatorski: TBC – Crammed Disc / Indigo
Shana Falana: In the light – Eigenveröffentlichung
PRSZR: Equilirium / Ghost Time – beide: Hinterzimmer Rec.
Father Murphy: Anyway, your children will deny it (Remix series) – Aagoo Records

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Nachdenken über Karl H.

Nächster Artikel

Die Verantwortung des Historikers

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Wie es sich gehört!

Musik | Stop Inside: Never Come Back Stop Inside – das sind die Würzburger Newcomer Alice, Fabi, Marci, Hansi und Maxi in typischer Rock-Besetzung: Frontfrau, zwei E-Gitarren, Bass und Schlagzeug. Sie haben bereits im Umkreis eine Vielzahl von Gigs abgeliefert und auch schon bei dem einen oder anderen Contest abgeräumt. Von MARC HOINKIS

How To Survive Christmas: New Album Reviews.

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Every year the month of December sees many of us struggle to survive the gift-buying frenzy and glut of ‚hearty‘ parties thrown our way. That’s why it can be important to take a break every once in a while and treat the most important person in your life: you. And, what better way to do this than by checking out some of the stunning new music sitting fresh and eager on the nation’s record stores‘ shelves? By JOHN BITTLES

Dylan: Folksongs, Rockmusik, Literatur- nobelpreis

Musik | Folkdays aren’t over… Bob Dylan – Früher Protestsongs und Folkbewegung, heute Literaturnobelpreis (Fallen Angels / Shadows In The Night) Wie lange währt Bob Dylan’s Never Ending Tour schon? Jedenfalls erhält er nun den Literaturnobelpreis. Der Singer-Songwriter, der auch Schriftsteller und Schauspieler ist, seine Werke als Maler und Filmemacher zeigt und als Radio-DJ Songs vorstellt. Seine realistischen und fantastischen Geschichten und Sichtweisen bekommen seit Jahren eine etablierte Auszeichnung nach der anderen. Von TINA KAROLINA STAUNER

We Want Neither Clean Hands Nor Beautiful Souls: New Single Reviews

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world The life blood of DJs everywhere, my love of the humble 12-Inch began in the 80s, with extended versions of the hits of the day. From Madonna to Duran Duran via Frankie Goes To Hollywood and Luther Vandross (seriously, the extended version of Criticize is dance floor gold), my teenage years were spent tracking down overly long mixes of well known songs. In 2018 it can seem easier to purchase a mail order bride with a bad attitude than a slice of wax, but creatively at least,