Außenansichten und ein Dromedar

Interview | Die brasilianische Autorin Carola Saavedra

Zu ihren literarischen Vorbildern zählen Roberto Bolańo, Jorge Luis Borges, W.G. Seebald und Thomas Bernhard. Die brasilianische Schriftstellerin Carola Saavedra befindet sich daher in guter Gesellschaft. Mit ihrem federleicht geschriebenen Roman Landschaft mit Dromedar stellt sie sich dem deutschen Lesepublikum vor. BETTINA GUTIÈRREZ hat mit ihr gesprochen.

Landschaft mit Dromedar
Zehn Jahre, zwischen 1998 und 2008, hat die brasilianische Schriftstellerin Carola Saavedra in Europa, das heißt in Deutschland, Spanien und Frankreich verbracht, bevor sie nach Brasilien zurückging, wo sie heute lebt. »Portugiesisch ist meine Muttersprache und ich wollte unbedingt nach Brasilien zurückkehren, weil ich dort als Schriftstellerin immer erfolgreicher wurde. Mein Leben hat sich in Brasilien abgespielt und nicht hier, deshalb bin ich dorthin zurückgegangen«, sagt sie, wenn man sie nach den Gründen ihrer Rückkehr fragt.

Trotzdem sei dies eine Zeit gewesen, die sie entscheidend geprägt habe und der sie ihre Laufbahn als Schriftstellerin verdanke: »Wenn ich diese Erfahrung nicht gemacht hätte, wäre ich keine Schriftstellerin geworden. Für mich bedeutet Schreiben, sich von sich selbst zu entfernen, also so zu sein wie ein Ausländer, wie jemand, der nach draußen schaut und die Ereignisse mit einer gewissen Distanz betrachtet. Es ist schwierig, wenn man sich inmitten der Ereignisse befindet, darüber zu schreiben. Außerdem finde ich, dass einem das Schreiben lehrt, sich in jemand anderen hineinzuversetzen und ihn zu verstehen. Das macht man auch, wenn man in einer anderen Kultur lebt. Man versucht nicht, sie zu beurteilen, sondern man versucht, sie zu verstehen.«

Angesichts der Tatsache, dass sie in Chile geboren ist, im frühen Kindesalter mit ihrer Familie nach Brasilien ging und zehn Jahre in Europa gelebt hat, misst sie der Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Sprache und Kultur eine besondere Bedeutung bei, weshalb sie in diesem Zusammenhang davon spricht, dass ihr das Schreiben ein Zuhause und eine Heimat gegeben habe. Betrachtet man diesen biographischen Hintergrund, verwundert es nicht, dass sie das Motiv der Identität und des Fremdseins in ihren Werken literarisch verarbeitet.

Sie nennt es »das Gefühl des Andersseins, der Nicht-Zugehörigkeit und der Einsamkeit«, ein Gefühl, das ihrer Meinung nach bezeichnend für die Rolle des Ausländers sei und sich vor allem in ihren Kurzgeschichten Do lado de fora (»Von außen betrachtet«; 2005) widerspiegele: »Das vordergründige Thema dieser Kurzgeschichten ist die Einsamkeit. Alle meine Protagonisten sind sehr einsam, sie haben große Schwierigkeiten Gefühle zu zeigen und zu fühlen. Sie sind in sich selbst versteinert . Das hängt aber nicht nur mit dem Ausländersein, sondern auch mit unserer heutigen Gesellschaft zusammen. Wir leben in einer Welt, in der wir uns immer mehr isolieren, in der wir immer weniger auf den anderen angewiesen sind«, erläutert sie das Anliegen ihrer Geschichten.

Auch in ihrem ersten Roman Toda terça (»Jeden Dienstag«; 2007) befasst sie sich mit dem Bewusstsein der Fremdheit, indem sie ihre Erfahrungen in Deutschland in den Erlebnissen ihres Protagonisten Javier verdichtet. Es ist ein Roman, in dem drei Protagonisten aus ihrer eigenen Perspektive jeweils drei verschieden Geschichten erzählen. Alle drei Protagonisten zeichnet ihre Unfähigkeit aus, sich auf andere Menschen einzulassen.

Ihr jüngster hierzulande erschienener Roman Landschaft mit Dromedar, der mit dem renommierten Rachel de Queiroz-Preis ausgezeichnet wurde, ist allerdings nicht so einfach auf einen Nenner zu bringen. Hier schildert sie die Dreiecksbeziehung zwischen Érika, Alex und Karen, die durch den Tod Karens beendet wird, und sie lässt ihre Ich-Erzählerin Érika über sich selbst, ihre Kunst und den Ursprung aller Dinge reflektieren, um sie am am Ende sozusagen ins Nichts zu entlassen.

»Das Buch handelt von einem Künstlerpaar, von Érika und Alex, und von Érika als Frau, die über ihre Kunst reflektiert. Es handelt aber auch vom Tod und von der Trauer, da Érika den Tod von Karen verarbeiten muss. Die reflexiven Passagen beziehen sich auf meine beiden Hauptthemen, die Liebe und den Tod. Es gibt einen Moment, in dem Erika sagt, dass sie niemanden liebt und geliebt hat. Das ist das Tragischste, was einem Menschen passieren kann. Aber es ist auch ein optimistisches Buch, weil Érika ihren Weg geht und dieses Nichts, in das sie am Ende geht, ein neuer Anfang für sie sein könnte«, lautet die allgemeingültigere Deutung dieses Läuterungsprozesses ihrer Protagonistin. Wohin sie dieser Prozess führt, bleibt jedoch offen.

Oder, um es mit den Worten Carola Saavedras zu sagen: »Meine Geschichten und Romane sind nie fertig. Es ist der Leser, der die Geschichte mitschreiben, mitdenken und sich seine eigene Version überlegen soll.« Das ist eine Aufforderung, der man nach dieser Lektüre gerne folgt.

| BETTINA GUTIÈRREZ

Titelangaben
Carola Saavedra: Landschaft mit Dromedar
Aus dem Portugiesischen von Maria Hummitzsch
München: Beck Verlag 2013
176 Seiten. 17, 95 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Lebensweisheiten im Twitter-Format

Nächster Artikel

Jenseits des Koordinatensystems

Weitere Artikel der Kategorie »Porträt & Interview«

Der »Les-Schreiber«

Menschen | Navid Kermani Beten auf einer Preisverleihung? Der diesjährige Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Navid Kermani, sorgte mit seinem Gebetsaufruf während der Verleihungszeremonie durchaus für Irritationen: Von einem »fragwürdigen«, gar »unerträglichen Übergriff« konnte man im Feuilleton der ›SZ‹ lesen. PETRA KAMMANN hingegen findet das Anliegen des Preisträgers zwar überraschend, aber nicht unangemessen – haben sich doch bereits frühere Preisträger nicht lediglich in Sonntagsreden geübt.

Malen kann das Frauenzimmer!

Menschen | Adrienne Braun: Künstlerin, Rebellin, Pionierin Luise Duttenhofer, Emmy Schoch oder Gerta Taro: Künstlerin, Rebellin, Pionierin waren sie alle, eine jede in ihrem Ressort und zu ihrer Zeit. Grund genug, diese und über ein Dutzend weitere herausragende Frauen-Biographien aus Baden-Württemberg (wieder) zu entdecken. Die Stuttgarter Kulturjournalistin Adrienne Braun hat dazu eine Auswahl von überaus geistreichen und anregenden Porträts verfasst. Von INGEBORG JAISER

Zwischen Rebellion und Tradition

Menschen | Vor 25 Jahren starb der bedeutende Dramatiker Heiner Müller

Lange fehlte ihm sowohl eine geografische wie eine politische Heimat. In der DDR war er schon in jungen Jahren mit dem SED-Regime überkreuz, im Westen wurden zwar seine Stücke gespielt, doch er galt im politischen Establishment als marxistischer Rebell. Erst nach dem Mauerfall wurde der bedeutende Dramatiker, Schriftsteller, Essayist und Theatermacher Heiner Müller heimisch, nachdem er 1992 gemeinsam mit Peter Zadek, Matthias Langhoff, Peter Palitzsch und Fritz Marquardt die Leitung des Berliner Ensembles übernommen hatte. Kürzlich wurde sogar ein Drehbuch-Fragment aus Müllers Feder entdeckt. Der Text ›Myer und sein Mord‹ erschien nun erstmals in der Dezember-Ausgabe von ›Theater der Zeit.‹ Von PETER MOHR

Von Drachenblut bis Verwirrnis

Menschen | Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers Christoph Hein »Relativ locker kann ich alles erzählen, weil es mir besser ergangen ist als vielen meiner Kollegen. Viele Autoren verloren mit der Wende ihre Verlage, die standen auf der Straße – so wie die Arbeiter, deren Betriebe zumachten«, erklärte Christoph Hein kürzlich in einem Interview über seinen jüngst erschienen, schmalen (historischen) Anekdotenband ›Gegenlauschangriff‹, in dem der äußerst kontrovers diskutierte Text ›Mein Leben, leicht überarbeitet‹ enthalten ist, in dem Hein den oscar-gekrönten Film ›Das Leben der Anderen‹ von Florian von Donnersmarck als »Gruselmärchen« bezeichnet. Von PETER MOHR

»Wie wollen wir leben?«

Interview | Im Gespräch: Autor Anselm Neft Vor 15 Jahren war Anselm Neft zwei Jahre Mitglied der Mittelalterband Schelmish, die sich Ende 2012 auflöste. Mittlerweile ist er Schriftsteller und Mitherausgeber von ›EXOT. Zeitschrift für komische Literatur‹. Nun ist im August sein Roman ›Helden in Schnabelschuhen‹ erschienen, der in der Mittelalterszene spielt. MARTIN SPIESS, der selbst von 2010 bis 2014 mit seinem Comedy-Duo ›Das Niveau‹ auf Mittelalterfestivals unterwegs war, hat ihn zum Gespräch getroffen.