Mr. Moores incredible assembly of strange fiction and immortal ideas

Comic | Alan Moore (Text), Kevin O`Neill (Zeichnungen): Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: 2009

War Jack the Ripper kein anderer als Mackie Messer aus der Dreigroschenoper? Ist das Schiff mit acht Segeln aus der Ballade der Seeräuberjenny die »Nautilus« von Kapitän Nemo? Ist Lord Voldemort lediglich die Wiedergeburt von Aleister Crowley (alias Oliver Haddo)? Und hat er 1969 den Gitarristen der Stones ermorden lassen? Hat es in Hogwarts schon einmal einen Amoklauf gegeben?
Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen 2009
Wer literarisch und popkulturell versiert genug ist, um solche Fragen spannend zu finden, für den ist das neueste Abenteuer von Alan Moores Liga der außergewöhnlichen Gentlemen, das jetzt mit dem Band 2009 beendet wurde, die geeignete Lektüre. Andere könnten sich mit Moores versponnener Genialität ein wenig schwer tun, vermutet BORIS KUNZ.

Das Ursprungskonzept war 1999 schon ein verdammt guter Einfall: Die Tatsache ausnutzend, dass einige der großartigsten und berühmtesten literarischen Werke der Horror-, Science Fiction- und Kolportageliteratur allesamt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angesiedelt waren, brachte Alan Moore einige dieser Figuren zu einem Team zusammen. Moore ließ den Schatzsucher Allan Quatermain, den Unsichtbaren von H.G. Wells, Dr. Jekyll/Mr. Hyde, Kapitän Nemo und Wilhelmina Murray, die verhinderte Braut Draculas, zunächst gegen Dr. Fu Man Chu und Prof. Moriarty (den Erzfeind von Sherlock Holmes) und dann gegen die Invasoren vom Mars aus dem Krieg der Welten antreten. Diese zwei ersten Abenteuer der League of Extraordinary Gentlemen waren wohl das Vielversprechendste, was im Rahmen von Alan Moores Comicprojekt Americas Best Comics entstanden ist. Doch leider folgte darauf zunächst einmal kein ebenbürtiger dritter Band, sondern eine unsäglich dämliche Kinoverfilmung, die allein ausreichen würde, um den unbändigen Hass Moores auf die Filmbranche zu erklären.

Erst einige Zeit später ließ Moore einen weiteren Geniestreich folgen, das in den 50er Jahren angesiedelte Album Black Dossier, in dem er das Spiel mit den Literaturzitaten noch weiter trieb: Gejagt von keinem geringeren als James Bond und Emma Peel, müssen Mina und Quatermain ein Dossier in Sicherheit bringen, in dem die Aktivitäten nicht nur der bisher bekannten Liga, sondern auch die ähnlicher Gruppierungen außergewöhnlicher Personen über die Jahrhunderte hinweg dokumentiert werden. Moore geht darin weit über einen üblichen Comic hinaus, fügt Parodien (oder besser: neue Versionen) eines Fanny Hill-Romans, einer Tijuana Bible, eines Shakespearestückes ein und schreibt fast die gesamte Menschheitsgeschichte so um, dass sowohl Orwells Big Brother als auch Chaplins Adenoyd Hinkel darin ihren Platz finden, ebenso wie die Schlacht um Troja, die Taten von König Artus, die Reisen von Gulliver oder die Intrigen des Harry Lime.

Was im Rahmen von Steampunk und Kolportage begann, weitete sich langsam aus zu einer Art Menschheitsgeschichte der Fiktionen, eine Art Sophies Welt der Mythen und der Populärkultur. Am Ende landen die Helden in der nur mit einer 3D-Brille zu betrachtenden Blazing World, einem von Shakespears Prospero geführten Refugium fiktionaler Figuren. Leider hat es dieses Werk bislang aufgrund von Urheberrechtsproblemen niemals zu einer deutschen Übersetzung gebracht. Das ist auch aus dem Grund schade, weil die Kenntnis des Black Dossier überaus hilfreich dafür sein kann, sich in dem neuesten Abenteuer der Liga, der Century-Trilogie, zurechtzufinden. Das ist nämlich nicht ganz so einfach.

Sex, Drugs & Armageddon

Die Trilogie spielt in London, jeweils in den Jahren 1910, 1969 und 2009, und erzählt die Versuche einer inzwischen personell sehr zusammengeschrumpften Liga die Wiedergeburt des Antichrist zu verhindern, die der Schwarzmagier Oliver Haddo einzufädeln versucht, während sein Geist sich über die Jahrzehnte von einem Wirt zum nächsten bewegt. Höhepunkte sind dabei ein Piratenangriff auf Soho 1910, ein Konzert im Hyde-Park 1969 (eine fiktionale Version des legendären Stones-Konzerts) und schließlich der finale Shoot Out mit dem Antichrist 2009.

Neben Mina und Quatermain ist der unsterbliche und alle paar Jahre das Geschlecht wechselnde Orlando (aus einem Roman von Virginia Woolf) als beständiges Mitglied der Liga eine zentrale Figur der Erzählung – und damit genau die Person, deren Lebensweg durch die Weltgeschichte im Black Dossier ausführlich erzählt wurde. Auch Mina und Allan haben zwischenzeitlich ein Bad in der Quelle der ewigen Jugend hinter sich und sind daher nun auch zu Unsterblichkeit und ewiger Jugendlichkeit verdammt. Das gibt Moore natürlich die Gelegenheit, ohne die Protagonisten wechseln zu müssen, Geschichten zu erzählen, die ein ganzes Jahrhundert umspannen. Allerdings werden die Schwierigkeiten, die unsere Helden mit ihrer Unsterblichkeit haben, auch sehr zentral thematisiert.

Die bis zum Anschlag mit Anspielungen und Zitaten angefüllten Geschichten funktionieren erstaunlicherweise auch ohne Kenntnis sämtlicher geplünderter Vorlagen aus Literatur und Film, die wiederum wahrscheinlich Regalmeter füllen würden. Dennoch bremsen diese Zitate in dieser Trilogie das Tempo merklich: Sieht man von den unzähligen Gastauftritten von Gestalten aus hierzulande oft recht unbekannten Romanen ab, passiert in den Geschichten nicht sonderlich viel bzw. nicht sehr viel Kompliziertes: Unsere Helden stolpern relativ unbeholfen in der Gegend herum, sind mit sich selbst, ihrer Unsterblichkeit und ihrem Sexleben beschäftigt und kommen in regelmäßigen Abständen zu spät oder annähernd zu spät, um die sich anbahnende Katastrophe wirklich verhindern zu können. Der Clou des Werkes liegt nun einmal weniger in dem spannenden Aufbau eines Mystery-Thrillers, sondern darin, wie die literarischen Einflüsse eingebaut und miteinander verzahnt sind. Das bedeutet, dass unsere Hauptfiguren vielen anderen Figuren begegnen und dass diese dann noch von weiteren Figuren erzählen, ohne dabei zum Fortgang der Handlung wesentlich beizutragen. Wer hier sehr belesen ist, der findet sicherlich auf jeder Seite einen Grund zu schmunzeln oder sogar andächtig zu staunen, für andere wird es reines Namedropping bleiben.

Auch Moores wachsendes Faible für Magie schlägt in dieser Story ziemlich heftig zu Buche. Man bekommt es mit einer Menge Okkultismus zu tun, und eine ganze Reihe von Figuren tritt auf, die auch unsterblich ist, nur noch auf der astralen Ebene existiert oder sonst wie in anderen Dimensionen zuhause ist. Das verleiht dem Comic zwar einen gewissen Flair, streckenweise ist es aber auch schon so abgehoben, dass man sich ein wenig nach den etwas handfesteren Abenteuern der ersten Liga sehnt, in denen manche Probleme auch einfach mit roher Gewalt zu lösen waren. Dann wieder bleibt einem die Spucke weg anhand der erzählerischen Husarenstücke Moores. Gerade wenn man glaubt, dass er die schreckliche Düsternis der Geschichten zu ernst nimmt, scheut er sich nicht, ausgerechnet Mary Poppins als mächtige kosmische Entität auftreten zu lassen, und erinnert einen daran, dass dieser Comic auch immer als großer Spaß gemeint ist. Ansonsten hat er sich als zentrales Motiv für das Jahr 2009 einen gewissen jungen Zauberer vorgenommen, dessen Name vielleicht nicht nur deshalb verschwiegen wird, weil es eleganter ist, sondern weil er mit ihm Dinge anstellt, die ganz schön unerhört sind, und Moore ungern von einer schottischen Kinderbuchautorin verklagt werden möchte…

Mischief, Mayhem, Mountains of Madness

Kevin O´Neill, seit Band 1 getreuer Zeichner der Serie, gelingt es dabei sehr gut, dem düsteren Geist der Geschichten treu zu bleiben, auch wenn er jetzt versuchen muss, ein Steampunk-Universum ins Jahr 2009 weiterzudenken (und dabei auch noch das knallbunte, psychedelische 1969 zu streifen). Allerdings scheint er seine Schwierigkeiten damit zu haben, den sich verändernden Erscheinungen von Mina, Allan und Orlando zumindest in den Gesichtszügen ausreichend Konsistenz zu verleihen. Sein filigraner Strich eignet sich aber sehr gut, den Settings und Figuren jederzeit eine gewisse Abgefucktheit zu geben, ohne sie dabei aufdringlich hässlich zu machen. Wie die Texte stecken auch die Zeichnungen voller klitzekleiner Anspielungen an allen Ecken und Enden, doch diese drängen sich bei O´Neill weniger in den Vordergrund.

Während das Artwork eine qualitative Konstante bietet, stellt die Century-Trilogie erzählerisch nicht unbedingt das glanzvollste Kapitel dieser Serie dar, zumindest in Anbetracht der extrem hohen Messlatte. In der englischsprachigen Wikipedia gibt es inzwischen beeindruckend lange Listen von Personen und Orten, die in dieser Comic-Reihe zitiert werden, und Jess Nevins hat zu den ursprünglichen Bänden bereits ein umfangreiches Kompendium mit Bild für Bild-Analysen herausgebracht. Kurz: Man kann wesentlich mehr Zeit mit Recherche, Rekonstruktion und Spurensuche verbringen, als mit der Lektüre des Comics selbst. Das macht zwar großen Spaß und nötigt einem Bewunderung für Moores sportliche Leistung ab, doch in der Century-Trilogie scheint es so zu sein, als hätte Moore sich in der Konstruktion seiner Parallelwelt selbst ein wenig verloren. Die Lektüre ist wie eine Weinverkostung, die versierten Kennern großen Genuss bietet, den unbeleckten Konsumenten aber etwas außen vor lässt.

Hinzu kommt, dass in allen drei Alben Songtexte eine große Rolle spielen, die in der deutschen Übersetzung manchmal im Original belassen, manchmal übersetzt werden, was bei Lyrik immer schwierig ist. Ohnehin empfiehlt sich allen Lesern, die des Englischen mächtig sind, die Lektüre im Original, was zwar anspruchsvoll, aber lohnenswert ist. Vor allem, weil man dann in der Lage ist, die zwischen 1910 und 1969 klaffende Lücke mit dem Black Dossier zu schließen, ohne dessen Kenntnis die Century-Trilogie (und die zusätzliche, sehr unterhaltsame Prosa-Story Günstlinge des Mondes) teilweise nicht einfach zu knacken ist. Zudem enthält das Black Dossier Anspielungen auf ein gutes Dutzend weitere mögliche Abenteuer der Liga, und Moore hat schon angekündigt, aus diesem großen Pool an Ideen weiter schöpfen zu wollen. Auf Englisch bereits erschienen ist Heart of Ice, eine Reise der Nautilus in die von Lovecraft beschriebenen Mountains of Madness in der Antarktis. Da kann man sich doch einfach nur drauf freuen!

| BORIS KUNZ

Titelangaben
Alan Moore (Text), Kevin O`Neill (Zeichnungen): Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: 2009 (The League of Extraordinary Gentlemen, Century # 3: 2009). Aus dem Englischen von Gerlinde Althoff. Stuttgart: Panini Comics 2013. 84 Seiten, 12,95 Euro.

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