/

Jüdische Vergangenheit und Gegenwart

Roman | Luis S. Krausz: Verbannung

Um die Lebenswege einer jüdisch-österreichischen Familie geht es in dem im Verlag für jüdische Kultur und Zeitgeschichte Hentrich & Hentrich erschienenen Roman Verbannung des brasilianischen Schriftstellers Luis S. Krausz. BETTINA GUTIÉRREZ hat den Autor hierzu befragt.

Verbannung
Verbannung. Erinnerungen in Trümmern lautet der vollständige Titel des vor kurzem erschienenen Romans des brasilianischen Schriftstellers und Wissenschaftlers Luis S. Krausz. Hier beruft er sich in gewisser Weise auf die Geschichte seiner Familie, das heißt die Geschichte einer deutsch-österreichischen Familie, die nach Brasilien ausgewandert ist.

»Der Anlass meines Romans war der Tod meines Vaters. Mein Vater und meine Großeltern väterlicherseits waren alle drei Einzelkinder und als Vater starb, musste ich mich mit dem Gefühl auseinandersetzen, dass mir mit ihm ein riesiger Erinnerungsschatz verlorengegangen war, ein Schatz, zu dem ich nie wieder Zugang haben werde. Es waren nicht nur die Erinnerungen seiner Kindheit und die meiner Großeltern, sondern die Erinnerungen einer ganzen Generation, nämlich der Generation der ausgewanderten Juden aus Deutschland und Österreich, der sogenannten Jekkes, die noch mit dem Glauben aufgewachsen waren, Österreicher oder Deutsche jüdischen Glaubens zu sein«, sagt er, fragt man ihn, warum er dieses Thema gewählt hat.

Es sei, so erläutert er weiter, ein sehr jüdisches Buch, da die Juden gemeinhin als »Volk der Erinnerung« bekannt seien. Den Untertitel »Erinnerungen in Trümmern« begründet er mit einem Zitat von Walter Benjamin: »Walter Benjamin behauptet in einer der meistzitiertesten Stellen seiner Thesen Über den Begriff der Geschichte, dass die Geschichte unter dem Zeichen des Fortschritts eigentlich nichts anderes ist, als eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft.« Und deshalb, so folgert er, sei dieses »Denkbild« ein perfektes Beispiel für das Schicksal der europäischen Juden im 20. Jahrhundert, deren Kultur, auch wenn sie die Katastrophe überlebt hätten, vollständig zerstört worden sei.

Doch obwohl er sich in seinem Roman zum Teil auf eben jenen »Trümmerhaufen«, den die Geschichte des 20. Jahrhunderts für ihn darstellt bezieht, ist seine Sichtweise auf die Gegenwart und seine jetzige Wahlheimat Brasilien positiv: »Ich glaube, dass man das Lebensgefühl in einem Land erst dann versteht, wenn man weit weg ist. Eigentlich wurde mir erst klar, was Brasilien für mich bedeutet, als ich in den USA und Europa studierte. Bis dahin galten mir die Großzügigkeit dieses Landes, die Freundlichkeit der Menschen und die wunderschöne Natur, die seit jeher von jedem Reisenden gelobt wurden, als selbstverständlich. Man lernt diese Eigenschaften erst zu schätzen, wenn man eine längere Zeit anderswo gelebt hat. Ich bin Brasilianer und fühle mich in Brasilien zuhause.“

Dies ist eine Einsicht, die sich auch in seinem Roman widerspiegelt, so etwa, wenn er das in São Paulo gelegene pittoreske Viertel Sumaré als »ein Stadtviertel der kunstvoll gepflegten Gärten und tadellos organisierten Bibliotheken« beschreibt. Es sind nicht zuletzt diese Passagen, die »Verbannung« zu einer kurzweiligen Lektüre machen, die ungeachtet mancher historischer Verweise die Einstellung des Autors zur Vergangenheit und Gegenwart verdeutlicht, die mit seinen eigenen Worten zusammengefasst werden kann: »Zwei Generationen nach der Auswanderung aus Europa sind die Juden in der brasilianischen Gesellschaft eine kleine Minderheit, die aber sehr gut integriert ist und eine bedeutende Rolle in der Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft spielt.« Luis S. Krausz Erinnerungen sind hierfür der beste Beweis.

| BETTINA GUTIÉRREZ

Titelangaben
Luis S. Krausz: Verbannung
Aus dem Portugiesischen von Manfred von Conta
Berlin: Hentrich & Hentrich 2013
168 Seiten. 14,90 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

3 Gedichte von Norbert Lamers

Nächster Artikel

Gefunden!

Weitere Artikel der Kategorie »Porträt & Interview«

The Search For A Positive Truth: An Interview With MANOID

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Every so often a record comes along which makes you stop what you are doing, prick up your ears, and pay rapt attention. One such album is the thoroughly excellent Truth by fast rising Polish producer MANOID. Out now on the always fresh Hafendisko imprint, Truth is a record which only needs a few moments to convince you that you and it are going to be good friends. By JOHN BITTLES

Thought Crimes and 4/4 Beats: An Interview With Red Pig Flower

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Every so often a record will come along which makes you sit up and take notice. Right from the very first bars you know this is the one for you. One such 12” entered my life a few weeks ago in the form of Thought Crime, the sumptuous new EP by Red Pig Flower. Containing a generous helping of deep, melodic house, lush ambiance and smooth techno beats, each of the record’s four tracks are rich with personality and soul. By JOHN BITTLES

The Soul Of The Machine

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Fans of graceful soundscapes and bittersweet electronica are probably already familiar with the name Mario Hammer And The Lonely Robot. 2015’s  L’esprit De L’escalier for Cologne label Traum was a cerebral and mesmerising journey into the soul. With the highest of production values, and an open-hearted emotional core, its thirteen tracks of soft-focus ambiance were, and still are, a rare treat for the ears. By JOHN BITTLES

Sadness With A Dash Of Beats: An Interview With Emika

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world

In a world which celebrates uniformity and mediocrity it is refreshing to find someone actively striving to create something interesting and new. In art, moulds are meant to be broken and stereotypes cast to the ground. One artist who understands this is Berlin resident Emika. Born Ema Jolly, and raised in Milton Keynes, Emika has utilized her classical training in piano and composition to form the foundation for a body of work which has taken in pop, classical, electronica, ambient and more. Never one to settle for the status quo, her music could resemble the gothic pop of Fever Ray one minute, the futuristic electro of Drexciya the next. By JOHN BITTLES

Korn zwischen den Mühlsteinen

Menschen | Zum 100. Geburtstag von Alexander Solschenizyn Vor 100 Jahren am (11. Dezember) wurde Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn geboren. Ein Porträt von PETER MOHR