Katholische Putzfrau gesucht

Gesellschaft | Eva Müller: Gott hat hohe Nebenkosten. Wer wirklich für die Kirchen zahlt

Zu den bekanntesten landläufigen Irrtümern gehört die Auffassung, dass in Deutschland Kirche und Staat getrennt sind. Dem ist nicht so, leider oder Gott sei Dank, je nach persönlicher Einstellung. In welche Sackgassen das führen kann, vor allem wenn – wie bei uns – nur noch weniger als zwei Drittel der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehören, davon zeugt die Alltagsgeschichte, die Eva Müller in Gott hat hohe Nebenkosten zu erzählen hat. Von PETER BLASTENBREI
Gott hat hohe Nebenkosten
In den Augen ihres Arbeitgebers hat die Kindergärtnerin Bernadette Knecht aus Rauschendorf bei Bonn zwei Fehler gemacht. Sie zog zu Hause aus, weil ihre Ehe in die Brüche gegangen war. Und sie verliebte sich in einen anderen Mann, zu dem sie zog, weil die beiden heiraten wollen. Was geht das den Arbeitgeber an? Eigentlich überhaupt nichts. Wohl aber bei Frau Knecht, denn ihr Arbeitgeber ist die katholische Kirche in Gestalt des Erzbistums Köln. Der Fall ging 2011-2012 durch die Medien, denn die Eltern der Kindergartenkinder wehrten sich gegen die Entscheidung der Kirche, der beliebten und engagierten Erzieherin zu kündigen.

Eva Müller verfolgt den Fall Knecht von Kapitel zu Kapitel bis zu seinem vorerst positiven Abschluss. Der Kindergarten in Rauschendorf hat auf Druck der Eltern einen neuen (protestantischen) Träger bekommen und Frau Knecht arbeitet weiter. Die Autorin, freie Journalistin in Köln, führt Leser und Leserinnen anhand der Etappen des Falles Schritt für Schritt in die bizarre Welt des kirchlichen Arbeitsrechts ein. Das ist weit entfernt vom Erbsenzählen, denn die beiden großen christlichen Kirchen sind mit ihren 1,3 Millionen Beschäftigten nach der öffentlichen Hand die zweitgrößten Arbeitgeberinnen in Deutschland.

Dienstgemeinschaft

Die katholische und die evangelische Kirche betreiben Kindergärten wie in Rauschendorf, Schulen, Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser, Kitas und Hospize. Warum auch nicht. Wäre da nicht der berüchtigte Absatz 2 im § 118 des Betriebsverfassungsgesetzes, der die Kirchen von der Bindung an dieses Gesetz generell freistellt. Die großen Kirchen haben auf dieser Basis ein eigenes Arbeitsrecht entwickelt, das sie selbst gerne den Dritten Weg nennen, ein Arbeitsrecht ohne Gewerkschaften, ohne Streiks und ohne Tarifverhandlungen, wo die Konfession Hauptvoraussetzung für die Einstellung ist und, bei den Katholiken, sogar die private Lebensführung.

Beschäftigung bei einer Kirche gilt nämlich nicht als Arbeitsverhältnis, sondern als »Dienstgemeinschaft«, wo alle bei der Verkündigung mitzuwirken haben, auch Putzfrauen und Küchenhilfen. Das kann problematisch werden, wenn, wie nicht selten im ländlichen Raum, ein kirchliches Monopol im Pflege- oder Ausbildungsbereich besteht. Das wird aber vor allem dann problematisch, wenn man sich klar macht, wieviele dieser kirchlichen Einrichtungen ganz oder teilweise aus Steuermitteln bezahlt werden. In Nordrhein-Westfalen, der Heimat von Frau Knecht, finanzieren die Kirchen heute ihre Einrichtungen nur noch zu 12 Prozent selbst. In Hamburg kommt der Staat sogar komplett für die kirchlichen Kindergärten auf.

Nach Zahlen von Carsten Frerk geben Diakonie und Caritas pro Jahr etwa 45 Milliarden Euro aus, wovon sie tatsächlich aber nur 800 Millionen (1,8 Prozent) aus eigenen Mitteln beisteuern. Nicht eingerechnet sind hier die Kosten für so abenteuerliche Konstruktionen wie die öffentlichen Bekenntnisschulen, von denen es im Rheinland und in Niedersachsen etwa 1300 gibt. Solche Schulen werden von den Gemeinden betrieben und vollständig bezahlt, funktionieren aber wie kirchliche Schulen, schließen also Angehörige der falschen Konfession oder Konfessionslose von der Beschäftigung aus und verpflichten Kinder jeder Konfession zur Teilnahme am einheitlichen Religionsunterricht.

Parallelgesellschaft

Alle diese staatlichen Zuwendungen im Sozial- und Schulbereich beruhen auf dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip (Privatanbieter vor öffentlichem Anbieter). Gemeinden und Länder trösten sich außerdem damit, dass sie so wenigstens ein bisschen sparen können. Bezahlt werden diese Leistungen aber von allen Steuerzahlern, auch denen, die aus gutem Grund keiner Kirche angehören. Doch es geht schließlich nicht nur um Geld. 2002 erklärte die (katholische) Deutsche Bischofskonferenz unwidersprochen, dass trotz des Gleichstellungsgesetzes von 2001 Homosexualität mit einer Beschäftigung bei der Kirche unvereinbar bleibt.

Das Buch kritisiert also nicht nur das kirchliche Arbeitsrecht, sondern stellt auch die unumgängliche Frage nach der Rolle des Staates, der sich solche privilegierte Zonen minderen Rechts leistet. Was geschieht mit konfessionslosen Fachkräften, wenn ein Krankenhaus aus öffentlicher, konfessionsneutraler Trägerschaft in kirchliche Trägerschaft übergeht? Und was, wenn sich – wie jetzt besonders im Bundesland Brandenburg – der Staat massiv aus dem Schulbetrieb zurückzieht und stattdessen christliche Privatschulen subventioniert?

Die Autorin kennt sich in der verzwickten Materie des kirchlichen Arbeitslebens ganz hervorragend aus. Sie schreibt sachlich ohne jede Polemik, eher sogar kühl, mit treffend ausgewählten Beispielen und knapp gehaltenen Interviews. Glaubensinhalte sind tabu. Ihre Methode des Gegenschnitts von objektiven Informationen wie Gesetzestexten und statistischen Zahlen mit den konkreten Ereignissen im Fall Knecht bietet einen ungewöhnlich breiten Ausblick auf diese sonderbaren Blüten unseres Gesundheits- und Erziehungswesens und seine manchmal tragischen menschlichen Folgen.

| PETER BLASTENBREI

Titelangaben
Eva Müller: Gott hat hohe Nebenkosten. Wer wirklich für die Kirchen zahlt
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2013. 190 Seiten. 14,99 Euro

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